Berichte
Wie konnte es so weit kommen?
Valerij Lisacs Polittalk-Satire „Amusing Ourselves to Death“ in Köln
Musiktheater bedient sich gerne bei anderen Medien und Formaten, sei es Roman, Zirkus, Revue, Film, Soap Opera oder Show. Meist werden diese Darstellungsweisen einfach als alternative Ausdrucksformen adaptiert. Zuweilen jedoch werden sie selbst zum Thema und Gegenstand gemacht. Mit der freien Produktion „Amusing Ourselves to Death“ ist dem Komponisten, Videodesigner, Filmer, Performer und Regisseur Valerij Lisac zusammen mit der Bühnen- und Kostümbildnerin Lena Thelen eine ebenso analytisch treffsichere wie komische Satire über den allgegenwärtigen Polittalk im Fernsehen gelungen.

Valerij Lisac, „Amusing Ourselves to Death“ mit Lara Pietjou und Asasello Quartett, Foto: Julia Franken
Zur Uraufführung in der Alten Feuerwache Köln erscheinen vier gewöhnlich gekleidete Menschen mit Affenmasken auf dem Kopf. Die Primaten markieren ihre Reviere und Sitzplätze. Dann erscheint Lara Pietjou als Showmasterin der Sendung „Polit-Talk“ und entpuppen sich die Hominiden als Asasello Quartett beziehungsweise Gäste der Show. Im Sitzkreis signalisiert man sich gegenseitig pantomimisch Entschlossenheit, Interesse, Ablehnung, Zustimmung. Man gibt sich kämpferisch, skeptisch, neugierig, gelangweilt. Großformatige Videoprojektionen zeigen dazu im Hintergrund Politprominenz aller Couleur in Talkrunden bei Lanz, Maischberger, Will und Konsorten. Die Diskutanten sind voll bei der Sache, aber alle stumm geschaltet.
Unterdessen trägt das Streichquartett seinen ganz eigenen Disput aus, indem es Muster politischer Rhetorik in musikalische Gesten übersetzt und Goethes Vergleich des Streichquartetts mit einem „Gespräch unter vier vernünftigen Leuten“ parodiert. Der Cellist beginnt mit aggressiv auffahrendem Tritonus, die Bratschistin greift das Motiv abwägend auf, der zweite Geiger setzt einen markanten Rhythmus dagegen, während der Primarius auf zarten Flageoletts beharrt. Wie der wortlose Polittalk verselbständigen sich die Spielgesten zu tonlosen Stereotypen, die Leidenschaft, Ernsthaftigkeit und Virtuosität suggerieren. Zugleich werden Körpersprache und Mimik der Protagonisten im Video durch KI-Programme zur Gesichts- und Bewegungsanalyse mit Linien und Winkeln vermessen und nach dem Grad von Empathie, Emotion und Glaubwürdigkeit quantifiziert.
Valerij Lisac nimmt keine politischen Inhalte aufs Korn, sondern fokussiert die mediale Formatierung des Diskurses, der im Fernsehen als bloße Show inszeniert, ritualisiert, choreografiert und dramatisiert wird und dadurch die Grundvoraussetzung der deliberativen Demokratie aushöhlt. Ein schnelles Stakkato aus Videoschnipseln reiht in rein alphabetischer und daher sinnloser Folge Worthülsen wie „abschieben“, „abschaffen“, „abschotten“, „AfD“, „Afghanistan“. Es folgt eine schroffe Fuge, bei der sich alle Stimmen mit denselben Dissonanzen ankeifen, ohne aufeinander einzugehen. Zur Stilkopie eines barocken Lamentos sieht und hört man Christian Lindners Presseerklärung nach dem Bruch der „Ampel-Koalition“. Sein Satz „Ich habe gelitten“ wird dabei durch passgenaues Wiederholen und Dehnen zu einer klagenden Sequenz montiert, die den entlassenen Finanzminister parodistisch zum leidenden Christus überhöht.
Zu Bildern von Trump, Putin, Weidel, Selenskyj, Merz… eskaliert das Streichquartett zu Beethovens „Großer Fuge“ als dem Inbegriff von Dissonanz und kompromissloser Härte. Doch die vier Stimmen biegen häufiger falsch ab, bis sie schließlich bei Britney Spears „Toxic“ landen. Was als Affentheater begann, endet wieder als solches. Unter den Tiermasken lässt die wilde Meute die Sau raus, feiert, tanzt und klatscht sich mit knallenden Peitschen ab, bis alle erschlagen zusammenbrechen. Dass alle hitzigen Streitfugen und Fernsehdebatten nichts zur politischen Meinungsbildung beitragen, entlarvt am Ende lakonisch das Video einer Wahrsagerin, die einer Anruferin sagt, sie solle diese oder jene Partei nicht wählen. Nach kurzer Ohnmacht erwachen die Showgäste beziehungsweise Musiker, ziehen die Tiermasken ab, werden wieder Mensch, vielleicht auch vernünftig, und blicken fragend ins Publikum: Wie konnte es so weit kommen?
Rainer Nonnenmann |