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Weißt du, was du sahst?

Gedanken zum Opernfilm

Wenn es denn stimmte, dass das Kino die Oper des 20. Jahrhunderts ist, wäre der Fall ganz einfach: Opernfilme hätten, gleichsam als das Beste zweier Welten, einen unwiderstehlichen Siegeszug angetreten, würden einerseits als musikalisch üppig durchtränkte Blockbuster Millionen von Menschen in die Lichtspielhäuser locken und andererseits mit kreativem Einfallsreichtum beide Kunstformen entscheidend weiterentwickeln. Ganz so einfach ist es aber dann doch nicht: Gewiss – seit Beginn der Stummfilmära ist hier eine Verbindung entstanden, die bis heute fortwirkt und bei der Kino und Oper sich natürlich weit über die spezifische Gattung „Opernfilm“ hinaus gegenseitig beeinflusst haben. Aber der Opernfilm an sich fristet trotz einer beachtlichen Produktion, die in den 1980er-Jahren gar zu einem kleinen Boom führte, eher ein Nischendasein und der künstlerische Ertrag lässt vielfach eher an den Musikhistoriker und Publizisten Oscar Bie denken: In Anlehnung an sein berühmtes Diktum von der Oper als „unmöglichem Kunstwerk“ wäre der Opernfilm dann „ein noch unmöglicheres Kunstwerk“…

Anstelle eines historischen Abrisses, der lückenhaft ausfallen müsste, sei im Folgenden der Versuch unternommen, anhand einiger Aspekte das weite Feld ein wenig zu sortieren und Anregungen zum eigenen Sehen und Hören zu geben. Der Stummfilm wird dabei bewusst ausgeklammert, weil er in der Kombination mit Oper wiederum ganz besonderen Gesetzmäßigkeiten folgt. Auch speziell für das Fernsehen komponierte Opern wären ein eigenes Thema.

Ist da wer?

Peter Pears als Captain Vere sitzt wie versteinert vor dem Kamin. Die beiden dissonant gegenläufigen Streicherfiguren begleiten die Kamera bei ihrer Fahrt auf sein Gesicht zu, Harfe und Flöte entlocken ihm ein erstes Blinzeln. Beim Einsatz des Blechs blickt er auf, bemerkt die Kamera und schaut kurz in sie hinein. Er weiß, dass wir zusehen. Dieser kurze Moment genügt, um in Basil Colemans BBC-Verfilmung von Benjamin Brittens „Billy Budd“ (1966) die Fronten zu klären: Hier wird kein filmischer Realismus vorgegaukelt – nicht einmal das Studioschiff schaukelt – die Künstlichkeit der Anordnung wird zur Schau gestellt, der Zuschauer wird zum Mitwisser.

Auch Walter Felsenstein hat dieses Mittel mit humoristischem Effekt in seinem köstlichen „Ritter Blaubart“-Film nach Jacques Offenbach (1973) eingesetzt, in Form einer Vorstellung der Hauptpersonen, deren Name und Funktion gleichzeitig eingeblendet wird. Aus dem Werk heraus ergibt sich der das Publikum einbindende Blick im Fall des Canio am Ende von Franco Zeffirellis „Pagliacci“ (1981) und – besonders zwingend und poetisch – in Claude Gorettas wunderbarem „Orfeo“ (1985), in dem Monteverdis Musica ihren Prolog ganz selbstverständlich an uns richtet.

Ingmar Bergman (Regie): Die Zauberflöte (1975) mit Hakan Hagegard als Papageno. Foto: Photo 12 / Alamy Stock Photo

Ingmar Bergman (Regie): Die Zauberflöte (1975) mit Hakan Hagegard als Papageno. Foto: Photo 12 / Alamy Stock Photo

Berühmt geworden ist eine andere Form der Publikumspräsenz im Opernfilm: Ingmar Bergman blendet in seiner „Zauberflöte“ von 1975 immer wieder Zuschauer, vor allem ein junges Mädchen ein. Deren Gebanntheit überträgt sich aufs Kinopublikum, zugleich wird die Zeitlosigkeit von Mozarts und Schikaneders Singspiel, dessen Gültigkeit für uns heute angedeutet. Wie schnell ein solcher Kunstgriff aber auch nach hinten losgehen kann, zeigt August Everdings „Hänsel und Gretel“ (1981), in dem die Kinder zunehmend dressiert wirken. Als einer von vielen brillanten Verfremdungseffekten funktioniert der Blick in den Zuschauerraum in Andrzej Żuławskis fulminantem „Boris Godunow“ (1989): Dieser ist anfangs historisch, am Ende zeitgenössisch besetzt, mit dem Komponisten Modest Mussorgsky als epochendurchsaufendem Alkoholiker…

Singt da wer?

Der „Billy Budd“-Film von 1966 ist aufgrund einer weiteren Tatsache bemerkenswert, die im Theater selbstverständlich, im Opernfilm aber die Ausnahme ist: Wir sehen Sängern beim echten Singen zu; wir hören tatsächlich das, was die Sänger im Studio bei der Aufnahme gesungen haben, vom Orchester live begleitet. Was viele Regisseure zu stören scheint, dass man nämlich den Sängern ihre Anstrengung mitunter ansieht, ist gegenüber der üblichen Lippensynchronisation ein enormer Gewinn an Unmittelbarkeit und theatraler Glaubwürdigkeit. Auch das häufig zu beobachtende Verfahren, dass zwar gesungen oder Singen zumindest angedeutet wird, stattdessen aber die vorproduzierte Aufnahme zu hören ist, hinterlässt – vor allem in Verbindung mit konventionellen Filmbildern – meist einen schalen, die Musik degradierenden Beigeschmack.

Eine Kompromisslösung haben unter anderem Jean-Pierre Ponnelle in „Le nozze di Figaro“ (1976) und Joseph Losey in „Don Giovanni“ (1979) zur Anwendung gebracht, wo immerhin die Rezitative live eingesungen wurden. Bei Losey überzeugt anfangs auch der technische Kniff, den Hall der vorproduzierten Aufnahme der jeweiligen akustischen Situation anzupassen. Dort, wo dies schiefgeht (bei einigen Freiluftszenen), ist die Ernüchterung dann allerdings umso größer. In „Moses und Aron“ (1973), der in vielerlei Hinsicht radikalen Schönberg-Kenntlichmachung von Danièle Huillet und Jean-Marie Straub, ist konsequent alles im Bild sichtbare Singen live, alles andere entstammt der Maßstab setzenden, eigens für diese Produktion erstellten Aufnahme unter Michael Gielen.

Eine von Walter Felsensteins ambitioniertem „Fidelio“ (1956) bis zu Benoît Jacquots beachtlicher „Tosca“ (2001) immer wieder mit großem Effekt eingesetzte Umgangsform, die gleichzeitig dem Problem des „Fake-Gesangs“ ausweicht, ist das einem inneren Monolog ähnelnde, unsichtbare Singen. Im Fidelio-Quartett „Mir ist so wunderbar“ sehen wir die Darsteller (Sänger und Schauspieler) in ihren widerstreitenden Gefühlen und Gedanken, die sie aber vor den anderen geheim, für sich behalten.

Dieses Verfahren, das übrigens auch eine ideale Lösung für das auf der Bühne oft problematische „Beiseite-Singen“ ist, hat allerdings seine Grenzen. Dies zeigt exemplarisch das „Hai già vinta la causa!“ in Ponnelles ansonsten in dieser Hinsicht sehr anregendem „Figaro“: Der Monolog des Grafen findet hier nicht im stillen Kämmerlein, sondern öffentlich im Gerichtssaal statt. Die Szene samt Arie, bei der kein einziger Mund geöffnet wird, ist dann aber doch zu lang, um allein durch Dietrich Fischer-Dieskaus Mimik und die Blickwechsel der Beteiligten getragen zu werden.

Eine Ausnahmeerscheinung ist Syberbergs „Parsifal“ auch aufgrund des Szenarios.

Eine höhere darstellerische Qualität durch den Einsatz von Schauspielern statt Sängern zu erzielen, ist immer wieder versucht worden: mit gemischten Ergebnissen, wie die zum Teil hellsichtigen („Rusalka“, 1977; „The Turn of the Screw“, 1982), zum Teil aber eher dekorativen Arbeiten („Eugen Onegin“, 1988; „A Village Romeo and Juliet“, 1990) des kürzlich verstorbenen Petr Weigl zeigen. Hans-Jürgen Syberberg setzt in seinem viel diskutierten „Parsifal“ (1982) für den Protagonisten ganz bewusst zwei sehr junge Schauspieler ein, deren Aussehen im Widerspruch zur Stimme Reiner Goldbergs steht. Der zu Kundrys Kuss vollzogene Geschlechtswechsel von Michael Kutter zu Karin Krick unterstreicht diese Entfremdung zwischen Stimme und Körper. Zum Ereignis wird diese in der Kundry Edith Clevers, die eigens bei den Tonaufnahmen mit Yvonne Minton zugegen war, um ein Gefühl für das physische Moment deren Singens zu entwickeln. Im Film versucht sie dann aber nicht, dieses realistisch nachzuahmen, sondern kommentiert mit ihrem erstaunlich synchronen Spiel gleichsam den vokalen Ausdruck.

Wo bin ich?

Eine Ausnahmeerscheinung ist Syberbergs „Parsifal“ auch aufgrund des Szenarios. Die in den Bavaria Studios in Form von Wagners Totenmaske gebaute Traumlandschaft unterscheidet sich radikal von den vor allem in den Boom-Jahren der 1980er beliebten „Originalschauplätzen“. Wo Jean-Pierre Ponnelle in „Rigoletto“ (1982) und Francesco Rosi in seiner klischeebeladenen „Carmen“ (1984) ihnen zumindest bisweilen etwas mehr als pure Schauwerte entlocken, verharren Produktionen wie Gianfranco De Bosios „Tosca“ (1976) oder Zeffirellis „Cavalleria Rusticana“ (1981) vollends im Pittoresken. Endgültig ins Absurde kippte der Fetisch Originalschauplatz dann übrigens, kombiniert mit den „Originaltageszeiten“, bei der 1992 realisierten Live-TV-Version von „Tosca“.

Welche Überzeugungskraft von bewusst gewählten, realen Spiel-
orten ausgehen kann, beweisen indes die Burgen in Felsensteins „Fidelio“ und in dem von Rolf Liebermann produzierten „Wozzeck“ (1972, Regie: Joachim Hess), oder auch das antike Amphitheater in Huillet/Straubs „Moses und Aron“, während sie in den beiden Verdi-Adaptionen von Franco Zeffirelli und Claude d’Anna („Otello“ und „Macbeth“, beide 1986) kaum mehr als Oberflächenreize auslösen. Zum Protagonisten werden sie gar in Loseys „Don Giovanni“, wobei sich der optisch-dramaturgische Mehrwert der Palladio-Villen allerdings im Lauf der Zeit abnutzt, bis beim enttäuschenden Finale nicht mehr viel davon übrig ist.

Die bewusste Abkehr von der Kinoüberwältigung hin zur distanzierenden, manchmal auch noch antiillusionistisch gebrochenen Theater- beziehungsweise Studioatmosphäre wirkt da oft überzeugender. Dies beweisen Felsensteins „Blaubart“, Bergmans in dieser Hinsicht wegweisende „Zauberflöte“ im eigens nachgebauten Schlosstheater Drottningholm, Gorettas „Orfeo“ oder Żuławskis „Boris Godunow“.

Was wird hier gespielt?

So wie Andrzej Żuławski (sein „Boris“ dauert gerade einmal zwei Stunden) haben auch andere Regisseure Opern geschickt auf Kinolänge gestutzt. Nur gut 100 Minuten braucht Joachim Herz für seine Version des „Fliegenden Holländer“ (1964), den er außerdem durch markante Umstellungen der Musiknummern seiner Filmdramaturgie anpasst. Ein komplett anderes Stück wird dadurch aber nicht daraus. Hier haben sich Regisseure wie Max Ophüls in der herrlichen Freiluft-Version der „Verkauften Braut“ (1932), Alexander Ptushko in dem opulenten Märchen-Spektakel „Sadko“ (1952), Peter Brook in seiner Kammerspiel-Version der „Carmen“ (1983) oder in jüngster Zeit Kenneth Branagh mit seiner Verlegung der „Zauberflöte“ in den Ersten Weltkrieg (2006) ganz andere Freiheiten erlaubt.

Hans-Jürgen Syberberg (Regie): Parsifal (1982) mit Michael Kutter (Parsifal). Foto: United Archives GmbH / Alamy Stock Photo

Hans-Jürgen Syberberg (Regie): Parsifal (1982) mit Michael Kutter (Parsifal). Foto: United Archives GmbH / Alamy Stock Photo

Starke Regiehandschriften werden bisweilen auch in der Ergänzung ausführlicher Prologe sichtbar. So erzählt Petr Weigl in stummen Bildern die Vorgeschichte von Brittens „The Turn of the Screw“ als ziemlich explizite Viererbeziehung zwischen Peter Quint, Miss Jessel, Miles und Flora, und Hans-Jürgen Syberberg wirft in seinem „Parsifal“-Prolog, unterlegt von Ausschnitten aus den Proben zur Tonaufnahme, seine Assoziationsmaschinerie an. Bei Danièle Huillet und Jean-Marie Straub äußert sich diese starke Handschrift ex negativo: in einer szenisch-filmischen Askese, die das Thema Bilderverbot von Schönbergs „Moses und Aron“ mit größtmöglicher Schärfe herausarbeitet und in der das wenige, was an äußerer „Action“ stattfindet, eine beispiellose Wucht entfaltet.

Wie haben Sie das gemacht?

Eine überbordende Originalität beim Einsatz spezifisch filmischer Techniken wird man Opernfilmen nur vereinzelt attestieren können, ebenso wenig garantiert ein solcher Einsatz einen interpretatorischen Mehrwert. Auf bestechende Weise gelungen ist er im Falle von Joachim Herz’ „Fliegendem Holländer“: Der Wechsel zwischen dem verkleinerten Normalbild für die Enge von Sentas realer Lebenswelt und dem in ihren Tagträumen sich weitenden „Totalvision“-Format erweist sich als Kunstgriff mit Tiefgang. Er verhilft dem Film zu einem einzigartigen Gepräge und gleichzeitig dem Werk zu einer gültigen Lesart. Kein Wunder, dass Harry Kupfer sich dafür zu seiner legendären Bayreuther Inszenierung von 1978 inspirieren ließ.

Franco Zeffirellis Idee hingegen, die Handlung von Verdis „La Traviata“ (1982) als Erinnerung der todgeweihten Violetta zu erzählen, funktioniert eigentlich nur beim nahtlosen Übergang beider Ebenen zu Beginn wirklich überzeugend. Spätere Flashbacks in glückliche Zeiten entgehen (wie übrigens auch in Felsensteins „Fidelio“) der Kitschgefahr dann nicht mehr, und so bewahrt am Ende allein die zerbrechliche Präsenz der Teresa Stratas den Film davor, als leere Ausstattungshülle in sich zusammenzufallen. In Jean-Pierre Ponnelles „Madame Butterfly“ (1974) ist die Rückblenden-Klammer überzeugend mit einer Zeitlupe verknüpft, überdies setzt der Regisseur mit bestimmten Einstellungen den einen oder anderen amerikakritischen Akzent. Durch das Ziehen sämtlicher Register computergenerierter Bildgebung haben schließlich unter anderem Kenneth Branagh in „The Magic Flute“ und vor allem Christian Chaudet in Strawinskys „Le Rossignol“ (2004) den Musikfilm fit fürs 21. Jahrhundert zu machen versucht. Aber man wird das Gefühl nicht los, dass es auch hier bei einigen wenigen wirklich sehens- und hörenswerten Solitären bleiben wird…

Juan Martin Koch

 

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