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Hintergrund

Reibung an alten Meistern

Igor Strawinsky als Komponist von Opern und Balletten

Geboren wurde Igor Strawinsky 1882 in Russland. Ab 1920 lebte er in Paris und wurde französischer Staatsbürger. 1940 floh Strawinsky wegen des Krieges nach Amerika und wechselte nochmals die Staatsbürgerschaft. Er blieb bis zu seinem Tod am 6. April 1971 US-Amerikaner. Strawinsky war ein echter Weltbürger: Russe, Franzose und Amerikaner! Entsprechend kosmopolitisch ist auch sein Werk. Es zeichnet sich durch eine große Stilvielfalt aus. Kaum eine Technik oder eine stilistische Entwicklung seiner Zeit, mit der er sich nicht auseinandergesetzt, die nicht in seinem umfangreichen, alle Gattungen umfassenden Werk ihren Niederschlag gefunden hat.

Durch seinen Vater, Fjodor Ignatjewitsch Strawinsky, einen der ersten Opernsänger des St. Petersburger Marientheaters, atmete Igor Strawinsky schon im Kindesalter Opernluft. Der Zehnjährige – er hatte gerade begonnen, Klavierspielen zu lernen – studierte die Opernpartituren seines Vaters, mit 16 „pflegte ich nicht weniger als fünf oder sechs Abende der Woche in der Oper zu verbringen“, wie er später bekannte. Es waren vor allem die Werke der Russischen Schule, die er so kennenlernte: Auf eigene Initiative studierte er die Werke von César Franck, Vincent d´Indy, Gabriel Fauré und Claude Debussy, dessen „Freiheit und Frische“ für ihn „etwas vollkommen Neues“ bedeutete. Strawinsky selbst wurde, laut Erik Satie, ein Erneuerer, „ein Befreier“.

Nicht nur, aber auch in seinen Opern. Doch eigentlich verbietet es sich, von Opern zu sprechen. Seine Gattungsbezeichnungen sind so mannigfaltig wie ungewöhnlich: „Lyrisches Märchen“ („Die Nachtigall“), „Burleske Geschichte zu singen und zu spielen“ („Renard“), „Zu lesen, zu spielen und zu tanzen“ („Geschichte vom Soldaten“), „Opera buffa“ („Mavra“), „Opern-Oratorium“ („Oedipus Rex“), „Melodrama“ („Persephone“), „Eine Oper“ („The Rake‘s Progress“) und „Ein musikalisches Spiel“ („Die Flut“).

In Nikolai Rimski-Korsakow fand er seinen gestrengen Privatlehrer (am St. Petersburger Konservatorium zu studieren hatte der ihm abgeraten) und Freund. Er komponierte im Wesentlichen als Autodidakt.

Durch Serge Diaghilev kam der junge Strawinsky zum Ballett. Diaghilev war als Allroundgenie in beratender Funktion am Mariinsky Theater tätig, er war der Anführer einer Künstlergruppe, die sich „Welt der Kunst“ nannte und eine russische Bewegung anführte, die der Secession, dem Art Nouveau und dem Jugendstil im Westen vergleichbar war. Gemeinsam mit dem Choreografen Michel Fokine gab er in Paris ab 1906 mit Oper und Ballett legendäre Gastspiele. Er ließ sich schon vor dem Krieg in Monte Carlo nieder und kehrte nach der Oktoberrevolution nicht nach Russland zurück. Diaghilev verstand es, Tänzer, Choreografen, Maler und Komponisten an sich zu ziehen. „Er war der Erste, der zu mir kam, er ermutigte mich bei meinen ersten Anfängen und unterstützte mich in seiner wirksamen, fördernden Weise“, so Strawinsky. Es war im Spätsommer 1909, als Igor Strawinsky ein Telegramm erhielt, das sein Leben und den Gang der Musikgeschichte verändern sollte. Der russische Impresario fragte bei dem bis dato so gut wie unbekannten Rimski-Korsakow-Schüler an, ob er die Musik zu einem großen Ballett über einen Stoff aus der russischen Märchenwelt schreiben wolle. „Der Feuervogel“ wurde ein glänzender Erfolg. Passagen von mitreißender rhythmischer Kraft und aggressiver Wildheit, kurze, von russischer Volksmusik inspirierte Melodien und ein hoch entwickelter Sinn für Klangfarben sind die wichtigsten Charakteristika der „Feuervogel“-Musik. Der Choreograf Georges Balanchine bezeichnete „Strawinskys strenges rhythmisches Empfinden“ als „Zeichen seiner Autorität“. Das tänzerische Element nannte er den „dominierenden Pulsschlag in Strawinskys Musik“. Jean Cocteau brachte auf Strawinskys Musik gemünzt, den Begriff „Elektrizität“ ins Spiel. Der Strawinsky-Biograph Volker Scherliess machte auf die „Faszination durch die Maschine“ als „Faszination des Präzisen“ aufmerksam.

Die Musikwissenschaft gliedert gemeinhin Strawinskys Schaffen in drei Perioden: eine das Frühwerk (ab 1908) umfassende „russische“ Periode, die die Zeit bis „The Rake’s Progress“ (1951) kennzeichnende „neoklassizistische“ und die das Spätschaffen abschließende „serielle Altersperiode“. Strawinsky selbst betonte die bruchlose Kontinuität seiner konsequenten musikalischen Entwicklung. Er bekannte, dass er „Orchestereffekte als Mittel zur Verschönerung hasse“ und dass man von ihm nicht erwarten solle „von verführerischen Klängen berückt zu werden“. Emotionale Distanz, Ironie und das, was man als Brechtschen „Verfremdungseffekt“ bezeichnet, kennzeichnen seine musikalische Dramaturgie. Gesprochene wie gesungene Musik und Text haben ihr Eigenleben.

Strawinsky setzte schon im „L´Oiseau de feu“ alle traditionelle Harmonik außer Kraft und ließ die Verbindung der Zusammenklänge einer eigenen inneren Logik folgen. Wahrhaft Revolutionäres ereignete sich in den nächsten beiden Ballettmusiken, „Petruschka“ und „Le sacre du printemps“. Im „Sacre“, dessen Uraufführung am 29. Mai 1913 von einem der größten Skandale der Musikgeschichte begleitet war, entfesselt Strawinsky einen rhythmischen und klanglich dissonanten Sturm von vorher undenkbarer Intensität. In diesem Werk tritt – kennzeichnend für sein ganzes Werk – neben der Bedeutung des Rhythmus‘ die Montage als Grundprinzip seines Komponierens hervor. „Le sacre du printemps“ war sein erfolgreichstes, ein epochemachendes, die Musikgeschichte veränderndes Werk. Freilich schrieb er noch andere für die Ballets russes: „Petruschka“, „Les noces“, „Pulcinella“, „Apollon Musagète“, „Le Baiser de la Fée“. Diaghilev brachte ferner als erster die Ballettproduktion von „Chant du rossignol“ und „Feu d’artifice“ heraus sowie die Premiere der Oper „Mavra“. Strawinsky blieb auch nach Diaghilevs Tod 1928 seinem Kreis verbunden. Freilich schrieb er auch für andere Choreografen Ballettmusiken, beispielweise „Jeu des Cartes“ für George Balanchine und die Tanzsuite „Scénes de ballet“ für Anton Dolin (ehemaliger erster Solist der Ballets russes).

Die Oper „The Rake‘s Progress“, die Strawinsky 1951 in Venedig herausbrachte, war nach „Oedipus Rex“ nicht nur das abschließend exemplarische Werk seines Neoklassizismus‘, sondern auch sein erklärtes „Weltabschiedswerk“, das ihm weltweit Anerkennung brachte. Ausgerechnet in dieser Oper zeigt sich Igor Strawinsky über weite Strecken als ein „Mozart des 20. Jahrhunderts“. Nach dem Aufbruch in die Moderne, für deren russische Stoßkraft er seit seiner wegweisenden Komposition von „Le sacre du printemps“ 1913 galt, hatte der Komponist in den Werken seines „Neoklassizismus‘“ immer wieder die Auseinandersetzung mit den Alten Meistern der Musik gesucht. Aber nirgends ist seine Reverenz an das mozartische Modell der Lorenzo-Da-Ponte-Opern so evident. Strawinsky hat in diesem seinem Paradigma einer klassischen Oper, angeregt durch die Kupferstichserie „A Rake´s
Progress“ des englischen Malers und Kupferstechers William Hogarth „Musik über Musik“ geschrieben (Rudolf Kolisch), hat musikalische Formen mit Bewunderung zitiert und zugleich mit Ironie entstaubt.

Strawinsky selbst sagte über seine Musik einmal nicht ohne Selbstironie, sie sei „unfähig, irgendetwas auszudrücken“. Sein Komponieren betrachtete er vor allem als artistisches Spiel mit unterschiedlichsten Stilmitteln. Als Komponist fragte er sich: „Was kann nach den großen romantischen Orchesterstücken mit Riesenorchester noch kommen?“ Er selbst beantwortete diese Frage durch sein Wirken, denn er komponierte in „Der Feuervogel“, „Petruschka“ „ und „Le sacre du printemps“ selbst für Riesenorchester. Obwohl Strawinsky als Jugendlicher vom Werk Richard Wagners fasziniert war, wurde er mehr und mehr zu einem entschiedenen Anti-Wagnerianer. Die traditionelle Oper schien ihm überlebt. Er behauptete, sie könne sich nicht selbst erneuern. Aber er bewies das Gegenteil. In seinem enormen Œuvre haben immerhin sieben Werke des Musiktheaters, die man im weitesten Sinne der Gattung Oper zurechnen darf, sowie ein Dutzend Ballette diesen Genres den Weg in die Zukunft gewiesen.

Dieter David Scholz

 

 

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