Berichte
Essenzieller Bekenntnisdruck
„Hoffmanns Erzählungen“ in Saarbrücken als Theater-Credo
des nach Hannover wechselnden Bodo Busse
Mit der Gala „...und tschüss!“ verabschiedet sich das Saarländische Staatstheater am 4. Juli 2025 von seinem Generalintendanten Bodo Busse. Nach sieben künstlerisch packenden Spielzeiten wechselt der gebürtige Stuttgarter an das Staatstheater Hannover und damit in das von Kultur-Sparplänen überschattete Niedersachsen. Busse punktete in Saarbrücken durch spannende und dabei ausgewogene Spielplangestaltung mit ambitionierten Höhepunkten. Im Musiktheater setzte er von 2018 bis 2025 mit großem Erfolg auf ein entwicklungsstarkes Ensemble. Zum Beispiel eroberte sich Bariton Peter Schöne von der Titelpartie in Rossinis „Guillaume Tell“ – Busses von ARTE aufgezeichnetes Antrittsstück – über Pascal Dusapins „Macbeth Underworld“ zu Wotan in „Das Rheingold“ eine Vielzahl wichtiger Partien. Die Mezzosopranistin Judith Braun erhielt mit Judith in „Herzog Blaubarts Burg“ und Fricka die Möglichkeit zum erfolgreichen Fachwechsel. Busse und GMD Sébastien Rouland ließen bei Gesangskrisen Verträge nicht einfach auslaufen, sondern unterstützten bei der Bewältigung.

Jacques Offenbach, „Hoffmanns Erzählungen“, mit Dustin Drosdziok (Set-Aufnahmeleiter), Algirdas Drevinskas (Spalanzani), Liudmila Lokaichuk (Olympia), Clara-Sophie Bertram (Muse) und Jon Jurgens (Hoffmann als junger Mann);
und Opernchor. Foto: Martin Kaufhold
Im Konzert-Projekt „The unanswered question“ des Schlagzeugers Martin Hennecke und des KI-gesteuerten Balletts „The Privacy of Things“ experimentierte man mit Algorithmen und Funktionen aus Datensammlungen. Der Auftragsoper „Ophelia“ von Sarah Nemtsov folgte 2024 als posthume Uraufführung „Sita“ zu Gustav Holsts 150. Geburtstag. Wegen der Pandemie startete die Inszenierung von „Der Ring des Nibelungen“ von Alexandra Szemeredy und Magdolna Parditka um zwei Spielzeiten verspätet. Es war eines der ersten Konzepte, das an Wagners Bühnenfestspiel genetische und medizinische Entwicklungen der nahen Zukunft erörterte. Die Premiere von „Götterdämmerung“ findet im April 2026 unter Busses Nachfolger Michael Schulz statt, der nun vom Musiktheater im Revier Gelsenkirchen nach Saarbrücken kommt. Szenische Wachheit ergänzte sich unter Busses Leitung immer mit einem Blick auf aktuelle Diskurse und das Publikum aus dem nahen Frankreich.
Die jetzt zur Premiere gelangte Koproduktion von „Hoffmanns Erzählungen“ mit der Oper Göteborg kann man als bestätigendes Finale betrachten. Busse zeigte nochmals in Reinkultur, worauf es ihm ankommt: Sichtweisen mit Relevanz und eine dichte Synergie von Musik und Szene. Der polnische Regisseur Krystian Lada modifizierte seine Regie und bezwingende Video-Arbeit für Saarbrücken. Man erlebte ein faszinierendes Hybrid aus Mysterienspiel und Apokalypse zwischen E.T.A. Hoffmann und Michel Houellebecq. Lada verdrehte die Figurenkonstellation aus dem Textbuch von Henri Meilhac und Ludovic Halévy und kam damit zu einer nicht minder fatalen Bedeutung. Die umfangreichen Videos passte er mit der Saarbrücker Besetzung und regionalen Motiven an. Die am Rauchen und Singen sterbende Antonia lebt auf einem Boot auf der Saar. Der abschließende Schlagabtausch zwischen Muse und Hoffmann ereignet sich auf den Hügeln um die Industriestadt.
Lada teilte die Titelpartie in drei Partien und verschiedene Lebensalter auf. Jon Jurgens, Peter Sonn und Algirdas Drevinskas hatten ein viel weiteres Vokalspektrum als jeder noch so schön singende lyrische Tenor. Clara-Sophie Bertram trumpfte als Muse mit tröstender bis gleißend autoritärer Stimme auf. Zur Sensation geriet die alle vier Sopranpartien mit Brillanz und Wärme gestaltende und hier der Ikone Marilyn M. ähnelnde Liudmila Lokaichuk. Der Chor (einstudiert von Mauro Barbierato) wurde von einer Studentenschaft zur rabiaten Sportcrew, von den Gästen im Labor Spelanzanis zu skurril verzerrten Kleriker:innen und im Venedig-Akt zur abgehalfterten Spaßgesellschaft. Am Ende sangen Soli und Chor die wunderbare Leid-Hymne zweimal, damit auch noch niederschmetternder.
Sébastien Rouland und das Saarländische Staatsorchester lieferten einen elegisch-bizarren Offenbach-Sound der Extraklasse. Der Barcarole-Techno ist ein ebenso perfider wie sinnfälliger Gag in einem Tableau von mysteriöser Schwärze und Lüsternheit. Ladas leidvoll zerrissene Dystopie wurde auch durch die orchestrale Leistung zu einer existenziellen Explosion. Diese Verstörung beweist, dass Musiktheater im medialen Overflow noch immer Relevanz zu entwickeln vermag.
Roland H. Dippel |