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Berichte

Die Macht der Bilder

Neuinszenierung des »Lohengrin« in Bayreuth

Der aktuelle Eröffnungs-„Lohengrin“ hat die Festspielleitung diesmal bis kurz vor der Premiere über das normale Maß hinaus auf Trab gehalten. Durch den vorgesehenen Tenorstar für den Titelhelden. Und als Ganzes…

Der als Schwanenritter (experimentierfreudig) engagierte Roberto Alagna bemerkte erst drei Wochen vor der Premiere, dass er den Text nicht drauf hat. Er gab dieses Exempel von Unprofessionalität mit verblüffender Offenheit zu und die Rolle zurück. Festspielchefin Katharina Wagner und ihr musikalischer Direktor Christian Thielemann zauberten daraufhin zügig einen erstklassigen Retter aus dem Hut, den sie auch gleich hätten engagieren können!

Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Der Pole Piotr Beczała kam diesmal also nicht nur auf der Bühne genau im richtigen Moment als ein veritables Wunder. Er kam auch nach Bayreuth in dieser Funktion. Der Probelauf, den er mit dieser Partie vor zwei Jahren in Dresden an der Seite von Anna Netrebko unter Thielemanns Leitung absolviert hatte, zahlte sich damit glänzend aus! Beczała ist ein mustergültiger Lohengrin! Mit lupenreiner Diktion und betörendem Timbre. Überhaupt kann sich Bayreuth mit der aktuellen Besetzung hören lassen. Die bewegt sich durchweg zwischen Luxus und mindestens Festspielniveau. Anja Harteros ist nach wie vor eine erstklassige Elsa. Erst verträumt, dann immer mehr am Frageverbot zweifelnd, bis hin zum Aufbegehren in der Brautgemachszene. Hügelstammgast Georg Zeppenfeld ist als König Heinrich ein Ausbund an Verlässlichkeit, Egils Silins ein markant respekteinflößender Heerrufer des Königs. Als Friedrich Telramund ist Tomasz Konieczny zwar ein wenig zu kraftmeierisch, mogelt manchmal auch mit der Diktion, macht aber Eindruck. Waltraud Meier schließlich imponiert bei ihrer Rückkehr auf den Grünen Hügel nach 18 Jahren mit einer klug kalkulierten, heftig gefeierten Ortrud.

Christian Thielemann schließlich kann man auch für seinen „Lohengrin“ nur rühmen. Der kennt das Stück und das Haus wie kein anderer. Er liefert den musikalischen Energiestrom aus dem verdeckten Graben und verbreitet genau das Ausnahme-Wagner-Gefühl, das man an diesem Ort erwartet. Vom ersten Ton des Vorspiels bis zum Schluss: sängerfreundlich, transparent. Musikalisches Fazit: grandios!

Regie führen sollte ursprünglich Alvis Hermanis. Weil dem Letten aber die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin nicht passte, kündigte er zumindest dem Thalia in Hamburg und Bayreuth die Verträge. Wenn er meint, dann soll er. Dass Yuval Sharon für ihn eingesprungen ist, muss man dem Amerikaner hoch anrechnen. Allerdings wird dieser „Lohengrin“ durch die schon für Hermanis vorgegebene, starke optische Setzung durch die Bildwelt von Neo Rauch dominiert. Gegen die Dominanz des Leipziger Malerstars und dessen Frau Rosa Loy, die die Kostüme für die Frauen beisteuerte, hatte er kaum eine ernsthafte Chance, wirklich erkennbar ein eigenes Konzept durchzusetzen. Vielleicht lässt sich in der „Werkstatt Bayreuth“ in den kommenden Jahren da nachjustieren.

Timo Riihonen, Michael Gniffke, Eric Laporte und Kay Stiefermann als Edle, Tomasz Konieczny als Telramund. Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Timo Riihonen, Michael Gniffke, Eric Laporte und Kay Stiefermann als Edle, Tomasz Konieczny als Telramund. Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Herausgekommen ist jedenfalls nicht der erhoffte Gesamtkunstwerk-Geniestreich, der den Erzähler von phantastisch surrealen Alptraum-Geschichten auf der zweidimensionalen Leinwand als Raumerfinder fürs Musiktheater outet. Auch wenn Neo Rauch mit seiner blau dunklen Farbigkeit, alptraumhaften Versatzstücken und Zeitbrüchen, dräuenden Wolken, wanderndem Schilf und geflügelten Menschen durchaus beglaubigen kann, dass ihn die Lohengrinmusik (aber wohl kaum deren Rezeptionsgeschichte) inspiriert hat. Seine erkennbar malerisch gedachten Tableauvivant-Bilder haben durchaus ihren eignen Reiz. Sie setzen Atmosphäre ins Bild, doch sie verschließen sich dem Theater. So viele erstarrte Chorposen und hübsch symmetrische Aufteilungen in linke und rechte Hälfte war im Festspielhaus der letzten Jahrzehnte selten. Akustische Delikatessen (die Chöre als solche überzeugen) werden so zum Killer für die Szene. Kleinigkeiten, etwa dass Ortrud vor dem Münster erst das Zentrum bildet, dann den Blick auf die hinter ihr kauernde Elsa freigibt und schließlich über die gesamte Bühnentiefe von ihr den Vortritt für sich einfordert – geschenkt! Ärgerlicher ist das endlose Blumenstreuen, damit auch ja jedes kreuzbiedere Damenkostüm, das geradewegs von Delfter Kacheln entsprungenen zu sein scheint, als Uralt-Holländerklischee seinen separaten Auftritt bekommt.

Der große Rundhorizont mit wolkenverhangener Landschaft und das surreal dort hineingeträumte Umspannwerk sind auf Anhieb als Neo Rauch erkennbar. Von hier betritt Lohengrin im nüchternen Arbeitseinteiler eine für ihn fremde Welt. Wenn die Blitze durch die Leitungen zucken, macht das Effekt, sieht aus wie ein Wunder der Rettung, denn der Scheiterhaufen für Elsa qualmt schon. Hier findet sich aber nicht nur der Eingang in eine andere Welt und Zeit – es ergibt sich auch die Andeutung eines Kraftzentrums für eine Erneuerung. Eine Verheißung aus der Zukunft? Die Gralswelt aus dem „Parsifal“ kann das kaum sein. Hier fremdelt der Maler erkennbar mit zentralen Elementen in Wagners Gesamtwerk. Für die Menschen, auf die Lohengrin trifft, sind Insektenflügel die Insignien von Macht oder Stellung. Hier wird beim Gottesgericht in luftiger Höhe fliegend gekämpft, bis Telramund einen Flügel verliert. Den zweiten verliert er mit seinem Leben im Brautgemach von Lohengrin und Elsa. Das befindet sich auf der Rückseite des Umspannwerkes: ein Schlafzimmer aus den 60ern, in Orange und mit Bibel im Nachttisch zum Nachschlagen.

So viele erstarrte Chorposen und hübsch symmetrische Aufteilungen in linke und rechte Hälfte war im Festspielhaus der letzten Jahrzehnte selten.

Vorher planen Telramund und seine Ortrud im zweiten Akt ihre Gegenoffensive im diffusen Nebel und hinter Schilf, das sich bewegt und die beiden abwechselnd verdeckt. Elsa schaut aus dem Fenster eines unverhältnismäßig kleinen Türmchens auf die beiden herab.

Beim großen Aufmarsch der Truppen dann, die der König für seinen Krieg braucht, steht plötzlich ein Maler hinter einer Staffelei und malt die erstarrte Szene mit dem posenden Chor. Auf dem Bild sieht man dann aber nur die Bühne ohne Menschen. Sollte das am Ende sogar doch etwas Selbstironie sein? Immer noch besser als der zum futuristischen Versatzstück mutierte Schwan zu Beginn oder das grüne Männchen ohne Gesicht als Gottfried-Ersatz am Ende. Viel Hoffnung bleibt den Brabantern da nicht. Sie fallen dann auch wie auf Kommando alle um. Nur Elsa und Ortrud, die beide dem Scheiterhaufen entkommen sind, schreiten aufrecht hinter dem grünen Männchen auf die Rampe zu. Seltsame Art von Hoffnung…

Joachim Lange

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