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Christina Thurner: „Erinnerungen tanzen. Autobiografien als Quellen der Tanzhistoriografie“

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Wahrheit oder Dichtung?

Über das eigene Leben schreiben

Christina Thurner: „Erinnerungen tanzen. Autobiografien als Quellen der Tanzhistoriografie“, Tanzscripte Band 75, transcript Verlag, Bielefeld, 2024, kartoniert, 372 Seiten, 49 Euro

Biopics und Autobiografien boomen überall. Auch das wissenschaftliche Interesse an dieser Form des selbstbiografischen Erzählens ist gestiegen, denn derartige Zeugnisse sind wichtige Quellen.

Das Buch „Erinnerungen tanzen“ von Christina Thurner, der Berner Professorin für Tanzwissenschaft, ist im Rahmen des vom Schweizerischen Nationalfonds geförderten Projekts „Auto_Bio_Grafie als Performance. Ein tanzhistoriografisches Innovationsfeld“ während der Laufzeit von 2020 bis 2024 entstanden. Der transcript-Verlag wirbt auf seiner Homepage mit „Wir geben Wissenschaft Reichweite“ und veröffentlicht die Publikation nur mit einem Korrektorat und keinem korrigierenden Lektorat. Das macht den Lesefluss für den interessierten Laien mühsam und schränkt die Zielgruppe unnötig ein – gerade auch in diesem Fall. Dabei gibt es in Europa Bemühungen – wie im angelsächsischen Raum bereits seit langem üblich – Forschungsarbeiten und wissenschaftliche Erkenntnisse verständlich und unterhaltsam einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Zumindest steht das unlektorierte Buch als open access kostenlos zur Verfügung. Studierende finden in über fünfzig Seiten Personenregister und Bibliografie Anregungen für eigene weitergehende Forschungsfragen.

Christina Thurner: „Erinnerungen tanzen. Autobiografien als Quellen der Tanzhistoriografie“

Christina Thurner: „Erinnerungen tanzen. Autobiografien als Quellen der Tanzhistoriografie“

Thurner beleuchtet ihren Forschungsgegenstand in vier Kapiteln. Zu Beginn gibt sie der wissenschaftlichen Einordnung der Quelle „Autobiografie“ breiten Raum. Im nächsten Kapitel zeigt sie anhand von drei Tänzerinnen, wie das Aufschreiben der eigenen Lebensgeschichte eine Gelegenheit ist, der flüchtigen Kunstform Tanz eine neue Perspektive hinzuzufügen. Ein wesentliches „Element in der Dramaturgie der Lebenserzählung ist die Gestaltung des ersten Auftritts“. Thurner spricht von der Unmöglichkeit, „den eigenen Beginn mit narrativer Autorität“ zu erfassen: „sie entwerfen alle auf ihre Art eine genuine Eigenheit des jeweiligen Tänzerinnen-Ichs gegenüber (s)einem ersten und damit auch gegenüber jeglichem Publikum.“ Die erste Dimension der „Eigenheit“ als Tänzerinnen-Ich gegenüber einem nicht tanzenden Publikum wird in der Kindheit angelegt und noch vorsätzlich unspezifisch entworfen. Die zweite Dimension erfolgt dann zwar auf dieser Basis, ist aber spezifischer, denn mit ihr tritt eine genauere Bestimmung des Tanzverständnisses hinzu. Die Autorin kontrastiert das Corps-de-Ballet-Mitglied Margitta Roséri mit den Pionierinnen moderner Tanzformen Isadora Duncan und Martha Graham, „die ihr jeweiliges Tänzerinnen-Ich in ihrer Autobiografie bereits beim ersten Mal betont eigenständig, selbstbewusst und aktiv auftreten lassen“. Die Schilderung von Grahams erstem Auftritt wird als erfolgreiche textdramaturgische Inszenierung eines Emanzipationsprozesses oder -kampfes eingestuft.

Thurner führt noch andere Beispiele aus: „Liest man nun diese persönliche Erfolgsgeschichte (…) im Kontext der Tanzgeschichte und anderer autobiografischer Erzählungen, dann ergibt sich ein ganzes Netz von Bezügen und es lassen sich einige erhellende Kausalitäten ableiten oder zumindest aus einer anderen, weiteren Perspektive betrachten.“ In einem „vielstimmigen“ Schlusskapitel umreißt die Autorin dann die Tanzgeschichte von A wie Ailey bis V wie Villella, widmet sich ferner den Aspekten Gen­der, Race, Age und Master-Paratexte – alles Stoffe für eigene Bücher.

Final will Thurner die Autobiografien für die Geschichtsschreibung nutzbar machen, indem sie die Künstler:innen-Perspektive aufwertet. Sie betont, dass sie in ihrer Arbeit nicht die Realität, wie sie gewesen ist, darlegen wollte, sondern dass sie „die vielstimmigen Erzählungen der Künstler:innen über ihr (eigenes) Leben, Tanzen und Wirken als performative, hervorgebrachte, gedeutete Realitäten begreife, sie zu Wort kommen lasse, in Relation zu anderen Narrationen setze und unter bestimmten theoretischen wie thematischen Geschichtspunkten reflektiere.“ Offen bleibt bei ihren Ausführungen jedoch, ob diese privaten Perspektiven wissenschaftlichen Ansprüchen genügen.

Beatrix Leser


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