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Rezensionen

Theresienstädter Requiem

Bor, Josef: Theresienstädter Requiem. Novelle. 127 S. u 4 Abb. Reclam Verlag Stuttgart 2021. € 18

Mit „Libera me“ erklingt Giuseppe Verdis Totenmesse im Pianissimo. Was wird da alles mitgeschwungen haben, als diese Bitte 1944 im Ghetto Theresienstadt erklang? Von über 140.000 dort durchgeschleusten, fast durchweg jüdischen Inhaftierten haben nur 23.000 überlebt. Doch in der von der NS-Propaganda zynisch geschönten „Stadt für die Juden“ gab es inmitten des Horrors ein frappierend reiches Musikleben: Unter anderem gab es zahlreiche und vielfältige Musikabende – und als Gipfel eben Verdis Requiem.

Bor, Josef: Theresienstädter Requiem. Novelle. 127 S. u 4 Abb. Reclam Verlag Stuttgart 2021.

Bor, Josef: Theresienstädter Requiem. Novelle. 127 S. u 4 Abb. Reclam Verlag Stuttgart 2021.

Einer der Beteiligten war Josef Bondy. Der 1906 geborene Rechts-
anwalt wurde im Juni 1942 mit seiner ganzen Familie nach Theresienstadt deportiert. Als Teil der „Spedition der Selbstverwaltung“ konnte er allerlei organisieren – auch für die Aufführungen. Daher rührte die kurze Freundschaft mit dem Dirigenten Rafael Schächter. Der 38-Jährige formte 1943 bis 1944 den großen, 150 Vokalisten umfassenden Chor für Verdis „geistliche Oper“. Er fand vier, allen Berichten nach beeindruckende Solisten, probte auswendig ohne Partitur und musste ständig „nachproben“, weil Mitwirkende in die Vernichtungslager deportiert wurden. Als Instrumentarium standen nur ein alter Flügel und ein Harmonium zu Verfügung. Die drei wohl hochexpressiven Aufführungen blieben allen Überlebenden unvergesslich. Josef Bondy überstand als Zwangsarbeiter für die IG Farben das Lager Auschwitz-Monowitz, dann im Januar 1945 den Todesmarsch ins KZ Buchenwald. Von den Amerikanern befreit, kehrte er nach Prag zurück und veröffentlichte als Josef Bor 1963 das „Theresienstädter Requiem“ als Novelle. Im Kern faktengetreu, nahm Bor sich ein wenig dichterische Freiheit: Hinzuerfundene Randfiguren wirken mit; die „Spediteure“ organisieren etliche Instrumente und als novellen-typisches „ungeheuerliches Ereignis“ lässt Bor Adolf Eichmann samt NS-Entourage an einer Aufführung teilnehmen. Insgesamt erhebt sich aus der entsetzlichen Realität die emotionale Wucht von Verdis Werk – und daraus ein schlicht-großes Monument für Rafael Schächter.

„Libera me“? Wolfgang Benz, der Doyen der NS-Geschichtsschreibung, belegt im Nachwort: Die Mitwirkenden wurden im Oktober 1944 ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert und fast alle, auch Bondy-Bors Familie, sofort in den Gaskammern ermordet. Georg Klein, der komponierend hochbegabte „Korrepetitor“ der Aufführungen, wurde am 27. Januar 1945 von der SS erschossen. Dirigent Rafael Schächter überlebte den Todesmarsch nach Buchenwald nicht. Bor selbst starb 1979 in Prag.

Wolf-Dieter Peter

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