Berichte
Drama, Oper, Kammerspiel
Händels „Il Trionfo del Tempo e del Disinganno“ szenisch in Koblenz
Barocke Oratorien in szenischer Version sind immer ein zweischneidiges Schwert. Da wird etwas auf die Bühne gebracht, was eigentlich nicht für die Bühne gedacht ist. Oratorien dienten seinerzeit vornehmlich der Erbauung und Unterhaltung, waren aber keine verkappten Opern. Im Falle Georg Friedrich Händels waren sie allerdings sein Rettungsanker. Als sein Opernstern langsam aber sicher zu sinken begann, entdeckte er das Oratorium für sich und landete damit einen neuerlichen Erfolg. Und das Beste: auf diesem Terrain hatte er so gut wie keine Konkurrenz. Da hatte der gewiefte Geschäftsmann mal wieder den richtigen Riecher.

v.l.n.r.: Kinderstatisterie, Haruna Yamazaki, Christian Borrelli, Hannah Beutler, Piotr Gryniewicki. Foto: Matthias Baus für das Theater Koblenz
Trotzdem wagen sich viele Opernhäuser heutzutage an szenische Umsetzungen, weil das Opernrepertoire schon zu abgegrast ist oder weil viele Oratorien mit überschaubarem Aufwand auf die Bühne zu bringen sind. Letzteres ist im Falle von Händels „Il Trionfo del Tempo e del Disinganno“ zweifelsohne der Fall. Die Besetzung ist übersichtlich und eine Handlung gibt es so gut wie gar nicht. Im Grunde genommen diskursieren vier Protagonisten in einem willkürlichen Setting ohne dass besonders viel passiert. Szenisch ist das eine Herausforderung, die jedoch in Koblenz passabel gelöst wurde.
Jan Eßinger versammelt die vier Protagonisten zum Vorglühen vor einer nächtlichen Sauftour am heimischen Küchentisch (Bühne: Sonja Füsti, Kostüme: Silke Willrett) und fügt noch drei stumme Figuren als barocke Zitate ein: Ein Kind, das Amor und Bacchus verkörpert, einen Faun sowie eine Tänzerin im Barockkostüm. Die vier allegorischen Charaktere Bellezza (Schönheit), Piacere (Vergnügen), Disinganno (Wahrheit) und Tempo (Zeit) parlieren über die Prioritäten des Lebens, kriegen sich auch mal ein bisschen in die Wolle und am Ende gewinnt natürlich das Gute: die Schönheit besinnt sich auf die wirklich wichtigen Dinge des Lebens und entscheidet sich gegen das rein vordergründige Vergnügen. Insofern gewinnen Zeit und Wahrheit tatsächlich, wie schon der Titel suggeriert. Das kammerspielartige Setting passt durchaus. Es schafft einen begrenzten, heimeligen Rahmen, in dem die vier Protagonisten unausweichlich aufeinanderprallen. Nur das Licht (Christofer Zirngibl) lässt die Protagonisten zuweilen nicht nur sprichwörtlich im Dunkeln stehen. Eßinger setzt die Konflikte mit sparsamen, aber nachvollziehbaren Mitteln in Szene. Zu allererst kommt es auf die darstellerische Tiefe der Protagonisten an, die in Koblenz ausgezeichnet sind. Hannah Beutler als Bellezza, Haruna Yamazaki als Piacere, Christian Borrelli als Disinganno und Bryan Lopez Gonzalez als Tempo machen die Konflikte glaubhaft. Insbesondere Beutler legt eine großartige, ebenso natürlich wie glaubwürdig wirkende darstellerische Präsenz an den Tag.
Die zeigt die Sopranistin auch sängerisch. Wenn sie mal aufdreht, entfaltet ihre leuchtende Stimme eine ungeheure dramatische Wucht, doch zumeist singt sie sehr präzise, pointiert und gut mit dem offstage platzierten Orchester koordiniert. Das ist im Theaterzelt, das während der Sanierung des großen Hauses als Ausweichquartier dient, nicht anders möglich, doch funktioniert es erstaunlich gut – selbst wenn die Kommunikation zwischen Bühne und Orchester nur mittels Lautsprecher und Bildschirm läuft. Auch die drei anderen Protagonisten werden glaubhaft verkörpert. Haruna Yamazaki singt mit ihrem agilen Mezzo die schönsten Koloraturen als reinstes Vergnügen. Christian Borrelli verfügt über einen überaus wohlklingenden und dynamischen Countertenor. Und Bryan Lopez Gonzalez fügt sich bestens in das Ensemble ein, obwohl er bei der zweiten Aufführung nur spontan für den erkrankten Piotr Gryniewicki einspringt.
Das Staatsorchester Rheinische Philharmonie spielt unter der Leitung von Felix Pätzold zumeist barock entschlackt und ausgewogen, nur selten scheint die Konzentration etwas nachzulassen. Allerdings stellt die besondere Aufführungssituation alle Beteiligten vor große Herausforderungen. Mit Orgel, Theorbe und Laute hat man das Instrumentarium barock erweitert, setzt ansonsten aber auf einen Kompromiss aus modernen Instrumenten und historischer Artikulation. Auch das funktioniert bestens.
Guido Krawinkel |