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Berichte

Der „böse Blick“ auf das Leben

Aribert Reimanns „Die Gespenstersonate“ in Lübeck

Man kann nicht umhin: Corona, dieses fiese kleine Ding, spielt mit, auf der Bühne, im Orchestergraben, auch bei der peniblen Prozedur für die, die ein personalisiertes Einlasszertifikat besitzen. Wenn dann alle Punkte der Checkliste für den „Theaterbesuch im Rahmen des Modellprojekts“ abgehakt sind und wenn sich herausstellt, dass der ehrwürdig alte Schmuckvorhang in Lübecks Jugendstilhaus delikat zum Stück passt, ist alles vergessen. Es zählt nur eins: Man darf wieder Theaterluft schnuppern!

Den Opernversessenen erwartete Aribert Reimanns „Die Gespenstersonate“: für Lübeck eine Erstaufführung. Die Wahl dieser Kammeroper aus dem Jahre 1984 ist fürwahr geeignet, allen Zeitanforderungen gerecht zu werden. Das Libretto hat der Komponist zusammen mit Uwe Schendel selbst eingerichtet, recht nah an August Strindbergs gleichnamigem Bühnentext. Geblieben sind vor allem all die vielen Figuren, die sich innerlich fern sind. Das erlaubte dem Regisseur Julian Pölsler nun, zwanglos zwischen ihnen auf der Bühne Distanz einzuhalten.

Yoonki Baek (Student Arkenholz), Otto Katzameier (Der Alte); im Hintergrund Milena Juhl (Die dunkle Dame). Foto: Olaf Malzahn

Yoonki Baek (Student Arkenholz), Otto Katzameier (Der Alte); im Hintergrund Milena Juhl (Die dunkle Dame). Foto: Olaf Malzahn

Ferner kann das Orchester ohne Problem in einem Graben Abstand halten, der selbst Wagner-Besetzungen Raum bietet. Aribert Reimann schrieb die Musik für eine Minimalbesetzung, für vier Solisten bei Streichern und Holzbläsern, jeweils in allen Lagen und Farben, dann für Horn und Trompete, Harfe, Klavier, zeitweise durch das pfeifende Harmonium ersetzt. Die Klangfarben dieser Instrumente schaffen ein erstaunlich vielfältiges Spektrum an Atmosphäre oder Dramatik, bilden reizvolle orchestrale Intermezzi und charakterisieren unaufdringlich die Figuren oder deren Handeln. Die Klänge mit oft schwirrenden Tremoli oder Clustern in Vierteltonabstand fesseln, verlangen den Ausführenden hörbar ein Höchstmaß an Können ab. Alles zaubern die Musiker der Lübecker Philharmoniker sehr konzentriert und einsatzfreudig. Als Dirigent hält Andreas Wolf einen guten Kontakt zur Aktion auf der Bühne.

In Lübeck darf man getrost Thomas Mann zitieren, der sich über viele seiner Schriftstellerkollegen geäußert hat, in einem vergleichsweise kurzen Essay auch über August Strindberg. Darin bescheinigt ihm Thomas Mann, dass er den „‚bösen Blick‘“ habe „auf das Leben oder doch auf das, was der Mensch daraus gemacht hat“. Das ist in dieser blutvollen Wiedergabe bemerkenswert nachzuerleben. Alle Personen sind unfähig zur Wahrhaftigkeit, zu irgendwelchen Idealen, sind Teil einer mit vielen Stricken verknüpften bigotten Gesellschaft. In ihr wird dennoch gnadenlos jede Heuchelei demaskiert, jede Lüge entlarvt, auch auf Kosten eigener Demütigung.

Das Personal

Hauptperson ist ein Student und Sonntagskind mit dem Namen Arkenholz, der mit all seinen Idealen scheitert. Seine übersinnliche Begabung besteht darin, Tote zu sehen und mit ihnen sprechen zu können und so das Hier mit dem Jenseits zu verbinden. Im Norden würde man ihn Spökenkieker nennen, einer der sieht, was andere nicht wahrnehmen. Die Zerrissenheit seiner Existenz findet sich in seinem musikalischen Part wieder mit bizarren melodischen Linien in extremen Lagen. Yoonki Baek, von der Kieler Förde an die Lübecker Bucht gewechselter Tenor, hält das stimmlich bewundernswert durch.

Yoonki Baek (Student Arkenholz) und Andrea Stadel (Das Fräulein). Foto: Olaf Malzahn

Yoonki Baek (Student Arkenholz) und Andrea Stadel (Das Fräulein). Foto: Olaf Malzahn

Mit dem Alten, alias Direktor Hummel, hat er sich vor allem auseinanderzusetzen. Der neidet ihm seine Fähigkeit, versucht ihn mit perfiden Mitteln an sich zu binden, scheut sich nicht, ihm das Fräulein, seine illegitim gezeugte Tochter, als Lohn anzubieten. Für Otto Katzameier ist das ein Part, bei dem er sich grandios einsetzen kann. In Lübeck hat er mit seinem sonoren Bassbariton schon andere Rollen gestaltet, die von todbringender Liebe handeln. Des Alten Kontrahent ist der Hausherr im seltsamen Gebäude gegenüber, Oberst und Konsul zugleich, uniformiert und klanglich durch die Trompete gezeichnet. In einer drastischen Dialogpartie wird er vom Alten entzaubert, gesellschaftlich und menschlich. Der Tenor Wolfgang Schwaninger hält die gesellschaftliche Destruktion mit Würde durch, ist sie doch Voraussetzung für die Umkehrung der Verhältnisse.

Frauen

Grandios erfunden ist die zentrale Frauenfigur. Grotesk und gleich mehrdimensional tritt sie auf. Zum einen beherrscht sie das Haus als Oberst-Gattin. Schwarz gekleidet wie der Alte, früher ihr Liebhaber, vegetiert sie seit 20 Jahren geisterhaft in einem Schrank, wird deshalb Mumie genannt. Die Altistin Karin Goltz gibt ihr die nötige Kraft, mit der sie ihren ehemaligen Geliebten, den Vater ihrer unehelichen Tochter, vernichtet. Eine weitere Erscheinungsform hat sie als Statue im Salon. Dies ist das geheimnisvolle Abbild ihrer Jugendschönheit. Zugleich ähnelt es ihrer Tochter, dem Fräulein, in das sich der Student verliebt. So wird dieser quasi zu einem aus der Zeit gefallenen Rivalen des Alten. Beim Gespenstersouper tritt sie in dritter Verwandlung in einem weißen Kleid auf, optisch und stimmlich wie ein zwitschernder Papagei. Das ist ein zugleich komischer und musikalisch höchst virtuoser Auftritt von Iris Meyer. Mit der Figur des Fräulein erhält die Oper einen sehr ernsten Ton. Sie zeigt eine junge Frau, die unfähig ist, sich für ihre Liebe zu entscheiden. Stattdessen liebt sie Hyazinthen, die in die griechische Mythologie verweisen. Dort stirbt wie hier der Liebende an seiner Leidenschaft. Andrea Stadel hat mit dieser Figur eine wundervolle Aufgabe, die sie bei aller Brüchigkeit berührend meistert.

Kleinere, dennoch anspruchsvolle Aufgaben haben der Mezzo Milena Juhl und die Altistin Julia Grote. Sie umreißen mit der „dunklen Dame“ und der aufreizenden, vampirhaften „Köchin“ weitere Nuancen von Strindbergs Sicht auf Frauen. Die eine zeigt auf, wie unverheiratete Töchter im gesellschaftlichen Dunkel bleiben, allenfalls in der Rolle als Schließerin im Hause geduldet sind. Die andere ist Beispiel einer blutsaugenden Macht als Mitwisserin von Geheimnissen.

Höllenkomik

Als weiteres Charakteristikum von Strindberg deckt Thomas Mann in seinem Essay das auf, was er „Höllenkomik“ nennt. Es ist ein „Erzeugnis seines wilden Zerwürfnisses mit der ihn umgebenden bürgerlichen Gesellschaft“. Im Figurenarsenal der Oper leisten die Gesellschaftskritik sehr direkt die beiden Dienerfiguren, Johannsen beim Alten, Bengtsson beim Oberst. Sie sind geschwätzige subalterne Typen wie in der Commedia dell‘Arte und für den Tenor Daniel Schliewa und den Bariton Steffen Kubach wunderbar komödiantische Aufgaben. Über sie erfährt der Zuschauer alles, was ihre Herren zu verschweigen suchen.
Das ist makabre Komik, die andere Seite des Spiels, das in der Souper-Szene mit dem stummen Auftritt einer grauen Gesellschaft kulminiert. Andere Szenen enthalten unwirkliche Komponenten, wie sie sich in Träumen vollziehen. Die Perspektive wandelt sich schnell, Handlungsstränge verquicken sich, Plastisches und Unscharfes bilden einen undurchdringlichen Mix. Dem gibt Roy Spahn mit seiner Ausstattung einen Rahmen mit nackten Gebäuden, deren Milchglasfenster das Dahinter nur ahnen lässt. Wichtiger werden noch die Hyazinthen. Sie bleiben nicht nur Liebesblumen, sie werden zum irrealen Leitmotiv. Sie kippen das Geschehen ins Surreale, wenn riesige Knollen bedrohlich von der Decke hängen und auf Tod und Verderben verweisen. Dazu passt zum Schluss der eingeblendete Ausschnitt aus einer der „Toteninseln“ von Arnold Böcklin.
Diese „Gespenstersonate“ ist so verwirrend wie berührend und eine ungewöhnlich starke Leistung eines kleinen Theaters. Langer Beifall dankte. 

Arndt Voss

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