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Berichte

Brüllkomische Farce

Schostakowitschs knallbunt inszenierte „Nase“ an der Komischen Oper Berlin

Vielleicht ist es eine Satire, vielleicht „nur“ ein Albtraum, der die Erlebnisse des Tages mit seinen Begierden und Ängsten widerspiegelt: Urplötzlich kommt dem Assessor Platon Kusmitsch Kowaljow seine Nase abhanden – ein Unfall oder ein Racheakt seines Barbiers? Mit diesem Makel, einer klaffenden roten Wunde im Gesicht, ist er kein Mitglied der menschlichen Gemeinschaft mehr, kann „nicht heiraten, (…) kein öffentliches Amt bekleiden“, wie Dmitri Schostakowitsch, der diesen unglaublichen Stoff nach Nikolai Gogols Novelle „Die Nase“ zu seinem Opernerstling verarbeitete, spöttisch bemerkte. Das passte nur zu gut in eine Zeit, die das Unterste zuoberst kehrte und dort die alten Machtverhältnisse vorfand – 1930 wandelte sich die Aufbruchsstimmung der Oktoberrevolution in Resignation oder Zynismus. Die Jagd nach der Nase, wie die Nummernfolge einer Revue ablaufend, enthüllt die Untiefen der unterdrückten, egoistisch nach der Befriedigung eng-
stirniger Gelüste strebenden Volksmasse – fühlt sich hier jemand angesprochen?

Anscheinend das frenetisch jubelnde Berliner Publikum, wenn Barrie Kosky das Werk als brüllkomische Farce auf die Bühne der Komischen Oper bringt. Zum Saisonende lässt es der Hausherr noch einmal so richtig krachen, und auch wenn dies als Regiedebut am Royal Opera House Covent Garden bereits 2016 dort zu sehen war, erhält es in veränderter, teils hauseigener Besetzung doch einen ganz eigenen berlin touch. Den verdankt es nicht zuletzt der schlichtweg genialen deutschen Textfassung durch den Chefdramaturgen Ulrich Lenz. Der kalauert sich respektlos durch die Geschichte („er hat in der Birne nichts als Apfelmus“), beklagt anlässlich einer Nasensuch-Annonce „Fake News“ und Lügenpresse und verlangt eine umfassende „Entnasifizierung“ – immer noch und immer wieder aktuell. Fingierte Zuhörer protestieren: „Unerhört! Ich wollte Macbeth sehen! Und das in der Staatsoper Unter den Linden!“ Als schon alles vorbei und die Nase wieder an ihrem rechtmäßigen Platz ist, erklärt eine hysterische Fernsehmoderatorin (Rosie Aldridge) die Unsinnigkeit der Geschichte: Wer braucht denn sowas? Wer braucht überhaupt Oper? Ja, wir brauchen dieses Medium des Absurden und Fantastischen, das Unwahrscheinliches wahrscheinlich macht und uns zum befreienden Lachen verhilft.

Günter Papendell als Kowaljow und Ensemble. Foto: Iko Freese / drama-berlin

Günter Papendell als Kowaljow und Ensemble. Foto: Iko Freese / drama-berlin

Der junge Schostakowitsch jobbte als Stummfilmpianist und ebenso als Korrepetitor im Theater des Wsewolod Meyerhold. In der Technik harter Filmschnitte verweigert seine Oper die „großen Gefühle“, getreu Meyerholds „Biomechanik“, nach der Körperbewegung die Empfindungen erzeugt. Ainārs Rubiķis am Pult des Opernorchesters greift das mit „rasiermesserscharfen“ Rhythmen, herbem Streicher- und gnadenlos grellem Bläsersound auf. Unglaublich, mit welcher Präzision der junge Lette, ab der nächsten Spielzeit GMD des Hauses, die Chor- und Solistenmassen koordiniert; ein grandioser Einstand. Barrie Kosky wiederum frönt hemmungslos seiner Lust am Respektlosen, Trivialen, Schlüpfrigen: In grellbunten, durchgeknalltes Spießertum individuell schattierenden Kostümen von Buki Shiff fegen die Chorsolisten der Komischen Oper über Klaus Grünbergs fahle, öffentliche und private Räume zusammenbauende Bühne. Da kriegt jeder alles mit.

Ein überdimensionales Nasenballett weckt obszöne Fantasien: Immer schon übertrug die „Nasologie“ Form und Größe des Riechorgans auf des Mannes bestes Stück. Und sparte nicht mit rassistisch/sexistischen Untertönen, die hier in Form androgyner Balletttruppen aufs Korn genommen werden – in Strapsen mit Bart. Grandiose Solisten ragen aus einer fabelhaften Ensembleleistung hervor: Allen voran Günter Papendell als unglückseliger Kowaljow, unermüdlich beweglich, hilflos-komisch und fragil-anrührend zugleich, Ursula Hesse von den Steinen als kuppelsüchtige Pelageja Podtotschina und Jens Larsen wandlungsfähig als vertrottelter Barbier, stoischer HNO-Arzt oder korrupter Redakteur. Und nicht zu vergessen der kleine Lion Sturm, der mit seinen dünnen Beinchen unter einem riesigen Nasenkörper läuft und läuft und läuft...

Isabel Herzfeld

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