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Berichte

Spanische Schicksalskarten

Bizets „Carmen“ und Rossinis „Moses in Ägypten“ bei den Bregenzer Festspielen

Die Tabakfabrik und die Schmugglerpfade von Carmens Freundesquartett können auch unterhalb von Sevilla am Meer liegen – der Bodensee kann also durchaus mitspielen: Carmen entzieht sich ihrer Verhaftung durch einen Sprung ins Wasser und schwimmt davon. Doch Bühnenarchitektin Es Devlin hat zusammen mit Regisseur Kasper Holten hauptsächlich Carmens Todesahnung aus dem zentralen Terzett mit Frasquita und Mercedes visualisiert: „Karo, Pik – der Tod! Die Karten lügen nicht“, singt die schicksalsgläubige Carmen und so werfen die Hände ihrer zwei aus dem Wasser auftauchenden, 21 Meter hohen Unterarme nicht nur 15 Karten in die Luft, weitere 28 bilden wirr den Bühnenboden und rutschen in den See. Schon in der Ouvertüre legte sich ein verwaistes Carmen-Kind die Karten, die ihr ein Junge wegnahm – und sie lernte, dass ein berechnender Kuss ihr die Karten zurückbrachte. Das prägte das Verhalten der erwachsenen, jetzt hinreißend verführerischen Carmen zu Morales, Zuniga, zu Soldaten und Schmugglern wie auch zu Escamillo und José. Bei all dem spielten in technisch perfekten Wechseln die Video-Projektionen von Luke Halls mit: Carmen beginnt als Herz-Dame und endet als Pik, José wechselt vom Herz-Buben über Karo in Kreuz, Escamillo bringt Pik-Ass ins Spiel, alles wirbelt bunt bei Lillas Pastia und vor Sevillas Arena. Die vorderen Karten können ins Wasser abgesenkt werden, und so wurde die Tarantella bei Lillas Pastia in Signe Fabricius’ Choreografie zu einem rhythmisch genauen, lebensfroh überschäumenden Spritz-Ballett mit Szenenbeifall.

Die Trübung der Gefühle ließ auch die Karten verfließen, und bei ihrer final tödlichen Begegnung versanken Carmen und José immer tiefer im Wasser: Er ertränkte sie schließlich gewaltsam – was Gaëlle Arquez nach betörendem Gesang bewundernswert sportiv mitmachte – mit einer unsichtbaren Sauerstoffflasche unter Wasser. So leichtfüßig Paolo Carignani mit den Wiener Symphonikern der Opéra-comique-Charakter des Werkes gelang: Hinter der überragenden Arquez-Carmen und der schön singenden Elena Tsagallova als Micaela blieben alle Männer vokal zurück.

Carmens (Gaëlle Arquez) Spiel mit den Soldaten. Foto: Bregenzer Festspiele/Karl Forster

Carmens (Gaëlle Arquez) Spiel mit den Soldaten. Foto: Bregenzer Festspiele/Karl Forster

Gemäß der „Bregenzer Dramaturgie“ gab es im Festspielhaus die „Orchidee“: „Mosé“, mit dem 1818/1819 Neapels Intendanz das Opern-Verbot während der Fastenzeit zu umgehen versuchte – mit der Vertonung der alttestamentarischen Erzählung von Israels ägyptischer Gefangenschaft und Moses Verhängung der sieben Plagen, von Israels Gang durch das Rote Meer und dem Untergang der pharaonischen Verfolger. Rossinis „azione tragico sacrale“ ist um die Liebesgeschichte zwischen dem Pharao-Sohn und einer Israelitin angereichert. All das sollten Regisseurin Lotte de Beer und die Puppenspieler-Truppe von „Hotel Modern“ bewältigen. Christof Hetzer hatte dafür eine Sandwüste gebaut, im Zentrum eine Rautenkugel für Weltraum-Antennen, umkreist von einem bespielbaren Podestring mit zwei Stegen. Drei „Hotel Modern“-Spieler agierten mal vorne, mal seitlich, mal quer über die Bühne mit ihren kleinen Modellbauten voller Drahtgestellpüppchen, die sehr gekonnt ausgeleuchtet und per Kamera als Großbild auf einen Zwischenvorhang oder die Rautenkugel projiziert wurden.

Das gelang für die Heuschrecken-Plage, die Sonnenfinsternis sowie den Feuersturm und scheiterte kläglich bei der großen „Rotes Meer“-Sequenz. Die drei Spieler arrangierten aber auch mal die menschlichen Solisten und den Chor zu Film-Stills, schauten wiederholt nur zu oder aßen gelangweilt einen Apfel. Noch während der Musiktheaterfreund über Brechts Verfremdungseffekt, gleichnishaftes Oratorien-Spiel, über die Brechung aller Theaterillusion und den Abschied vom psychologisch realistischen Spiel hin zur Postdramatik grübelte, war einfach festzustellen: banale Personenregie von Lotte de Beer; sinnlos ablenkender Aktionismus der Puppenspieler; viel Aufwand und dürres Ergebnis. Dirigent Enrique Mazzola machte mit den Wiener Symphonikern hörbar, dass Rossini viel gediegene Gebrauchsmusik und nur mit „Mi manca la voce“ ein traumhaftes Pianissimo-Quartett komponiert hat, dazu am Ende ein bewegendes Gebet der Flüchtenden, das vor Verdis „Va pensiero“ ähnlich populär war. Doch Mazzola konnte nicht darüber hinweg musizieren, dass bis auf zwei Frauenstimmen vokale Dürre herrschte. Im Bregenzer Bild: eine musikalisch-szenische Orchidee, die man sich nicht ins Zimmer stellen würde.

Wolf-Dieter Peter

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