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Aktuelle Ausgabe

Generationen und Tarifabschlüsse
Editorial von Gerrit Wedel

Kulturpolitik

Brennpunkt
Drohender Tarifkonflikt zur Übertragung der Tarifeinigung TVöD auf den NV Bühne?

„What the hell is going on here?!“
Auf ein Wort mit Tobias Kratzer und Omer Meir Wellber

Koproduktionen mit Spezialitätenpotenzial
Julien Chavaz setzt an der Oper Magdeburg auf internationale Musiktheater-Partnerschaften

Kleine Künstler ganz groß
Der Kinderchor am Rhein im Portrait

Berichte

Halb gotische, halb ultra-moderne Kunst
Wieder eine Tournemire-Uraufführung am Theater Ulm

Zwischen Naturglauben und Christentum
Beat Furrers „Das grosse Feuer“ in Zürich uraufgeführt

„Als Gott betrunken war“
Astor Piazzollas „María de Buenos Aires“ an der Oper Köln

Intime und kollektive Verwüstungen
„The Brothers“ von George Antheil und „Der jüngste Tag ist jetzt“ von Johannes Harneit am Theater Hof

Spielräume der Interpretation
Igor Strawinskys „Le Sacre du Printemps“ in Choreografien von Pina Bausch in München und Annett Göhre in Ulm

„Lieben, was nicht existiert“
Neuinszenierung von Kaija Saariahos Oratorium „La Passion de Simone“ an der Oper Köln

Wie konnte es so weit kommen?
Valerij Lisacs Polittalk-Satire „Amusing Ourselves to Death“ in Köln

Drama, Oper, Kammerspiel
Händels „Il Trionfo del Tempo e del Disinganno“ szenisch in Koblenz

Essenzieller Bekenntnisdruck
„Hoffmanns Erzählungen“ in Saarbrücken als Theater-Credo
des nach Hannover wechselnden Bodo Busse

Strapaziöses Mantra
Barrie Kosky inszeniert Philip Glass’ „Echnaton“ an der Komischen Oper Berlin

Wahrheit oder Dichtung? Über das eigene Leben schreiben
Christina Thurner: „Erinnerungen tanzen. Autobiografien als Quellen der Tanzhistoriografie“

Die Operette als Vorreiterder sexuellen Befreiung undSelbstbestimmung
Zur Neuauflage von Kevin Clarkes „Glitter And Be Gay“ (2007/2025)

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Berichte

Intime und kollektive Verwüstungen

„The Brothers“ von George Antheil und „Der jüngste Tag ist jetzt“ von Johannes Harneit am Theater Hof

Lothar Krause ist seit 2015 Operndirektor am Theater Hof und mit Beginn der Spielzeit 2024/25 dessen Intendant. Er ist der beste Beweis, dass bei überlegter Programmgestaltung das Vertrauen des Publikums eine steigende Zahl besonderer Projekte ermöglicht. Neben der europäischen Erstaufführung von Somtow Sucharitkuls Oper „Helena Citrónová“ über die Liebe einer jüdischen Gefangenen und eines SS-Aufsehers brachte er die Musiktheater-Sparte mit gleich zwei Opern von Philip Glass durch die Pandemie.

George Antheil, „The Brothers“ mit Michał Rudziński (Soldat), Stefanie Rhaue (Witwe), Inga Lisa Lehr, Markus Gruber (Zivilist) und Chor des Theater Hof. Foto: Harald Dietz.

George Antheil, „The Brothers“ mit Michał Rudziński (Soldat), Stefanie Rhaue (Witwe), Inga Lisa Lehr, Markus Gruber (Zivilist) und Chor des Theater Hof. Foto: Harald Dietz.

Auf Cherubinis „Medea“ zur Wiedereröffnung des Theaters 2021 nach umfangreicher Sanierung wählte er zum Beginn seiner Intendanz das im derzeitigen Boom der historisch informierten Aufführungspraxis denkbar bizarrste Antistück: Monteverdis „Die Krönung der Poppea“ in der als unzeitgemäß geltenden, aber sehr wirkungsvoll ausgeführten Instrumentation und Bearbeitung von Ernst Krenek.

Zum 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges kam jetzt unter Krauses sehr bedachter und intensiver Regie ein Abend mit schroffer Kontrastwirkung heraus: George Antheils Kammeroper „The Brothers“ (1954), eine zum Dreieckskonflikt hochgeschaukelte Paraphrase des ersten Brudermords aus der „Genesis“, und Johannes Harneits Apokalypse „Der jüngste Tag ist jetzt“ (2003). Die fatale Folgerichtigkeit von innerer menschlicher und äußerer kriegsbedingter Zerstörung wirkten in Aylin Kaips erst fast steriler, dann ergrauter Ausstattung auch deshalb, weil sie den Kontrast zwischen dem noch immer wie neu wirkenden Theaterbau aus dem Jahr 1994 und den in diesem Musiktheater-Doppel angerichteten Verwüstungen planvoll sichtbar machten. Erst richtete sich die Zerstörungswut gegen schlichten Hausrat, später sah man zum Massenspiel eine mit realistischer Detailfreude gestaltete Trümmerlandschaft.

Instrumental- und Stimmklang entfalten sich mit opulenter Klarheit, als Mitglieder der Hofer Symphoniker auf dem hochgefahrenen Graben spielten. Peter Kattermann leistete am Pult eine immense Zähl- und Koordinationsleistung, die ihm und allen intensiv agierenden Mitwirkenden das Publikum mit riesigem Applaus dankte. Kattermann nahm Antheils Melodik mit nüchternem, aber packend konzentriertem Gleichmut und verlieh „The Brothers“ dadurch paradoxerweise noch größere dramatische Kraft. Der Chor zischte, skandierte, ächzte, raunte. Dessen junger Leiter Ruben Hawer motivierte das hoch engagierte Kollektiv dazu, Harneits komplizierte Chorparts dennoch auswendig zu singen. Stefanie Rhaue als Frau, Markus Gruber als Zivilist, Michal Rudziński als Soldat und Annina Olivia Battaglia als „flüchtende“ Stimme verkörperten in Harneits szenischem Requiem auf ein Libretto von Xavier Zuber zutiefst eindringlich vier Personenmuster von Kriegsopfern: ein Antikriegsmemoran­dum ohne direkte Darstellung von Krieg.

Höhepunkt der Premiere war indes An­theils knapp einstündiger Katastrophenreport. Die Dreiecksgeschichte um die blinde, in ihren Reden oft Entscheidendes verschweigende Mary, die dem als Soldat in den Krieg gezogenen Ken in einem Abschiedsbrief den Laufpass gab und dessen von den Eltern begünstigten Bruder Abe heiratete, geht zutiefst unter die Haut. Die blinde Mary und der grundsympathische Abe sind tief in einer nur andeutungsweise ausgesprochenen Schuld verstrickt. Der nach dem Krieg bei dem von den Eltern begünstigten Bruder Abe und Mary unterkommende Ken zeigt erst später Gewaltpotenzial. Inga Lisa Lehr spielt Mary mit lyrisch eindringlicher Sopran-Emphase. Dazu übertüncht Antheil psychische und physische Gewalt mit weichen Klanggebilden und Melodien.

Der Tenor Minseok Kim und der Bariton Andrii Chakov reizen den Tennessee-Williams-Groove der Handlung mit psychischer Schärfe aus und dosieren physische Power mit Sensibilität für die Hitzequellen. Bei beiden steckt virile Emotionen- und Rivalitäten-Wildnis hinter prachtvollen und dabei maßhaltenden Stimmen, die zu Antheils balladesker Musik einen ganzen Roman erzählen. Am Ende liegen sie blutüberströmt im verwüsteten Eigenheim.

Roland H. Dippel

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