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Drohender Tarifkonflikt zur Übertragung der Tarifeinigung TVöD auf den NV Bühne?

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„Als Gott betrunken war“
Astor Piazzollas „María de Buenos Aires“ an der Oper Köln

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Barrie Kosky inszeniert Philip Glass’ „Echnaton“ an der Komischen Oper Berlin

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Berichte

„Als Gott betrunken war“

Astor Piazzollas „María de Buenos Aires“ an der Oper Köln

Eine „Operita“ von Astor Piazzolla? Dem König des Tango Nuevo? Und dann noch der beschwörende Titel „María de Buenos Aires“?! Wer erwartet da nicht eine Feier von Lebenslust, Liebe, Leidenschaft? Das Publikum der Oper Köln wurde jedoch entweder enttäuscht oder angenehm überrascht, weil genau diese Klischees nicht eintrafen. Der weltbekannte argentinische Tanz ist in dieser „Kleinen Oper“ die durchgehende Schicksalsmelodie für alle Lebenslagen, vor allem Ausdruck von Tod, Trauer, Absurdität, Resignation und Fatalismus.

Astor Piazzolla, „María de Buenos Aires“ mit Tanzensemble und Adriana Bastidas-Gamboa als María an der Oper Köln. Foto: Thilo Beu

Astor Piazzolla, „María de Buenos Aires“ mit Tanzensemble und Adriana Bastidas-Gamboa als María an der Oper Köln. Foto: Thilo Beu

Teresa Rotembergs Regie und Choreografie zeigt das 1968 in Buenos Aires uraufgeführte Werk vor dem Hintergrund der argentinischen Militärdiktatur der Jahre 1976 bis 1982, als tausende Menschen verschleppt, eingekerkert und ermordet wurden. Zugleich fand damals die Fußball-Weltmeisterschaft in Argentinien statt, bei der 1978 die eigene Mannschaft den Pokal gewann. Menschen waren im Freudentaumel und erfuhren zugleich unendliches Leid, weil die Militärjunta Angehörige, Freunde, Kolleginnen verschwinden ließ. Die im Bühnenhintergrund flächendeckend projizierten Videos von Stefan Bischoff zeigen originale Filmausschnitte der WM und der riesigen Stadt. Zudem sieht man animierte Wachtürme aus dem Fußballstadion wachsen und groteske Militärvisagen mit den Zähnen klappern. Hinzu kommen Fotos von Gefängnistrakten und zuerst wenigen, dann dutzenden, schließlich hunderten Vermissten.

„María de Buenos Aires“ erzählt in 17 Stationen vom Leben der Titelfigur. Diese ist sowohl reale Frauengestalt, Arbeiterin, Vorstadtprekariat, Tänzerin, Bordelldame, Sängerin als auch weibliche Allegorie von Stadt, Leben und Mutter Gottes. Zu traurigem Klavierspiel bekennt die Erzählerin Tatiana Saphil in der Rolle der angetrunkenen „El Duende“ (die Elfe), der Geist des Librettos von Horacio Ferrer sei den Kneipen der Metropole am Rio de la Plata entflossen. Der poetische Sprachwitz schwankt zwischen noblem Nonsens, surrealistischen Metaphern und hintergründigen Anspielungen auf die Lebensumstände in der argentinischen Hauptstadt. Da hört man im originalen Spanisch und liest in deutschen Übertiteln über María: „Die Kleine wurde an einem Tag geboren, als Gott betrunken war, weshalb in ihrer Stimme drei Nägel kratzen“ oder „Schon kommt das Kind, den Abgrund suchend, auf seinem Kater geritten“. Ein Satz wie „Hinter den Messbüchern schlürfen sie die Motten“ ließe sich immerhin vage als Kritik an der katholischen Kirche verstehen.

Eine Handlung gibt es nur sporadisch. Das Geschehen bleibt durchweg narrativ und entfaltet nur ein einziges Mal Dramatik im Duett des von Germán Enrique Alcántara passioniert gesungenen Cantador und der Hauptdarstellerin Adriana Bastidas Gamboa, die ihre Partie eher fatalistisch mit wenig Timbre- und Dynamik-Ausschlägen gestaltet. Das fünfzehnköpfige Salonorchester inklusive Gitarre und Bandoneon spielt unter der Leitung von Natalia Salinas ebenso delikat wie unaufgeregt ohne besondere Ekstasen. Piazzolla reiht einen Tango an den anderen, teils abwechselnd mit Marsch, Walzer, Milonga. Statt um eine durchkomponierte Oper oder Operette handelt es sich um ein folkloristisches Potpourri inklusive grotesker Figurinen auf der Bühne wie im Puppentheater mit riesigen Totenschädeln und grimmiger Milizenfratzen.

Das sechsköpfige Tanzensemble in Kostümen von Tanja Liebermann liefert keine erotisierende Tangoshow. Stattdessen verkörpert es Fußballer, feiernde Fans, aufbegehrende Arbeiterinnen und verzweifelte Menschen auf der Suche nach ihren Angehörigen. Es gelingen eindrückliche Bilder voll Schönheit, Trotz und Verzagen. Durch einen auf und ab geschwungenen Sternenmantel scheint eine Tänzerin wie über die Bühne zu schweben – als sei sie die Himmelskönigin María, zu der die Titelheldin nach ihrem Tod mit allen Attributen im Schein vieler Kerzen wie ein Altarbild verklärt wird. Zuvor wurde María jedoch von zwei Bettlern „im Kaffeesatz eines Espressos“ begraben und „in den Löchern eines Billardtisches bestattet“. María war, ist und bleibt überall, so viel steht fest, gerade weil sich all die Paradoxien, Rätsel und Wunder eindeutigem Verstehen entziehen.

Rainer Nonnenmann

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