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Rezensionen

Die Passagierin

Mieczysław Weinberg: Die Passagierin. Chor und Orchester des Opernhauses Ekaterinenburg, ML: Oliver von Dohnány (2016), Dux/Note1 DVD 8387

Es gibt Musiktheaterwerke, die wie Monolithen aus dem Repertoire aufragen – weil sie Thomas Hobbes‘ Satz, dass „der Mensch des Menschen Wolf“ ist, künstlerisch unerbittlich offenlegen: so Alban Bergs „Wozzeck“ und „Lulu“, so Leos Janáceks „Totenhaus“ und Bernd Alois Zimmermanns „Soldaten“. Seit 2010 tritt ein fünftes Werk hinzu – seit David Pountney für die Bregenzer Festspiele Mieczysław Weinbergs „Die Passagierin“ gleichsam wiederentdeckte: 1968 fertiggestellt, in der UdSSR unterdrückt, nach Weinbergs Tod 1996 in Vergessenheit geraten. Weinbergs Musikdrama fußt auf dem Roman der heute 95-jährigen Polin Zofia Posmysz, die Auschwitz überlebte, später meinte, ihrer KZ-Aufseherin wieder zu begegnen und dieses Grauen künstlerisch überhöht hat: 15 Jahre nach Kriegsende, auf der Überfahrt nach Brasilien, glaubt die inzwischen mit einem deutschen Diplomaten verheiratete, also „arrivierte“ Ex-Aufseherin Lisa in einer Passagierin die KZ-Insassin Martha zu erkennen; sie hat die junge Polin damals ausgenutzt, drangsaliert und deren Verlobten dem Tod ausgeliefert. Im szenischen Wechsel zwischen KZ und Schiff holt diese Vergangenheit Lisa nun ein.

Mieczysław Weinberg: Die Passagierin. Chor und Orchester des Opernhauses Ekaterinenburg, ML: Oliver von Dohnány (2016), Dux/Note1 DVD 8387

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Die Bregenzer „Quasi-Uraufführung“ geriet in Anwesenheit von Zofia Posmysz zu einem Triumph (Arthaus Bluray 109080), dem zahlreiche Gastspiele der Produktion folgten und der das umfangreiche Œuvre Weinbergs im Musikleben etablierte. Ausgerechnet im russischen Ekaterinenburg brachten Dirigent Oliver von Dohnány und Regisseur Thaddeus Strassberger – beide mit deutschen Wurzeln – nun Weinbergs Oper als russische Erstaufführung auf die dortige Bühne. Auf dem Zwischenvorhang ziehen Rauchschwaden, die an Celans „… dann habt ihr ein Grab in den Wolken…“ denken lassen. Dahinter werden im Wechsel das Deck der Upper Class, die düstere Backsteinwelt der Lagerverwaltung und die Holzpritschen der Baracken bespielt – ohne Hakenkreuz-Orgie und SS-Zerrbilder, sondern so gefährlich düster und kalt, wie wohl der Alltag Marthas im Landwirtschaftskommando des Frauenlagers von Auschwitz-Birkenau war, wo Posmysz überlebte. Weinberg zeigt Angst, Tod und kleine Freuden der Frauen aus fast allen europäischen Ländern in einer kühl-harten Klangsprache, die über Janáceks „Totenhaus“ hinausführt. Einen Gipfel bildet die Szene, in der Marthas junger polnischer Geliebter für die SS Operettenlieder auf der Geige spielen soll – und den Deutschen mit der Reinheit von Bachs Chaconne ihren barbarischen Humanitätsverlust vorführt – seine Geige wird zertreten und er in die Gaskammer abgeführt. Doch das Werk endet nicht moralinsauer einseitig. Martha singt nach der Konfrontation mit Lisa davon, dass die Namen der Toten nicht vergessen werden dürfen, weil nur durch Erinnerung eine bessere Zukunft möglich wird. All das gelingt den zwei weiblichen Solistinnen und einem Kreis von Chorsolistinnen in fein gezeichneten Porträts. Weder die Inszenierung noch das Dirigat drängen sich einseitig vor, ein eindringliches Musiktheaterwerk entsteht. Es ist erst die zweite Aufzeichnung dieses wichtigen Werkes, das speziell in die Spielpläne Berlins und Münchens gehört – und dort bislang fehlt.

Wolf-Dieter Peter

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