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Der Laden brummt

150 Jahre Theater Altenburg

Theater- und Orchesterfusionen sind nicht erst ein Phänomen der Nachkriegszeit. Eine intensive Anziehungs- und Abstoßungsenergie bestand in den Theaterangelegenheiten der nur 40 Kilometer voneinander entfernten Städte Altenburg und Gera im heutigen Ostthüringen schon im 19. Jahrhundert. Die erste Fusion des Herzoglichen Hoftheaters Altenburg mit dem Theater Gera in der Spielzeit 1876/1877 und auch die zweite Fusion (damals Reußisches Theater) 1927/1928, bei der Altenburg das Musiktheater und Gera das Schauspiel stellte, waren mit jeweils nur einer Spielzeit von kurzer Dauer. 1930 kam es zu einem anderen Versuch, als das Landestheater Altenburg ebenfalls für eine Spielzeit zu einer Filiale des Landestheaters Gotha wurde. Nach der deutsch-deutschen Wiedervereinigung 1990 und dem Beitritt der ehemaligen Residenzstadt Altenburg zum Freistaat Thüringen wurden das Landestheater und die Landeskapelle Altenburg ein Teil des deutschen Bundeslandes mit der größten Dichte an Kulturorchestern und Subventionstheatern. Seit 1995 besteht die Fusion des Theaters Altenburg und der Bühnen Gera, seit 2000 mit den beiden Klangkörpern als Theater und Philharmonisches Orchester Altenburg-Gera. Heute erhält der Fünfsparten-Betrieb internationale Aufmerksamkeit und zahlreiche Auszeichnungen. Projekte wie „Zukunftsmusik ostwärts“, auch auf CD erschienene Auftragskompositionen von rumänischen und ungarischen Komponisten oder die Uraufführungen hebräischer Kammeropern sind seit 2011 die Spitze des Eisbergs der ambitionierten wie gesellschaftlich reflektierten Programmgestaltung unter Generalintendant Kay Kuntze. Der Laden brummt: Seit 22. Dezember 2012 ist die Tanzcompagnie das einzige Thüringer Staatsballett, mit dessen 22 festen Ensemblemitgliedern sich Ballettdirektorin Silvana Schröder mit Vorliebe „queerer“ Sujets und faszinierender Frauen wie Otto Dix‘ Modell Anita Berber annimmt. Seit der Fusion spielt das ursprünglich zu den Geraer Bühnen gehörige Puppentheater auch in Altenburg. Der spartenübergreifende Zyklus „Wider das Vergessen” stellte Kanders Musical „Cabaret” neben Weinbergs Oper „Die Passagierin”.

In Altenburg polarisierte 2017 in der Öffentlichkeit die Besetzung des Wilhelm Voigt in Zuckmayers „Der Hauptmann von Köpenick” mit dem Darsteller Oelgo Téné aus Burkina Faso mit bundesweitem Medienecho. Die Renovierungsphase für die überfällige Sanierung des Theatergebäudes sollte eigentlich während der beiden Lockdown-Spielzeiten in einem großen Theaterzelt am Großen Teich überbrückt werden.

Das Theater Altenburg heute... Foto: Ronny Ristok

Das Theater Altenburg heute... Foto: Ronny Ristok

Auch in der Fusion achtet man immer darauf, dass in Altenburg und Gera das Publikum der beiden Städte den Spielbetrieb als ihr „eigenes Theater“ wahrnehmen kann. Erstpremieren und Hauspremieren werden sorgfältig verteilt. Dem wegen Corona in den Rundfunk verlegten Konzert zum 100-Jahre-Jubiläum des Theaterchors auf Geraer Seite im Dezember 2020 folgte am 16. April 2021 das Gebäude-Jubiläum des Theaters Altenburg. Dieses Haus hat eine große Geschichte, die Chefdramaturg Felix Eckerle und Harald Müller in einem vom Verlag Theater der Zeit veröffentlichten Jubiläumsband mit einer spannenden Aufsatzsammlung und einer Liste aller Premieren seit der Eröffnung am 16. April 1871 aufrollen.

Das Theater Altenburg früher.

... und früher.

Die Lage der beiden seit 26 Jahren verschwisterten Theatertempel war signifikant für deren Profilierung vor 1945. Das Theaterhaus Gera, in dem sich auch der große Konzertsaal befindet, wurde in einiger Entfernung vom Zentrum der Anfang des 20. Jahrhunderts einwohnerstärksten Stadt Thüringens errichtet. Standort ist das Ende des Orangeriegartens unmittelbar neben dem Hauptbahnhof, damit auswärtiges Publikum möglichst komplikationsfrei anreisen konnte. Schon damals war man sich nicht sicher, ob das Haus vorwiegend mit Zuschauern aus Gera gefüllt werden konnte. Anders in Altenburg: Das nach dem Vorbild der ersten Semperoper errichtete Herzogliche Hoftheater prunkte am Fuße des Schlossberges mit dorthin ausgerichtetem Portikus, war mit ihren Villen ein Repräsentationsobjekt für das gründerzeitlich-historistische Flair der Nähmaschinen- und Skatstadt Altenburg. Und Wagner-Stadt! Dort inszenierte Wieland Wagner während des Zweiten Weltkriegs lange vor seiner 1952 begonnenen szenischen Entrümpelung der Bayreuther Festspiele den „Ring des Nibelungen”. Von 1908/1909 bis 1943/1944 fanden in Altenburg insgesamt elf Gesamtaufführungen von Wagners Tetralogie statt. Gäste des Theaters Altenburg waren für Gastauftritte und Premieren Eugen d‘Albert, Eduard Künneke, Richard Strauss und viele andere.

Von den beiden letzten Intendanten der bis 1995 autonomen Theater kommt im Jubiläumsband Michael Schindhelm von der Geraer Seite zu Wort – nicht aber Georg Mittendrein für Altenburg. Fast scheu ging Felix Eckerle über die DDR-Jahre hinweg, deren Personalstrategie Schindhelm aufgrund der im Sozialismus üblichen langfristigen Ensemble-Zugehörigkeiten eine „Großfamilie mit Spielverpflichtung” nannte. Die Autonomie der beiden Theater endete mit Glanz, Gloria und unter anderem einer zwiefachen „Aida”: 1993/1994 konnte man noch (mit beträchtlichen Extrachor-Verstärkungen) in beiden Städten eigene Produktionen von Verdis Oper erleben, beide in deutscher Sprache. An beiden Häusern waren die Solopartien überregional konkurrenzfähig und fast vollständig aus den eigenen Ensembles besetzt. Auch die insgesamt dritte Altenburger „Salome”-Produktion war 1995 eine eindrucksvolle Leistung.

Der personelle Schrumpfungsprozess nach der Fusion, über die Toni Rack, Medienreferent von Theater und Philharmonie Altenburg Gera, seine Masterarbeit geschrieben hatte, ereignete sich parallel zu mehreren Stufen von Haustarifverträgen, durch die der Bestand unter persönlichen Entbehrungen der Angestellten gesichert werden konnte. Von den insgesamt 595 Beschäftigten beider Theaterbetriebe im Jahr 1995 bestanden am 1. Januar 2010 noch 316 Stellen. Heute ergänzen regelmäßig Gäste den Chor bei größeren Aufgaben. Zahlreiche Musiktheater-Soli werden aus dem Thüringer Opernstudio besetzt, einem Aufbaustudium der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Nationaltheater Weimar, dem Theater Erfurt, dem Theater Nordhausen und dem Theater Altenburg-Gera. Dennoch ist die Traditionslinie aufwändiger Opernaufführungen und -entdeckungen, selbst wenn diese seit 1995 etwas spärlicher wurden, nicht unterbrochen. Das beweisen Großprojekte wie George Enescus „Oedipe” (2018).

Die Stadt Altenburg feierte das Jubiläum allerdings nicht im Theater, das wegen Totalsanierung bis 2022 geschlossen bleibt, und wegen Corona auch nicht in der Ersatzspielstätte Theaterzelt, sondern im MDR und im regionalen Fernsehen. Somit war sogar der vorläufige Abschied des Ensembles im Juni 2019 mit Wilhelm Dieter Sieberts Mitspieloper „Der Untergang der Titanic” der Spiegel einer großen Vergangenheit. Die Passagiere des Luxusschiffs trugen zum Schlussapplaus auf dem Balkon des 1905 errichteten Foyervorbaus jene Tournüren und Zylinder wie das Publikum während Altenburgs Glanzzeit, als dieses – auch das steht im Jubiläumsband – mehr Lustiges als Erbauliches und Klassisches in seinem Theater zu erleben wünschte. Das ist heute etwas anders: Mit der Programmgestaltung von Bühnenstücken und Konzerten behauptet sich das Theater Altenburg-Gera auf halber Strecke zwischen Meiningen und Görlitz, zwischen Berlin und Nürnberg glänzend.

Roland H. Dippel

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