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Kleine Künstler ganz groß

Der Kinderchor am Rhein im Portrait

Von Sibylle Eichhorn

Kinderchöre in der Oper – sie stehen als Lebkuchenkinder in „Hänsel und Gretel“ auf der Bühne, besingen das Schicksal der von Eis umgürteten Prinzessin in Puccinis „Turandot“, tollen als wildgewordene Rasselbande in „La Bohème“ über den Weihnachtsmarkt, verkörpern die Schar der Ministranten in „Tosca“ und beleben mit ihrem Spiel und ihren jungen Stimmen zahlreiche weitere Opern wie „I Pagliacci“, „Carmen“, „Die Frau ohne Schatten“, „Pique Dame“, „Werther“ oder „Der Rosenkavalier“. Dass sie noch viel mehr sein können als der frisch klingende und muntere Farbtupfer in einer „normalen“ Inszenierung, das beweisen in dieser Spielzeit die insgesamt sechzig Kinder des Kinderchors der Deutschen Oper am Rhein zusammen mit der Akademie für Chor und Musiktheater in der Uraufführung der Oper „Pinocchio“: Hier singen und spielen sie nämlich die Hauptrolle.

Anfänge

Begonnen hatte alles vor über einem Jahr. Das Regie- und Autorenduo Marius Schötz und Marthe Meinhold war von der Deutschen Oper am Rhein beauftragt worden, ein Stück zu kreieren, bei dem der Kinderchor die Hauptrolle spielt und das im weitesten Sinne mit Pinocchio zu tun haben sollte.

Marius Schötz/Marthe Meinhold, „Pinocchio“ mit Kinderchor am Rhein und der Akademie für Chor und Musiktheater sowie Torben Jürgens (Lehrerin). Foto: Jochen Quast

Marius Schötz/Marthe Meinhold, „Pinocchio“ mit Kinderchor am Rhein und der Akademie für Chor und Musiktheater sowie Torben Jürgens (Lehrerin). Foto: Jochen Quast

Ihrem bereits in früheren Produktionen etablierten Arbeitsansatz treu bleibend – nämlich möglichst viel Raum für gemeinschaftliche Entwicklung, künstlerische Schaffensprozesse und authentischen Ausdruck zu lassen –, startete das Künstlerteam gemeinsam mit dem Kinderchor bei einem einwöchigen Work­shop in die neue Produktion. Zunächst durchleuchteten Schötz und Meinhold mit den künftigen jungen Hauptdarstellern von 6 bis 17 Jahren die unterschiedlichen Situationen und Abenteuer, in die Pinocchio im Laufe seiner Entwicklung buchstäblich hineingespült wird. Zusammen sammelte man auf diese Weise über sechshundert Seiten Material, wo­raus dann die spätere Oper entstand.

Kinderstimmen über „Pinocchio“

Ganz viele Ideen von uns sind in diese Oper mit eingeflossen und das finde ich einfach toll, dass die beiden Regisseure das auch mit eingearbeitet haben.

Es ist einfach eine komplett neue Erfahrung; wir haben zwar schon in anderen Opern gesungen, aber das ist eine Oper, wo wir die Hauptrolle sind und es macht einfach unglaublich Spaß.

Vor allen Dingen, habe ich mehr ein Raumgefühl entwickelt; wir müssen halt auf der Bühne immer sehr aufpassen, wo wir hingehen und was wir machen.

Wir haben jetzt wirklich alle so ein Gefühl fürs Schauspielern und können das schon so erkennen: was könnte man jetzt machen, damit das gut aussieht, damit das realistisch aussieht.

Also ich häkele sehr gerne und ehrlich gesagt, das ist ein Stück Gehäkeltes. Durch diese Oper „Pinocchio“ werden wir so zusammengehäkelt.

Komponist Marius Schötz berichtet über spannende Diskurse mit den Kindern zu scheinbar simplen Fragen: „Was würdet ihr an Pinocchios Stelle machen, wenn ihr in so eine Situation geratet, oder wie findet ihr das, was da passiert?“ Die Reaktionen der Kinder beschreibt Schötz als „viel tiefgreifender, philosophischer und komplexer“ als alles, was ursprünglich im Buch steht und auch als das, was das erwachsene Autorenteam erwartet hätte. So wurden zum Beispiel unterschiedliche Aspekte der Handynutzung diskutiert, oder die Frage, ob Süßigkeiten toll sind und in einem perfekten Land jeder immer so viel davon haben solle wie er möchte. Erste Impulse und spontane Antworten dazu wurden von den Kindern rasch in Frage gestellt und reflektiert, andere Sichtweisen kamen zur Sprache, wurden gehört und respektiert. Die Kinder begannen im Workshop eigenständig darüber nachzudenken, auf welche Weise man überhaupt lernen kann, wie es sich mit der Beurteilung und möglichen Befolgung von Ratschlägen verhält und wie man zu eigenen Entscheidungen findet. Gleichzeitig schufen sie mit ihren Überlegungen die Textgrundlage für das spätere Stück. Auf meine Frage an die beiden Regisseure, ob sie bei ihrer Erforschung des Pinocchio-Stoffes von Carlo Collodi nicht eigentlich so eine Art Philosophieseminar mit den Kindern veranstaltet hätten, kam prompt die Antwort: „Ja, die mit uns!“.

Entdecken

Ein Samstagmorgen im Februar auf der Probebühne. 28 Kinder sitzen erwartungsvoll auf dem Boden und lauschen konzentriert den Worten des Choreografen Lin Verleger. Es sind die „Kleinen“ von zirka 6 bis 10 Jahren, der so genannte „Vorchor“. Sie singen und spielen in „Pinocchio“ die Rollen der Grille und der Schlange. Die Probe beginnt mit einem Warm Up: durch den Raum laufen, sich dehnen, strecken, auf dem Boden krabbeln, rückwärts und seitlich gehen, Stop and Go, so hoch wie möglich und so leise wie möglich springen. Ein Schokoladeneis spielen, das schmilzt. Der Grillentanz: rechts, links, rechts, eins, zwei, drei. Wie springt eine Grille an die Decke?

Kinderchor am Rhein und Akademie für Chor und Musiktheater bei der Probe zu „Pinocchio“. Foto: Daniel Senzek

Kinderchor am Rhein und Akademie für Chor und Musiktheater bei der Probe zu „Pinocchio“. Foto: Daniel Senzek

Jedes Kind findet seinen individuellen Weg, seine eigene Sprache. Spielerisch werden Bewegungsmöglichkeiten und Ausdrucksformen erkundet und gleichzeitig üben die Kinder, miteinander als ein Charakter, ein Körper zu agieren. Dennoch haftet dem Geschehen zu keinem Zeitpunkt etwas Uniformiertes oder Gedrilltes an. Zum Abschluss fragt der Choreograf: hat es Euch Spaß gemacht? „Jaaaaa!“ erschallt es einhellig begeistert aus 28 Mündern. Nach der Pause geht es mit den „Großen“ weiter. Entspannungsübungen am Boden, leichtes Dehnen und Drehen, Schulung der Körperwahrnehmung. Konzentrierte Stille im Raum, nur vereinzelt ein kleines Kichern. Fallen und Aufstehen, ohne sich wehzutun. Wie rolle ich am Boden liegend über die Bühne, ohne die Orientierung zu verlieren? Schon nach kurzer Zeit muten die Bewegungen wie das Training einer professionellen Tanzkompanie an. Wirklich alle machen mit, probieren sich aus, geben sich Mühe, nehmen die Aufgaben ernst und sind sichtbar mit ganzem Herzen dabei. Die Räume der Probebühne erfahren an diesem Vormittag mitreißende Wellen von Entdeckerfreude, positiver und lebensvoller Energie.

Theaterzauber

Einige Wochen später ist zu erleben, wie die Kinder sichtlich in ihre Arbeit als Darsteller hineingewachsen sind. Zum Probenbeginn sitzen alle miteinander im Kreis, hören die Ansagen des Regieteams, stellen ihre Fragen – und es sieht aus, als wären die jungen Künstler in dieser Arbeitssituation bereits ganz zu Hause. Nach den ersten Aufwärmübungen – Klopfen, Schütteln, Springen – werden die für Pinocchio benötigten Bewegungsabläufe geübt: am Boden liegen und sich als Holzpuppe ins Sitzen bringen. Wie geht das? Wie fühlt sich eine Puppe, wie bewegt sie ihren Körper?

Obwohl alles noch neu ist, entsteht bereits eine Art Zauber: diese spezielle Art von Theaterzauber, der unabhängig von Kostümen, Licht oder Bühnenbild lebt und vibriert, der aus der Vorstellungskraft, dem Gedanken, der Aufmerksamkeit und der Liebe zum Spiel erwächst. Ein Zauber, aus dem dieser spezielle Funke entspringt, der letztlich auch den Orchestergraben und die Distanz eines großen Theatersaales zu überwinden und in Lichtgeschwindigkeit die Herzen der Zuschauer zu erreichen vermag. Bis „Pause“ gerufen wird, halten die Kinder konzentriert anderthalb Stunden durch, dann setzen sich alle in Grüppchen zusammen, es werden Trinkflaschen und Lunchboxen ausgepackt, es wird gesprochen und erzählt, aber dabei ist es viel stiller, als die Anwesenheit von fast 40 Kindern und Jugendlichen im Raum eigentlich erwarten ließe. Aus einer Ecke erklingt spontan mehrstimmiger Gesang, Kichern, Lachen, ein paar Gesprächsfetzen …

Singen

Sabina López, seit über zehn Jahren Leiterin des Kinderchors am Rhein, bereitet die jungen Sängerinnen und Sänger nicht nur für ihre Auftritte in der Oper oder auf der Konzertbühne, sondern auch in der Probe auf ihren stimmlichen Einsatz vor: zunächst wird der Körper gelockert – mit Schütteln, Klopfen, Springen, Atmen –, erst dann geht es ans eigentliche Singen. „Die So - die So - die So-o-onne“ geht es immer höher hinauf und strahlt aus den jungen Kehlen scheinbar mühelos durch den Saal.

Kinderstimmen über das Chorsingen

Das Singen ist für mich das Schönste, was es gibt und das hätte ich ohne den Chor ja gar nicht gewusst.

Ich freue mich auf jede Probe… und es macht einfach durchgängig Spaß.

Das ist so ein schönes Gefühl, so viele Glückshormone, die ich da bekomme.

Es macht Spaß, weil unsere Chorleiterin, Frau López, einfach eine der liebsten Personen auf dieser Welt ist und uns immer super motiviert und uns keinen Druck macht.

Ich würde auf jeden Fall all meinen Freunden, denen das Singen Spaß macht, empfehlen hier hinzukommen.

Sabina López ist durch frühe eigene Erfahrungen als Mitglied eines Kinderchores, über eine klassische Gesangsausbildung und den späteren Studiengang „Singen mit Kindern und Jugendlichen“ an der Folkwang-Universität in Essen buchstäblich in die professionelle Beschäftigung mit Kinderchören hineingewachsen. Bei ihrer musikalischen Arbeit mit den jungen Stimmen kann sie somit nicht nur aus reichem eigenen Erleben und Wissen schöpfen, sondern auch bedeutsame kritische Punkte benennen: Häufig lernen Kinder das Singen nicht mehr auf natürliche Weise, da über weite Strecken ein förderliches stimmliches Leitbild fehlt, denn Eltern und Erzieher singen mit den Kindern entweder gar nicht oder aber in zu tiefer (Sprech-)Lage, was für die jugendlichen Stimmen nicht gesund ist. Auch Rock- oder Popmusik setzen für die vokale Entwicklung oft kontraproduktive Akzente, indem die Stimme einen zu tiefen, perkussiven oder forcierten Einsatz erfährt und so falsche Vorbilder generiert werden.

Kinderchor am Rhein und Akademie für Chor und Musiktheater sowie im Hintergrund Charlotte Langner (Besitzerin vom Spielzeugland / Fuchs) bei der Probe zu „Pinocchio“.

Kinderchor am Rhein und Akademie für Chor und Musiktheater sowie im Hintergrund Charlotte Langner (Besitzerin vom Spielzeugland / Fuchs) bei der Probe zu „Pinocchio“. Foto: Daniel Senzek

Genau hier setzt die sängerische Arbeit der Kinderchorleiterin an: das Gefühl für entspannten Melodiefluss und Kopfstimme zu entwickeln, die richtige Stimmlage zu finden, dabei den natürlichen Tonumfang sensibel und ohne Druck auszuloten. Die Stimme soll einerseits ausgebildet und bis zu einem gewissen Grade gefordert werden, aber es muss dabei immer die natürliche, ganz persönliche und gesunde Kinderstimme sein. Nichts Nachgemachtes oder künstlich Erzeugtes.

Diese grundlegende Arbeit geschieht neben dem gemeinsamen Singen im Chor in kleinen Gruppen, um die Kinderstimmen in ihren unterschiedlichen Entwicklungsstadien individuell und verantwortungsvoll begleiten zu können, beispielsweise auch während des Stimmbruchs. Wie steht es um die Intonation? Hat der Ton zu viel Luft? Mit welchen Übungen lässt sich das verbessern? Wie können die Kinder bei ihrem Singen in spielerischer Weise unterstützt werden, damit sie sich besser fühlen und die Stimmen sich auf natürlichem Wege in die passende Lage hinein entwickeln können? Hier ist auch die Schulung von Selbstwahrnehmung und Selbstkontrolle der jungen Sängerinnen und Sänger von Bedeutung.

Kinderstimmen über Gemeinschaft

Wir sind ja eine Gemeinschaft und wir haben auch dadurch viel gelernt.

Ich habe einfach richtig viele liebe und nette Menschen kennengelernt…, also ich kenne jetzt niemanden aus dem Chor, der blöd ist, sondern es macht immer Spaß da zu singen.

Hier im Chor mit euch fühle ich mich total wohl und es macht einfach sehr viel Spaß. Ich glaube, es wäre nicht so, hätte ich euch nicht.

Man wurde einfach so gut aufgenommen von allen anderen und es hat einfach beim ersten Mal direkt Spaß gemacht.

Ich dachte, ja, das ist der Chor, wo ich hin möchte.

Beim genauen Hinschauen ist übrigens zu verzeichnen, dass der Chor fast ausnahmslos aus Mädchen besteht und sich bedauerlicherweise nur sehr wenige Jungen darunter befinden.

Gelten Singen, Tanzen und Schauspiel bei den jungen Herren tatsächlich als „uncool“? Das wäre wirklich schade. Die Korrektur dieses vermuteten Vorurteils könnte vielleicht ein Ansatz bei der musikpädagogischen Betreuung in Kindergärten und Schulen sein.

Dass Singen noch viel mehr bedeutet als Tonerzeugung zur rechten Zeit auf korrekter Höhe, erläutert Chorleiterin Sabina López im Zusammenhang mit der Sprachförderung für Kinder. Bevor kleine Kinder anfangen zu sprechen, singen sie häufig schon. Bereits Babys malen unterschiedliche Laute in unterschiedlichen Tonhöhen und sind in der Lage, Emotionen wie Freude, Erstaunen oder Schmerz zu äußern, lange bevor sie sich verbal ausdrücken. Auch wenn beispielsweise ausländische Kinder die deutsche Sprache noch nicht beherrschen, so sind sie doch bald in der Lage, Kinder- oder Volkslieder mitzusingen und sich dadurch als Teil der Gemeinschaft zu fühlen.

Zudem lehrt Singen etwas über Individualität und Vielfalt – jede Stimme ist unterschiedlich. Die eine Stimme kann vielleicht besonders hoch singen, eine andere besitzt dafür mehr Volumen, einen auffallend warmen oder besonders hellen Klang. Den Varianten sind keine Grenzen gesetzt, es gibt keine Schablone, in die alle hineinpassen müssen, sondern jede Stimme ist auf ihre spezielle Weise schön.

Kinderstimmen über Lampenfieber

Ich bin immer sehr aufgeregt, wenn ich auf der Bühne stehe und wirklich Vorstellung ist. Aber weil es einfach so viel Spaß macht und weil halt alle anderen da sind, fühlt man sich trotzdem sicher. Man ist zwar aufgeregt, aber es ist so eine positive Aufregung.

Ich finde, auf der Bühne geben die anderen einem auch so ein Gefühl von Sicherheit, weil man weiß, man kann sich an denen orientieren.

Ich war vor allen Dingen vor der Premiere immer sehr nervös und durch euch wurde mir diese Nervosität immer ein bisschen genommen.

Bei „Tosca“ habe ich gemerkt: ich singe nicht für das Publikum, ich singe für uns! Ich bin halt so in einer eigenen kleinen Welt mit allen anderen. Also ich blende das Publikum vollkommen aus, als wäre es einfach nur so, als würden wir uns irgendwie treffen und irgendwas spielen.

Dies zu erkennen und wertzuschätzen, anstatt sich im Konkurrenzkampf um ein „Besser, Schneller, Höher“ aufzureiben, ist eine der Motivationen, die Sabina López in ihrer Arbeit mit den Kindern besonders am Herzen liegen. Und last not least: Singen ist etwas, wofür wirklich alle ihr Instrument bereits dabei haben; man muss nichts extra anschaffen oder in großen Koffern transportieren, auch braucht man in der Wohnung keinen extra Platz zu schaffen, um die eigene Stimme erklingen lassen zu können.

Auf die Bühne!

Und wie kommt nun alles zusammen? Singen, Tanzen, Spielen und die Geschichte von Pinocchio – dargestellt von vierzig Kindern in der Hauptpartie, die über pausenlose anderthalb Stunden auf der Bühne sein werden? Schließlich ist dies das erste Mal, dass der Kinderchor mit einer Hauptrolle auf der Opernbühne steht.

Marius Schötz/Marthe Meinhold, „Pinocchio“ mit dem Kinderchor am Rhein und der Akademie für Chor und Musiktheater als Grillen. Foto: Jochen Quast

Marius Schötz/Marthe Meinhold, „Pinocchio“ mit dem Kinderchor am Rhein und der Akademie für Chor und Musiktheater als Grillen. Foto: Jochen Quast

Und zugleich hat Marius Schötz mit „Pinocchio“ seine erste Oper komponiert und erschafft gemeinsam mit Marthe Meinhold erstmalig eine Inszenierung mit Kindern und für Kinder. Wer allerdings die Probenarbeit miterlebt, mag beides fast nicht glauben. Alles wirkt so vertraut, entspannt und freundlich, als hätten die beiden Regisseure und die Kinder nie etwas anderes miteinander getan – konzentriert, produktiv, stets voller Respekt, Wertschätzung und mit Begegnung auf Augenhöhe.

Schötz und Meinhold beschreiben die jungen Darsteller als „Experten des Alltags“, als ernstzunehmende Partner, und schildern, wie sensibel und offen sie die Kinder bei der Arbeit erleben. In radikal liebevoller Weise zeichnen sie ihre Idee von durch und durch lebendigen Pinocchios als vollkommen authentischen, heutigen Kindern, die dieser Welt und ihren Herausforderungen begegnen. Gleichzeitig beschreiben sie die eigene Suche nach Balance, im Stoff sowohl das unterhaltende Element zu zeigen als auch inhaltliche Tiefe stattfinden zu lassen, sowie ihren Umgang mit Unsicherheiten und das aus diesem ganzen Prozess erwachsende Geschenk von innerem Vertrauen und einer Art Furchtlosigkeit. Dass dies kein geradliniger, fertiggepflasterter und beschilderter Weg
sein kann, sondern ein suchender Prozess, in dem Dinge erfragt werden, im Laufe dessen sich herangetastet und zuweilen auch scheinbar unsicheres Terrain betreten wird, liegt auf der Hand.

Kinderstimmen über ihre Lieblingsopern

Ich muss ganz ehrlich sagen, ich liebe alle Opern, bei denen ich bis jetzt mitgespielt habe. Das waren „Tosca“, „Turandot“ und jetzt „Pinocchio“. Im Vergleich zu „Tosca“ fand ich bei „Turandot“ den Gesang viel schöner. Aber bei „Tosca“ fand ich das Schauspiel viel schöner. Und bei „Pinocchio“ finde ich einfach cool, dass wir auch auf der Bühne fluchen können.

Meine Lieblings-Oper ist „Orpheus in der Unterwelt“, das war total lustig. Und ich glaube, das war auch das erste Mal, wo ich so richtig gedacht habe, das würde Spaß machen, da auch mal so wirklich mitzusingen und mitzuwirken.

Dann so auf der Bühne zu stehen und Spaß zu haben, wenn man merkt: das ist, was ich machen möchte – vielleicht öffnet einem das auch eine ganz neue Orientierung so für die Berufswelt und vielleicht möchte man das ja später mal machen.

Turandot“, weil es wunderschöne Musik ist und auch die Stellen, die wir singen, einfach wunderschön sind.

Puccini hat sehr viel Liebe geschrieben. Das hat man wirklich auch an der Musik gemerkt. Dann wurde er irgendwie traurig, irgendwie richtig mit Hormonen gefüllt.

Carmen“ ist eine meiner Lieblingsopern. Da habe ich einen Kinderchor gesehen und damals gedacht, wow, die dürfen schon auf dieser Bühne sein, das möchte ich auch machen.

Meine Lieblings-Oper ist auf jeden Fall „Pinocchio“. Sie ist so kinderfreundlich und es macht auch einfach Spaß, auf der Bühne zu stehen.

Aber gerade das erzählt beim Zuhören für mich etwas Wunderschönes, nicht allein über das Entstehen von Theater, sondern auch über das Leben. Über das Leben, das Pinocchio von Abenteuer zu Abenteuer, durch seine Begegnungen mit Fuchs und Kater, der schrillen Lehrerin, einer mysteriösen Fee und dem Inneren des Riesenwalfischs tiefer und genauer erfährt, so dass er sich dabei selbst und seine Umwelt immer mehr kennenlernt. So erlebt Pinocchio mit jedem Schritt, den er neu unternimmt, nicht nur, dass der Boden trotz aller Irrtümer und Verfehlungen letztlich trägt, sondern weit darüber hinaus schreibt dieser kleine „Holzjunge“ seine ganz persönliche Geschichte vom Lernen, Erwachsenwerden und letztlich Menschwerden: „Vielleicht lerne ich hier gerade was. Und zwar, wie ich meinen Kopf einsetze und wie ich mein Herz einsetze. Und zum Schluss weiß ich nur, dass ich das kann.“

Premiere

„Pinocchio“ mit Kinderchor am Rhein und der Akademie für Chor und Musiktheater. Foto: Jochen Quast

„Pinocchio“ mit Kinderchor am Rhein und der Akademie für Chor und Musiktheater. Foto: Jochen Quast

Als nach Wochen und Monaten der gemeinsamen Arbeit schließlich der Vorhang aufgeht und den Blick auf die fertige Inszenierung mit vierzig kleinen, in beeindruckendem Gleichklang agierenden und dabei vollkommen individuell erscheinenden Pinocchios freigibt, als die kleinen Grillen lautlos und hoch springend die Bühne bevölkern, die jungen und frischen Stimmen den Saal des Theaters leuchten lassen und nach dem letzten Akkord der Jubel und Applaus aus Kinder- und Erwachsenenhänden nicht enden will – spätestens da wird klar, dass sich dieses Opernwagnis mehr als gelohnt hat. Doch weit hinaus über diese neunzig anrührenden und poetischen Theaterminuten wird kleinen wie großen Zuschauern die ermutigende und tiefgreifende Erkenntnis geschenkt: Dass es immer sinnvoll ist, sich auf den Weg zu begeben und Dinge zu tun, die man bis dahin noch nie getan hat, dass es im Märchen wie im echten Leben gut und lohnend sein kann, etwas zu wagen, sich zu fragen, füreinander da zu sein und sich einfach einzulassen auf das Abenteuer, das Lernen und das Wachsen. Und dass es am Ende sogar möglich ist, aus dem Bauch eines Riesenwalfischs wieder hinauszukommen, falls der einen mal versehentlich verschlucken sollte.

  • Die blockweise gesetzten Zitate der „Kinderstimmen“ stammen aus Gesprächen mit Alexandra, Alina, Annika, Anton, Charlotte, Constanze (Conzi), Hannah, Katharina, Kathrin, Lilith, Lotta, Maria und Milena vom Kinderchor am Rhein.
  • Die Uraufführung der Oper „Pinocchio“ von Marius Schötz und Marthe Meinhold nach der Vorlage des Autors Carlo Collodi fand am 27. April 2025 im Theater Duisburg statt und wird in der kommenden Spielzeit ab dem 30. Oktober im Opernhaus Düsseldorf wieder zu erleben sein.
  • Interessenten für den Kinderchor am Rhein können sich gern bei Sabina López Miguez melden. Tel.: +49 173 255 93 55 / E-Mail: kinderchor@operamrhein.de
  • Informationen über die Arbeit der Akademie für Chor und Musiktheater unter: https://www.akademie-fuer-chor-und-musiktheater.de/

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