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Kulturpolitik

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Keine Klarheit: Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Tarifeinheitsgesetz

Am 11.07.2017 wurde in Karlsruhe das mit Spannung erwartete Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Tarifeinheitsgesetz (TEG) verkündet. Um es vorweg zu nehmen: Trotz eines Teilerfolgs der beschwerdeführenden Gewerkschaften ist die erhoffte Rechtssicherheit nicht hergestellt worden. Das Gesetz ist nach dem Urteil zwar grundsätzlich verfassungsgemäß; die Kernregelung des durch das TEG eingeführten § 4a TVG, die die Verdrängung des „Minderheitstarifvertrages“ durch den „Mehrheitstarifvertrag“ in einem Betrieb vorsieht, wahrt jedoch nicht hinreichend die Interessen der Berufsgruppen, für die der „Minderheitstarifvertrag“ abgeschlossen worden ist, und ist insoweit mit Artikel 9 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) nicht vereinbar. Dennoch wird diese Regelung nicht für nichtig, sondern – mit einer Vielzahl von Auslegungshinweisen – für weiter anwendbar erklärt; der Gesetzgeber ist gehalten, bis zum 31.12.2018 nachzubessern. Schon diese höchst eigenartige Tenorierung lässt erkennen, dass das Urteil in sich widersprüchlich und inkonsistent ist – dies setzt sich in der Begründung fort.

Zutreffend wird bejaht, dass das Gesetz in den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG, der das Grundrecht der Koalitionsfreiheit regelt, eingreift und dieses nicht nur ausgestaltet. Die Voraussetzungen, unter denen ein solcher Eingriff zulässig ist, werden durchaus plausibel definiert. Problematisch ist jedoch zum Einen, wie der Senat die Regelungen im Licht dieser Prämissen auslegt, zum Anderen, wie er deren mögliche tatsächliche Auswirkungen einschätzt.

So wird beispielsweise festgestellt, dass die Koalitionsfreiheit (nur) zugunsten anderer Ziele mit Verfassungsrang einschränkbar ist; derartige Ziele werden aber konkret nicht benannt. Insbesondere können hierfür, ungeachtet dessen, ob das Gesetz zu ihrer Erreichung überhaupt geeignet ist (auch diese Frage wird im Urteil nicht überzeugend behandelt), nicht die von der Bundesregierung genannten Ziele – vor allem die Einschränkung von Arbeitskämpfen und innerbetriebliche Lohngerechtigkeit – herhalten. Beide haben keinen Verfassungsrang. Damit geht auch der die Urteilsbegründung mittragende Einschätzungsvorrang des Gesetzgebers bezüglich der Regelung der Strukturbedingungen der Tarifautonomie ins Leere: Wie an anderer Stelle festgestellt, liegt hier eben keine bloße Regelung, sondern ein Grundrechtseingriff vor.

Weiterhin stellt die Begründung in Abrede, dass durch das betriebliche Mehrheitsprinzip grundsätzlich Branchengewerkschaften bevorzugt, Berufsgewerkschaften aber benachteiligt werden. Die Formulierung „Interessen der Berufsgruppen, deren Tarifvertrag (…) verdrängt wird“ im Urteilsspruch jedoch macht klar, dass auch im Bewusstsein des Senats genau dies die Folge des Gesetzes ist.

Dass das betriebsbezogene Mehrheitsprinzip den Flächentarifvertrag als Grundmuster erheblich beeinträchtigt, sieht der Senat zwar, sieht sich aber nicht veranlasst, dadurch die Eignung des Gesetzes zur Herstellung eines Tariffriedens in Frage zu stellen. Insbesondere die Ausführungen zu diesem Punkt zeigen eine Besorgnis erregende Praxisferne. Der Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers wird hier sichtlich überdehnt. Die Feststellung, § 4a TVG sei tarifdispositiv, vermag dies nicht zu heilen, da diese Wirkung wiederum nur bei Einvernehmen aller Beteiligten erzielbar ist.

Immerhin wird – entgegen den Ausführungen der Bundesregierung in der Gesetzesbegründung – klargestellt, dass das Gesetz sich nicht auf die Zulässigkeit von Arbeitskampfmaßnahmen und damit ver-
bundene Haftungsrisiken auswirkt.

Inkonsequent ist schließlich, dass die vom Senat festgestellten Grundrechtsverletzungen in § 4a TVG nicht dazu führen, dass diese Norm für nichtig erklärt wird, sondern dass sie ausdrücklich (zunächst) in Kraft bleibt. Diese Variante ist nur statthaft, wenn ein überragendes Regelungsinteresse es verbietet, ein Norm-Vakuum entstehen zu lassen. Hierfür fehlt im vorliegenden Fall jeglicher Anhaltspunkt.

Dass schließlich die verfassungskonforme Auslegung dieses höchst problematischen Gesetzes ausdrücklich auf die Fachgerichte verlagert ist, strapaziert die Belastbarkeit des Rechtsstaatsprinzips in erheblicher Weise und wird allen Beteiligten neben jahrelanger Rechtsunsicherheit erhebliche Kosten aufbürden.

Viel überzeugender als das Urteil selbst ist die abweichende Meinung der Senatsmitglieder Baer und Paulus, die, gestützt u.a. auf eine kritische Einschätzung des Regelungszweckes sowie eine erheblich praxisnähere Sicht der möglichen Auswirkungen des Gesetzes, die Auffassung vertreten, dass jedenfalls dessen § 4a aufgrund seiner – teilweise ja auch im Urteil beschriebenen – gravierenden Mängel für nichtig zu erklären gewesen wäre. Zumindest mittelbar gibt die abweichende Meinung auch der naheliegenden Vermutung Ausdruck, dass der Senat sich von der breiten Front aus Dachverbänden der Branchengewerkschaften und der Arbeitgeberverbände sowie der großen Koalition hat beeinflussen lassen.

Soweit einige – nicht abschließende – Anmerkungen. Mit diesem Urteil ist übrigens formal die Verfassungsbeschwerde von VdO und GDBA noch nicht beschieden; es steht jedoch fest, dass diese zu keinem anderen Ergebnis führen wird. Ein entsprechender Beschluss des Gerichts wird in absehbarer Zeit ergehen. Liegt dieser vor, wird zu prüfen sein, ob es sachlich geboten und juristisch aussichtsreich ist, die Sache vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu bringen. Dabei wird es eine entscheidende Rolle spielen, ob und wie der Senat auf die Besonderheiten des Theaterbetriebs eingehen wird, die im vorliegenden Urteil nicht behandelt werden.


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