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Oper mit Startschwierigkeiten
„Flight“ von Jonathan Dove in Leipzig · Von
Tatjana Böhme-Mehner
Endlich sollte es wieder eine zeitgenössische Oper geben,
am Opernhaus Leipzig; aber eine, die auch ein breiteres Publikum
packt, anlockt und sogar eines, das Oper nicht unbedingt zu seiner
Lieblingsgattung zählt. „Flight“ von Jonathan Dove
hatte Intendant Henri Maier ausgewählt, als deutschsprachige
Erstaufführung eines bereits erprobten Werkes.
Die Werbekampagne stimmte, indem sie mit Interessen, Sehnsüchten
und hintersinnigem Witz spielte. Von Plakatsäulen strahlte
schon Wochen vorm Start einladend die Crew des Opernhauses auf einer
Gangway stehend – mittendrin stattlich und charmant der Intendant
selbst als Flugkapitän. Und nicht zu übersehen –
überdimensional prangte ein Hänger vorn am Opernhaus,
größer als alle jemals zuvor hier gesehenen: die Besetzung
beziehungsweise Besatzung des Abends, von der jeder aus einem Flugzeugfenster
einer Maschine des Sponsors Cirrus Airlines blickt. Das Opernhaus
Leipzig kurz vorm Durchstarten? Aber eines hatten die Werbestrategen
wohl vergessen: dass es in „Flight“ darum geht, dass
das Flugzeug gar nicht starten kann, alles am Boden bleibt. Und
so ging es auch dem Luftfahrtprojekt des Opernhauses. Eine Bauchlandung
war es nicht, dank der erfahrenen Crew von Regisseur Ralf Nürnberger,
aber für einen zweieinhalbstündigen Höhenflug hat
Jonathan Doves dreiaktige Oper denkbar zu wenig Treibstoff an Bord.
Und so schrammt Nürnberger mit einem spannenden Konzept kaum
an den Klippen von Trivialität und Langeweile vorbei.
Musik und Handlung tragen einfach keine dreiaktige abendfüllende
Oper. Auf einem Flughafen treffen Alltagsfiguren zusammen, klischeehaft
überzeichnet; aber nicht alles Komische lässt sich singen.
Und so weiß man nicht, ob die Komik der im Deutschen sehr
plump klingenden Reime nun freiwillig oder eher unfreiwillig ist.
Diese Durchschnittstypen wollen alle irgendwo anders hin, um sich
selbst zu entfliehen: in den Urlaub, der so sein soll „wie
früher“, damit die Beziehungsprobleme gelöst werden,
oder sie warten – auf den Verlobten, der in Mallorca in einer
Bar jobbt, auch wenn die alternde Lady längst weiß, dass
er nicht kommt. Oder sie wollen nur hinter die nächste Ecke
– unter Zeitdruck und mit dem Kitzel, jede Minute überrascht
zu werden, so wie die beiden sexbesessenen Flugbegleiter. Dazu kommt
ein Diplomat, der nach Minsk will, wohin aber seine hochschwangere
Frau gar nicht will. Weswegen sie ihn allein ins Flugzeug steigen
lässt; sich aber gleich wieder ärgert; eigentlich sehnt
auch sie sich nur zurück in die guten alten Zeiten. Jeder will
das haben, was er gerade nicht hat, und da kommt die Katastrophe.
Ein Unwetter hält alle auf dem Flughafen fest und die merkwürdigsten
Beziehungen ergeben sich. Diese Handlung ist umgeben von einer Art
Wette, in der es um die Menschlichkeit geht. Im Terminal organisiert
eine Controllerin. Ihr Gegenpol und Partner ist ein Flüchtling,
der auf tragische Weise hierher kam, ohne Pass weder vor noch zurück
kann und Hilfe bei den Reisenden sucht. Viele Verstrickungen, viel
Situationskomik, aber keine wirklich dramatische Opernmusik. Als
Filmmusik wäre das durchaus annehmbar, glänzend instrumentiert,
aber vor allem im Stile eines „best of“ – etwas
Bernstein, etwas Adams und so weiter, aber vor allem eine ganze
Menge Korngold.
Dabei waren die Leistungen nahezu aller Beteiligten sehr gut bis
ausgezeichnet. Halsbrecherische, rhythmisch ausgebuffte Partien;
ein komplexer und komplizierter Orchestersatz und ein Stück,
das in seiner Mischung aus Abstraktion und streckenweise fast unerträglicher
Konkretheit permanenter Einfälle bedarf. Ralf Nürnberger
ist ein Könner und holt mit Witz und Drive eine Menge heraus.
Thomas Gruber baut ihm einen Bühnenraum, wie er genau diese
Mischung nicht besser bedienen könnte. John Axelrodt und das
Gewandhausorchester meistern die Klippen dieser Partitur brillant;
und Ausnahmesänger wie David Cordier und Julia Borchert liefern
inmitten eines alles in allem aufs beste funktionierenden Ensembles
glänzende Interpretationen. Dem bestens geführten anrührenden
Counter von Cordier kann man wunderbare Momente abgewinnen. Aber
die bewegenden letzten rund zehn Minuten entschädigen nicht
für die ziemlich langwierigen zweieinhalb Stunden.
Und so ziehen sich die Startbahn und das Anrollen der Maschine
ins Unendliche, um kurz vor Schluss für zehn Minuten abzuheben.
Schöne Aussichten – doch besonders hoch hinaus ging es
nicht.
Tatjana
Böhme-Mehner
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