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Untrennbare Komponenten

Aktuelle Tendenzen im Bühnenbild für den Tanz

Saisonschluss beim Hamburg Ballett. Die Compagnie verabschiedet sich mit der mehrstündigen Nijinsky-Gala in die Sommerpause. Entgegen international üblichen Gala-Gepflogenheiten spielen hier auch die Techniker mit. Sie lassen zu den hauseigenen Nummern die kompletten Bühnenbildsets der jeweiligen Werkausschnitte aus dem Schnürboden herab. Beim opulent in weinrot-gold bemalten Dekor für John Neumeiers dritten „Nussknacker“-Akt – ein bekannt-augengefälliger Jürgen-Rose-Wurf – gibt es spontan Applaus: für die Kulissenhänger und für einen Hintergrundprospekt, der die Illusion unterstützt, das visuell beabsichtigte Hoftheater ginge hinter einem Vorhang noch weiter. Ein seit Jahrhunderten gebräuchlicher, immer noch erfolgreicher, in seiner harmonisch-barocken Symmetrie heute jedoch eher konventioneller Rahmen für ein Ballett.

An diesem 16. Juli tanzten darin drei Hauptpaar-Besetzungen gleichzeitig den Grand Pas de deux. Folglich mussten sich die sechs Tänzer für ihre teils überlappenden Einsätze gut abgestimmt auf der sonst leeren Bühne platzieren. Ganz anders die Raumsituation zwei Wochen zuvor. Neumeiers Uraufführung „Anna Karenina“ eröffnete die 43. Balletttage an der Elbe. Beidseitig eingesetzte und verschiedentlich zu kombinierende, mobile Stellwände, einige mit Türen, eine verschiebbare Treppe und Mobiliar, über das die Choreografie hinwegfloss, suggerierten unterschiedliche Schauplätze. Das Auf- und Abtreten der Protagonisten ist dadurch unvorhersehbarer und ereignet sich nur noch gelegentlich über die Seitengassen.

Demis Volpis „Death in Venice“ in Stuttgart mit Matthias Klink als Gustav von Aschenbach. Foto: Oper Stuttgart

Demis Volpis „Death in Venice“ in Stuttgart mit Matthias Klink als Gustav von Aschenbach. Foto: Oper Stuttgart

In den auf dem Land spielenden Szenen arbeitet Neumeier – Choreograf und Ausstatter in Personalunion – mit filmhaft-realistischer Kontrastdramaturgie. Sein Lewin thront auf Heuballen. Daneben prunkt ein veritabler Traktor, mit dem die Tänzer auch herumkurven. In Kombination mit dazu passender Musik – Ohrwürmer wie „Moonshadow“ oder „Morning has broken“ von Cat Stevens – und rustikalem Schrittvokabular entfaltet dieses Lokalkolorit aus wenigen Versatzstücken seine ganze Wirkung. Tanz, Klang und optische Anmutung verschmelzen zu einem unmittelbar zuordenbaren Ambiente, das zudem ausreichend Platz für Bewegung lässt und in Windeseile sogar bei offener Bühne umgemodelt werden kann.

Apropos Dekor, also der hübsche Rahmen für die Sparte Tanz: Da kommen einem die von Künstlern (unter anderem rosalie) gestalteten Prospekte zu Uwe Scholz‘ sinfonischen Tanzwerken in den Sinn. Das Drumherum kann aber auch eine funktionale Requisite großen Maßstabs oder selbst Teil der Choreografie und in Bewegung sein. Unlängst hat der ehemalige Stuttgarter Hauschoreograf Demis Volpi letztere Variante in seiner Inszenierung von Brittens „Death in Venice“ überzeugend auf die Spitze getrieben. Eine Ausstattung, die das Verständnis des Publikums stimuliert und schnelle Übergänge ermöglicht, kommt dem Drive vieler Aufführungen entgegen. Besonders dort, wo – ohne ins Stocken zu geraten – mit der flüchtigen Kunst des Balletts Geschichten (geradlinig oder parallel auf mehreren Ebenen) erzählt werden.

Bühnenbild und Tanz verschmelzen im zeitgenössischen Ballett häufig symbolhaft und ästhetisch zu untrennbaren Komponenten. Christopher Wheeldons aus London nach München übernommene „Alice im Wunderland“ würde – ihrer Bühnenverpackung beraubt – wahrscheinlich floppen. Mit Hilfe von Film und Projektionen lassen sich Alices Abenteuer durch Phantasiewelten und Zeiten jedoch gut mitverfolgen – inklusive finalem Dominoeffekt und szenisch gelöstem Zusammenbruch des Kartenlandes. Handlungsverweigerer à la Forsythe greifen stattdessen gerne auf nackte Theaterwände, Bühnentiefe und -breite beengende Raumteiler oder skulpturale Eyecatcher zurück. Oftmals reicht ein raffiniertes Lichtdesign als Choreografie einkleidendes Stilmittel.
Wie kaum jemand sonst bringt Nürnbergs Ballettchef Goyo Montero die Bühne zum (Mit-)Tanzen. Nichts in seiner reduzierten Raumgestaltung lenkt vom Thema ab. Die Verwendung von Schwarz als Stoff- und Dekorfarbe beziehungsweise als Gegenspieler von Farbe und Licht zieht sich konsequent durch die meisten seiner Produktionen. In Monteros Palette der Ausdrucksmittel ist Schwarz Symbolträger und haptisch nicht greifbares Instrument zur Kommunikation zwischen Interpreten und Betrachter.

„Alice im Wunderland“ und ihre Phantasiewelten, von London nach München übernommen. Foto: Wilfried Hösl

„Alice im Wunderland“ und ihre Phantasiewelten, von London nach München übernommen. Foto: Wilfried Hösl

Im Zusammenspiel der theatralen Elemente weiß er deren Wirkungskraft virtuos einzusetzen. In „Black Bile“ waren es mobile Kästen, die zu Wänden wurden, in „Four Quartets“ unterschiedlich hohe Podeste für Musiker, die seine Tänzer höchst dynamisch über die Bühne schoben. Auch sein zuletzt uraufgeführter „Don Quijote“ ist ein Gesamtkunstwerk, herausgemeißelt aus der Leere des Theaterraums mithilfe von Musik, tänzerischem Ensembleengagement, effektvollen Schattenspielmomenten, einfachen, aber effektvollen Requisiten (wie ein Scheinwerfergestänge, das als Pferd dient) und einer Drehbühne.

Das Erfolgsrezept der Inszenierung von Henry Purcells Semi-Oper „King Arthur“ in der Münchner Reithalle mag das Bespielen des Schauplatzes durch Sänger und Tänzer gewesen sein. Ihre Plattform war eine weiße Einheits-Bühnenschräge, unter der das live spielende Orchester versteckt war. Durch vereinten Einsatz und diverse Kostümwechsel – kombiniert mit so banalen Requisiten wie Kartons – mutierte das schlichte Plateau in Sekundenschnelle von einem Festplatz der Fröhlichkeit in ein grausiges, nach kriegslärmlauten Zerfetz-Aktionen desaströs anzusehendes Schlachtfeld.

Die berühmte Frost-Szene dominierte ein Müllberg, aus dessen Säcken die Tänzer eine Schneelawine aus weißen Bällen zauberten. Es war der dramaturgisch genialste Gag dieses parabelhaft, einen immer wieder mit Wucht ergreifenden Abends. Am unteren Ende der Schräge sammelte sich die tosende Naturgewalt-Flut in einem riesigen Pool. Tolle, dreiste und ach so leicht fassbare Weltenbilder! So werden starke Emotionen erzeugt, die ein Publikum selbst durch den Irrgarten kompliziertester Handlungen geleiten können.

Vesna Mlakar

 

 

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