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Kulturpolitik

Auf ein Wort mit Daniel Morgenroth

Zukünftiger Intendant des Gerhart-Hauptmann-Theaters in Görlitz und Zittau — Im Gespräch mit Barbara Haack und Gerrit Wedel

Daniel Morgenroth, gebürtiger Coburger, wird zu Beginn der Spielzeit 2021/2022 Intendant des Gerhart-Hauptmann-Theaters in Görlitz und Zittau. Nach einem Studium in Sprachen, Wirtschafts- und Kulturwissenschaften in Passau ging er nach London, um dort an der Royal Academy of Dramatic Art und am King‘s College einen Master in „Text and Performance“ zu machen. Schon während seiner Studien schrieb und inszenierte er für verschiedene Gruppen. Das Angebot, die Assistenz für Bob Wilson zu übernehmen, brachte ihn nach New York und dann mit Wilson ein Jahr lang durch die ganze Welt. Anschließend promovierte er an der Universität Würzburg, um dann Referent und Stellvertretender Intendant am Theater Konstanz bei Intendant Christoph Nix zu werden. 2020 wurde er zum Intendanten in Görlitz und Zittau berufen. Gerrit Wedel und Barbara Haack sprachen mit dem umtriebigen Kulturmenschen über die aktuelle Situation des Theaters und seine Pläne für die Zukunft.

Oper & Tanz: Vom Bodensee nach Görlitz-Zittau: Wie sind Sie dort angekommen?

Daniel Morgenroth: Ich bin sehr angetan von den Städten, die Oberlausitz ist eine tolle Region. Ich war überrascht, wie viel Wert die Leute hier auf Kultur und auf ihr Theater legen. Auch am Haus merkt man das: Da herrscht ein sehr schöner Geist. Ich habe den Eindruck, dass viele hier Lust auf einen neuen Aufbruch haben.

O&T: Das Theater ist vor kurzem nicht eben positiv in die Schlagzeilen geraten: Es gab ein Gutachten der Firma actori, das bis heute nicht veröffentlicht worden ist. Es enthält offenbar unter anderem Vorschläge, das Musiktheater abzuschaffen. Die Künstlergewerkschaften haben in diesem Zusammenhang öffentlich protestiert. Sie selbst bewegen sich im Moment in einer Balance zwischen Ankommen und Schon-da-sein. Wie bewerten Sie die Situation?

Daniel Morgenroth. Foto: Pawel Sosnowski

Daniel Morgenroth. Foto: Pawel Sosnowski

Morgenroth: Wenn ich die Situation bewerten müsste, würde ich zuerst sagen, dass ich dieses Gutachten unnötig fand, weil es nichts zutage gefördert hat, das nicht längst bekannt war. Ich war sehr positiv überrascht, welche Welle der Solidarität und Sympathie über uns hereingebrochen ist. Das zeigt, wie verwurzelt und wichtig das Theater hier ist. Ich habe mich mit den Bilanzen der letzten fünf Jahre auseinandergesetzt, auch mit den Opfern, die das Haus in den letzten fünfzehn Jahren schon erbracht hat. Hier wurde ordentlich heruntergespart: Wir haben ein Ensemble mit neun Solistinnen und Solisten, einen Opernchor mit neunzehn Stellen. Mit weniger geht Musiktheater nicht, das ist das absolute Minimum, mit dem wir arbeiten können. Deshalb ärgert es mich, wenn wieder Sparwünsche an uns herangetragen werden. Die Mitarbeiter waren hier zehn Jahre lang im Haustarif und haben teilweise bis zu zwanzig Prozent unter Tarif verdient. Das sind enorme Leistungen, die auf dem Rücken der Belegschaft ausgetragen werden. Deshalb war ich so begeistert, als ich gehört habe, dass wir in den Flächentarif zurückkehren. Jetzt hängen wir wieder an Tarifsteigerungen, die wir nicht mehr verhandeln, sondern die wir einfach hinnehmen müssen. Das macht die Finanzierung schwierig.

Ich habe darüber schon mit der Politik, mit den Gesellschaftern gesprochen: Ich glaube, dass bei den Ticketverkäufen noch Luft nach oben ist, ebenso beim Sponsoring. Aber das wird die Tarifsteigerungen nicht ausgleichen. Jährliche Aufwüchse werden in jedem Fall notwendig sein. Bei den vielen Verwaltungsangestellten im TVöD Stadt- und Landkreis wird jährlich die Tariferhöhung durchgeführt, aber bei den Bühnenkünstlern, die nach Künstlertarifverträgen angestellt sind, wird geschaut, was möglich ist. Das halte ich für verfehlt.

O&T: Die ganze Region rund um Görlitz befindet sich im Wandel. Was bedeutet das für das Theater?

Morgenroth: Gerade rollen vom Bund Milliarden an Strukturwandelmitteln auf uns zu. Die Politik denkt natürlich oft in Vier- bis Fünfjahreszyklen, aber für den Strukturwandel müssen wir überlegen, wo diese Region in 25, in 50 Jahren stehen soll. Da heißt es immer, dass wir den tertiären Sektor stärken müssen. Dabei ist das Theater ein ganz zentrales Mittel. Ich hoffe, dass ich der Politik verständlich machen kann, dass wir ein wichtiger Teil dieses Wandels sind und keine Belastung.

O&T: Wenn wir davon ausgehen, dass das Musiktheater trotz des Gutachtens erhalten bleibt: Wie sehen Ihre Konzepte aus – vorausgesetzt, Corona erlaubt es?

Morgenroth: Strukturell haben wir zwei Standorte, in Görlitz und in Zittau. Diese sind zwar seit zehn Jahren nominell fusioniert, gleichwohl haben sie in vielen Bereichen sehr getrennt gearbeitet. In Zittau wurde ein Schauspielspielplan gemacht, in Görlitz ein Musiktheaterspielplan. Ich möchte aber – und ich glaube, auch das ist Teil unserer Legitimation –, dass wir zusammenarbeiten. Wir haben jetzt angefangen, die Spielpläne in großer Runde zu planen, mit allen Spartenleiterinnen und Spartenleitern, mit der Dramaturgie und mir selbst. Ich möchte die Spartengrenzen ein bisschen aufweichen und die Häuser enger zusammenbringen, ohne sie zu einem monolithischen Block zu formen.

Gerhart-Hauptmann-Theater, Standort Görlitz. Foto: Pawel Sosnowski

Gerhart-Hauptmann-Theater, Standort Görlitz. Foto: Pawel Sosnowski

Der zweite Schwerpunkt, den ich setzen möchte, ist, das Haus „grenzenlos“ zu öffnen. Hier wurde im Zuge der Sparmaßnahmen vor zehn Jahren die Theaterpädagogik faktisch komplett abgeschafft. Das fand ich unhaltbar, ich habe Gelder aufgetan, so dass wir für jeden Standort wieder eine Vollzeit-Theaterpädagogin einstellen können. Es wird Spielclubs für junge Leute geben, die Tanzcompagnie wird einen Jugendtanzclub anbieten. Dann ist es wichtig, auch bei den Jugendzentren anzudocken, bei den Schulen und Kindergärten, und mehr kleine Produktionen zu machen. Wir denken an Liederabende, an mobile Produktionen, die man auch nach draußen schicken kann. Die Dramaturgie wollen wir neu aufstellen; sie soll sich mit der gesamten Stadt, mit allen Akteuren, mit Gesellschaften, mit Vereinen und Initiativen, aber auch mit der freien Szene vernetzen. Wichtig ist mir, dieses Haus so weit wie möglich zu öffnen als einen Diskursort der Stadt.

O&T: Und im Theater selbst?

Morgenroth: Wir wollen pro Spielzeit mindestens ein großes spartenübergreifendes Projekt machen und fangen damit in diesem Jahr an. In einem ehemaligen Fabrikgelände planen wir ein immersives Theaterstück: Gemeinsam mit Schauspiel, mit Tanz, mit dem Musiktheater, mit Bildenden Künstlern wird ein richtig dichtes Gesamtkunstwerk geschaffen, in dem die Zuschauer mit allen Sinnen etwas erfahren und entdecken können. Ansonsten schauen wir, dass wir im Musiktheater ein bisschen abseits vom klassischen Repertoire wandeln. Gleichwohl ist die erste Spielzeit auch eine Übergangsspielzeit, weil wir natürlich Produktionen übernommen haben, die Corona zum Opfer gefallen sind, zum Beispiel „Mahagonny“, das Klaus Arauners Abschiedsinszenierung werden sollte.

Wir haben ein Spielzeitmotto eingeführt – auch das ist Teil dieser Hausgeschichte –, das für alle Sparten und für das gesamte Haus gilt. Wir wollten etwas Energiegeladenes, Dynamisches für die erste Spielzeit, deshalb lautet das Motto „Hearts on Fire“. Die Idee ist, ein einheitliches Motto über alle Sparten zu stellen und die Inszenierungen dadurch miteinander klingen oder sich aneinander reiben zu lassen.

O&T: Sie haben in der Vergangenheit viel experimentelles Theater gemacht. Wie viel davon wird man in Görlitz oder Zittau zu sehen bekommen? Wie viel davon „vertragen“ diese Städte?

Morgenroth: Ich glaube, es ist ein Mythos, dass das Stadttheaterpublikum nichts verträgt. Es kann viel mehr, als man ihm zutraut. Aber ich weiß natürlich, dass das Stadttheater gewisse Anforderungen hat. Wir müssen dem jungen avantgardistischen Publikum etwas bieten, aber auch eine schöne Operette machen. Das ist immer eine Gratwanderung. Ich werde ein paar experimentelle Dinge bringen; ich habe auch vor, mich dem Publikum mit einer Performance zur Spielzeiteröffnung auf der Bühne vorzustellen. Dieses immersive Theater hat eine ganz andere Sinnlichkeit. Und auch die Operette muss ja nicht angestaubt gemacht werden.

O&T: Sie befinden sich hier im Dreiländereck mit Polen und Tschechien. Werden Sie den Austausch ausbauen?

Morgenroth: Auf jeden Fall! Diese Grenzlage ist eine ganz große Chance, Es gibt schon seit Jahren das J-O-Ś, ein trinationales Jugendtheaterfestival in Zittau, das wir weiterführen werden. Es gibt auch ein gemeinsames Projekt mit Bautzen und mit Jelenia Góra in Polen. Ich habe ja eine großartige Generalmusikdirektorin, Ewa Strusińska. Sie ist gebürtige Polin und hat sehr gute Verbindungen dorthin. Das bauen wir aus, aber das muss natürlich nach und nach wachsen.

O&T: Wenn wir die Entwicklungen in Polen in den letzten Jahren anschauen, auch Entwicklungen in den sogenannten neuen Bundesländern, dann ist nicht alles politisch erfreulich, was sich dort entwickelt. Wird das auch eine Rolle spielen in Ihrer Gestaltung von Theater, sowohl in Görlitz als auch im Rahmen dieses Austauschs?

Gerhart-Hauptmann-Theater, Standort Zittau. Foto: Pawel Sosnowski

Gerhart-Hauptmann-Theater, Standort Zittau. Foto: Pawel Sosnowski

Morgenroth: Das wird sicherlich eine Rolle spielen. Wir haben einen Stücke-Auftrag für die Spielzeit 2023 an einen jungen polnischen Autor vergeben, mit dem ich mich lange darüber unterhalten habe. Da schien es, als sei die polnische Theaterlandschaft gespalten: Es gibt eine Reihe von Leuten, die gerne Gefälligkeitstheater machen, und eine andere Szene, die sehr politisch und sehr radikal ist und der ich mich erst einmal sehr viel näher fühle. Da gibt es im Moment politisch sehr viel in Polen, das mir Angst macht. Was an Ideologien wieder sagbar ist, ist erschreckend. Deshalb hoffe ich, dass wir auch mit guter Kunst einen Beitrag leisten können. Vielleicht schafft man es ja auch, Auftrittsräume für Dinge zu bieten, die in Polen gerade nicht gezeigt werden können.

O&T: Gerade auch in den strukturellen Theatern gibt es dort eine erhebliche staatliche Einflussnahme. Da ist man scheinbar im deutschen Theaterraum doch noch ein bisschen freier in der Kunst. Umso wichtiger ist es, diese Räume zu nutzen.

Morgenroth: Als ich mich beworben hatte, habe ich natürlich mitbekommen, dass die AfD hier bei 30 Prozent steht. Das ist schwierig, weil die AfD sehr viel mitbestimmt und es schafft, den Diskurs immer weiter zu verschieben. Als Theater müssen wir dagegenstehen. Theater ist auch ein Ort des Diskurses. Man muss mit allen reden, aber es gibt gewisse Diskursregeln und gewisse Grenzen, die man nicht überschreiten sollte. Insofern ist Theater für mich immer politisch, im Schauspiel natürlich verstärkt, weil man da auch schneller auf Dinge reagieren kann als im Musiktheater.

O&T: Sie kommen eher aus dem Theaterbereich. Ihr Vorgänger Klaus Arauner war in Personalunion Operndirektor. Wird es einen neuen Operndirektor geben?

Morgenroth: Es gibt einen neuen Schauspieldirektor. Im Moment bin ich auch Operndirektor in Personalunion. Es gibt dafür sonst gerade kein Budget. Ich habe hier die Position eines Chefdramaturgen wieder eingeführt, was mir natürlich auch die Arbeit erleichtert. Tatsächlich hängt im Moment die Operndirektion an mir, was mir Spaß macht, was aber einfach auch eine große Arbeitsbelastung ist: Generalintendant mit Kaufmännischer Geschäftsführung und Operndirektion, das ist nicht gerade wenig. Aber ich habe ein tolles Team hier vor Ort.

O&T: Das ist tatsächlich eine besondere Herausforderung, gerade in einem Haus, in dem man gerne so genau auf die Zahlen schaut. Normalerweise sind das mindestens zwei Jobs.

Morgenroth: Ich sehe das genauso. Im Moment gibt es dafür einfach kein Budget. Wichtiger war, hier wieder Theaterpädagogik einzuführen. Ich habe einen tollen Chefdramaturgen gebraucht, das war auch wichtiger.

O&T: Werden Sie auch selbst inszenieren?

Morgenroth: Ja. Das immersive Projekt mache ich selbst, das ist „mein Baby“, dann soll das auch so werden, wie ich es mir vorstelle. Da möchte ich einen frischen künstlerischen Impuls hineingeben.

O&T: In der Presse macht die Information die Runde, dass Sie als Arbeitsschwerpunkte auch Kapitalismuskritik, Meeresbiologie und Konzeptkunst nennen.

Morgenroth: Das stand in meinem Lebenslauf und wurde über die Pressemitteilung des Landkreises so rausgeschickt.

O&T: Was will man mit Meeresbiologie in Görlitz?

Morgenroth: Das hat mit dem Theater erst einmal nichts zu tun. Ich beschäftige mich seit zehn Jahren hobbymäßig mit Meeresbiologie, insbesondere mit großen Meeressäugern. Ich bin vor allem angetan von Walen und lese alles, was ich über Wale finden kann, auch weil die marinen Ökosysteme unvergleichbar mit allem auf dem Land sind. Das ist so komplex und so bestimmend für unser Leben, wie es uns gar nicht bewusst ist: Das hat meine Sicht auf das Leben komplett verändert. Es ist lohnenswert, sich neben der Kunst mit solchen Dingen aus anderen Bereichen auseinanderzusetzen, weil es am Ende indirekt auch eine künstlerische Produktion beeinflusst, weil es die Sichtweise ändert, weil es neue Impulse gibt.

O&T: Wie trägt man so etwas in das Theater hinein?

Morgenroth: Wir bauen gerade an einem guten Fortbildungsmanagement für das Theater und für das Ensemble, weil mich immer gestört hat, dass es das an Theatern faktisch nicht gibt. In jedem Betrieb, in jeder öffentlichen Einrichtung gibt es dauernd Fortbildungen, nur am Theater nicht. Solche Fortbildungen für Kolleginnen und Kollegen hier im Haus müssen nicht immer fachbezogen sein. Ich fände es eben auch spannend, einmal im Monat beispielsweise einen Biologen uns etwas über Biodiversität erzählen zu lassen, oder einen Juristen über Strafrecht. Das sind zentral wichtige Impulse, wenn wir künstlerisch arbeiten. Das geht im Stadttheaterbetrieb oft verloren, weil man in so vielen Zwängen ist.

O&T: Während Corona sind überall Online-Angebote aus dem Boden geschossen. Wie sehen Sie das für die Zukunft in Ihrem Theater? Werden Sie Angebote beibehalten neben den hoffentlich bald wieder stattfindenden Präsenzvorstellungen?

Morgenroth: In der akuten Corona-Zeit war es sehr wichtig, dem Publikum irgendetwas zu bieten und den Kontakt zu halten. Auf lange Sicht bin ich aber der Ansicht: Wir sind die Antithese zum Digitalen. Das Theater ist der Ort der tatsächlichen Begegnung. Das Digitale kann für manche Dinge eine Ergänzung sein, manche Angebote werden wir vielleicht weiterführen. Ich sehe im Digitalen aber nicht den großen Heilsbringer. Im Gegenteil: Wir sind so verbunden wie noch nie, aber so einsam wie lange nicht mehr. Da ist das Theater der Ort, wo es um echte Begegnung geht und nicht um virtuelles Miteinander.

O&T: Aber vielleicht gibt es einen digitalen Nutzen für eine verbesserte Außenwirkung? Haben Sie da Pläne?

Morgenroth: Wir haben gerade ein schickes neues Logo machen lassen. Das ist ein Biber, weil der Biber hier an der Neiße endemisch ist. Der Biber ist ein Grenzgänger; Polen, Deutschland, Tschechien – die Grenzen spielen für ihn keine Rolle. Und: Der Biber ist der Ingenieur unter den Tieren. Der nimmt seine Umwelt nicht hin, wie sie ist, sondern er gestaltet sie. Deswegen ist er auch nicht immer beliebt, aber das nimmt er in Kauf. Grundsätzlich sind Biber aber sympathisch. Wir gehen also neu in die Außenkommunikation. Da bespielen wir natürlich auch die digitalen Kanäle.

O&T: Ist diese neue Kommunikation auch ein Signal in die Politik?

Morgenroth: Auf jeden Fall hätte ich der Politik am liebsten zugerufen: Lasst uns doch erst einmal zwei Jahre arbeiten mit einem neuen Team, neuen Impulsen, neuen Handschriften. Ich verstehe nicht, wieso man sich jetzt, wo man gerade einen neuen Intendanten gewählt hat, Gedanken macht, ob man eine Sparte abschafft. Das ist totaler Quatsch. Aber wir gehen mit viel guter Laune da rein. Einen Teil vom Team bringe ich neu hinein, der größte Teil wird aber übernommen.

O&T: Was gibt es für den Chor?

Morgenroth: Wir machen als Eröffnungsoperette „Der liebe Augustin“ von Leo Fall. Da ist nur ein kleiner Chor drin. Die „Tosca“ kommt als Wiederaufnahme, da ist der Chor natürlich massig im Einsatz, da brauchen wir wieder Verstärkung. „Mahagonny“ ist auch klar. Auch im Musical wird der Chor wieder ordentlich beteiligt sein, da machen wir „Mack and Mabel“ von Jerry Herman. Und natürlich das Weihnachtskonzert, das hier eine wichtige Rolle spielt.

O&T: Träumen Sie von einem größeren Chor? Träumen darf man ja…

Morgenroth: Ich habe mich neulich über dieses Thema mit unserem tollen Chordirektor Albert Seidl unterhalten. Natürlich brauchen wir immer wieder Aushilfen, das ist tatsächlich ein reines Zahlenspiel. Es ist momentan billiger, immer wieder Aushilfen heranzuholen, als feste Stellen zu schaffen.

O&T: Worum geht es Ihnen, wenn Sie von Kapitalismuskritik sprechen?

Morgenroth: In den künstlerischen Arbeiten habe ich eigentlich drei Schwerpunkte: Körper, Religion und Kapital, die drei Dinge, die mich wirklich interessieren. Bei Kapitalismuskritik geht es für mich um das Spannungsfeld: Was ist gerecht und was ist effizient? Und aktuell immer mehr um die Frage: Wie viel ist genug?

O&T: Im Moment wird sehr viel über die sogenannte Allmacht der Intendanten, über Machtmissbrauch und Hierarchien im Theater diskutiert. Sie kommen neu nach Görlitz und gehören einer anderen Generation an als die meisten Intendanten, um die es konkret geht. Wie sehen Sie diese Diskussion und die Positionierung eines Intendanten in dieser Frage?

Morgenroth: Ich mache mir darüber Gedanken, denn ich finde, dass die Machtfülle tatsächlich enorm ist. Ich erschrecke davor ein bisschen. Ich bin durchaus davon überzeugt, dass Macht korrumpiert – vielleicht nicht schnell, aber auf Dauer –, und wenn das mal ein paar Jahre gut läuft, meint man vielleicht doch, man habe den Stein der Weisen gefunden. Da frage ich mich schon: Wer ist das Korrektiv? Wir versuchen das zu vermeiden, indem wir ein offenes Diskursklima schaffen, und wir haben diese kollektive Arbeit am Spielplan. Auf der anderen Seite muss irgendwer am Ende den Kopf hinhalten. Es geht ja nicht nur ums Künstlerische, sondern auch darum, wer denn der Geschäftsführer dieser GmbH ist, wer die Verträge unterschreibt, wer das vor dem Aufsichtsrat verteidigt. Insofern haben wir das so geregelt, dass wir sehr offen in der Diskussion sind, was uns auch gut gelingt. Wenn wir uns nicht entscheiden können, dann entscheide ich. Ich persönlich bin nicht sicher, was ein gutes Modell ist. Aber ich sehe die Gefahr: Jetzt bin ich ganz neu hier, noch ist alles in Ordnung, ich bin selbstreflektiert. Aber fragen Sie mich in fünf Jahren nochmal. Vielleicht sehe ich es dann ja anders und bin überzeugt, dass es ein gutes Modell ist, wenn der Intendant alles darf.

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