Zur Startseite


 

 
Zur Startseite von Oper & Tanz
Aktuelles Heft
Archiv & Suche
Stellenmarkt
Oper & Tanz abonnieren
Ihr Kontakt zu Oper und Tanz
Kontakt aufnehmen
Impressum
Datenschutzerklärung

Website der VdO


Berichte

Wenn Mädchen (alb)träumen

„Der arme Matrose“ als filmische Inszenierung am Mainfranken Theater Würzburg

Welches Mädchen träumte sich nicht schon hinein in die Welt der Gala-Stars und Bunte-Sternchen… Auch die Matrosengattin bewegt sich zwischen der realen Tristesse in einer heruntergekommenen Kneipe und ihrer ersehnten Fantasie-Glamourwelt hin und her. Dann allerdings verwandelt sie ihren Mädchentraum selbst in einen düsteren Albtraum, greift zum Hammer und mordet. Blut wogt und spritzt in regelrecht ästhetisch anmutender Zeitlupe.

Roberto Ortiz als armer Matrose. Fotos: Nik Schölzel

Roberto Ortiz als armer Matrose. Fotos: Nik Schölzel

Darius Milhauds Kurzoper „Der arme Matrose“, erstaufgeführt im Dezember 1927 in Paris, dauert im Original in einer extremen Verdichtung nur 30 Minuten. Damit wollten sich das Mainfranken Theater im unterfränkischen Würzburg und das Kreativteam, bestehend aus Regisseur Tomo Sugao sowie Bühnen- und Kostümbildner Paul Zoller, nicht begnügen und verwandelten die „szenisch-musikalische Reise“ in eine knapp 75-minütige Fassung – einerseits ergänzt um Operneinschübe aus Ludwig van Beethovens „Fidelio“, um Schubert-Lieder sowie um zwei Sätze aus Dmitri Schostakowitschs 14. Symphonie; andererseits angereichert um weitere Bedeutungsebenen, so dass aus einer straffen Handlung vielschichtige Psychoanalysen der vier Charaktere werden.

Bühnenpremiere feiern sollte dieser arme Matrose eigentlich im Januar, dies scheiterte aus bekannten Gründen. Am Mainfranken Theater trotzte man dem Lockdown und holte zusätzlich den Würzburger Kameramann Steffen Boseckert (mindcore productions) ins Produktionsboot. So entstand ab März eine filmische Inszenierung im Cinemascope-Format, die 48 Stunden abrufbar war. Digitale Stück-Einführung und Premierenfeier inklusive.

Abgefilmte Opernproduktionen mag man inzwischen zu Genüge kennen. Doch damit hat „Der arme Matrose“ aus Würzburg nichts zu tun. Eher erinnern einige Szenen an Musikvideoclips, Boseckert spielt mit den Ausdrucksmitteln des Videokünstlers. Das Erstaunliche: Trotzdem fühlt sich der Zuschauer ins Theater versetzt, weil sehr bewusst mit direktem Blickkontakt, Bühnenbildern und schlichten Theaterelementen gearbeitet wird; weil das Philharmonische Orchester unter dem Dirigat von Generalmusikdirektor Enrico Calesso die Musik zwar vor den eigentlichen Filmaufnahmen längst eingespielt hatte, aber dennoch sichtbarer Teil der Produktion bleibt; weil die vier Darsteller – Tenor Roberto Ortiz als schwer gezeichneter Matrose, Sopran Silke Evers als seine Frau, Bariton Kosma Ranuer als Freund und Bass Igor Tsarkov als sein schmieriger Schwiegervater – beide Welten, den Film und die Oper, bespielen. Freude bereitet das vom Orchester fein herausgearbeitete Klangspiel aus düsterer Tragik, romantischer Träumerei und ironischem Hintersinn

Und darum geht’s: Ein Matrose kehrt nach 15 Jahren, durch die Strapazen deutlich verändert, im Besitz einer teuren Perlenkette heim. Er bittet seine Frau, die ihn nicht zu erkennen scheint, inkognito um Herberge. Sie erschlägt ihn im Schlaf und nimmt die Klunker an sich. War es Mord aus Liebe? War es kühle Berechnung? Oder verirrt sich die Träumerin in wachsendem Wahnsinn in einer selbst geschaffenen Realität? Die Antwort, ob die Frau des Matrosen ihren Gatten tatsächlich nicht erkannte, lässt Regisseur Tomo Sugao offen. Gruselig bleiben alle Interpretationen.

Silke Evers macht sich vor der Kamera hervorragend, sie ist ausdrucksstark. „Der Tod, er geht ein und geht aus, er geht aus und geht ein“: Ihre Schostakowitsch-Interpretation ist herrlich bösartig, Blut spritzt, ermordet wird nicht nur der Matrose, sondern zusätzlich ein ganzes Orchester, während Generalmusikdirektor Calesso ungerührt zwischen umgestürzten Notenständern und blutgesprenkelten Laken weiter dirigiert.

Roberto Ortiz rührt am meisten als armer Matrose, als er bereits ermordet ist. Herrlich traurig und gleichsam tröstend gibt er sich dem Schubert-Lied hin und klagt: „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus.“

Michaela Schneider

startseite aktuelle ausgabe archiv/suche abo-service kontakt zurück top

© by Oper & Tanz 2000 ff. webgestaltung: ConBrio Verlagsgesellschaft & Martin Hufner