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Oper mit Startschwierigkeiten

„Flight“ von Jonathan Dove in Leipzig · Von Tatjana Böhme-Mehner

Endlich sollte es wieder eine zeitgenössische Oper geben, am Opernhaus Leipzig; aber eine, die auch ein breiteres Publikum packt, anlockt und sogar eines, das Oper nicht unbedingt zu seiner Lieblingsgattung zählt. „Flight“ von Jonathan Dove hatte Intendant Henri Maier ausgewählt, als deutschsprachige Erstaufführung eines bereits erprobten Werkes.

 
 

Merkwürdigste Beziehungen: David Cordier als Flüchtling, Therese Renick als Older Woman. Foto: Oper

 

Die Werbekampagne stimmte, indem sie mit Interessen, Sehnsüchten und hintersinnigem Witz spielte. Von Plakatsäulen strahlte schon Wochen vorm Start einladend die Crew des Opernhauses auf einer Gangway stehend – mittendrin stattlich und charmant der Intendant selbst als Flugkapitän. Und nicht zu übersehen – überdimensional prangte ein Hänger vorn am Opernhaus, größer als alle jemals zuvor hier gesehenen: die Besetzung beziehungsweise Besatzung des Abends, von der jeder aus einem Flugzeugfenster einer Maschine des Sponsors Cirrus Airlines blickt. Das Opernhaus Leipzig kurz vorm Durchstarten? Aber eines hatten die Werbestrategen wohl vergessen: dass es in „Flight“ darum geht, dass das Flugzeug gar nicht starten kann, alles am Boden bleibt. Und so ging es auch dem Luftfahrtprojekt des Opernhauses. Eine Bauchlandung war es nicht, dank der erfahrenen Crew von Regisseur Ralf Nürnberger, aber für einen zweieinhalbstündigen Höhenflug hat Jonathan Doves dreiaktige Oper denkbar zu wenig Treibstoff an Bord. Und so schrammt Nürnberger mit einem spannenden Konzept kaum an den Klippen von Trivialität und Langeweile vorbei.

Musik und Handlung tragen einfach keine dreiaktige abendfüllende Oper. Auf einem Flughafen treffen Alltagsfiguren zusammen, klischeehaft überzeichnet; aber nicht alles Komische lässt sich singen. Und so weiß man nicht, ob die Komik der im Deutschen sehr plump klingenden Reime nun freiwillig oder eher unfreiwillig ist. Diese Durchschnittstypen wollen alle irgendwo anders hin, um sich selbst zu entfliehen: in den Urlaub, der so sein soll „wie früher“, damit die Beziehungsprobleme gelöst werden, oder sie warten – auf den Verlobten, der in Mallorca in einer Bar jobbt, auch wenn die alternde Lady längst weiß, dass er nicht kommt. Oder sie wollen nur hinter die nächste Ecke – unter Zeitdruck und mit dem Kitzel, jede Minute überrascht zu werden, so wie die beiden sexbesessenen Flugbegleiter. Dazu kommt ein Diplomat, der nach Minsk will, wohin aber seine hochschwangere Frau gar nicht will. Weswegen sie ihn allein ins Flugzeug steigen lässt; sich aber gleich wieder ärgert; eigentlich sehnt auch sie sich nur zurück in die guten alten Zeiten. Jeder will das haben, was er gerade nicht hat, und da kommt die Katastrophe. Ein Unwetter hält alle auf dem Flughafen fest und die merkwürdigsten Beziehungen ergeben sich. Diese Handlung ist umgeben von einer Art Wette, in der es um die Menschlichkeit geht. Im Terminal organisiert eine Controllerin. Ihr Gegenpol und Partner ist ein Flüchtling, der auf tragische Weise hierher kam, ohne Pass weder vor noch zurück kann und Hilfe bei den Reisenden sucht. Viele Verstrickungen, viel Situationskomik, aber keine wirklich dramatische Opernmusik. Als Filmmusik wäre das durchaus annehmbar, glänzend instrumentiert, aber vor allem im Stile eines „best of“ – etwas Bernstein, etwas Adams und so weiter, aber vor allem eine ganze Menge Korngold.

Dabei waren die Leistungen nahezu aller Beteiligten sehr gut bis ausgezeichnet. Halsbrecherische, rhythmisch ausgebuffte Partien; ein komplexer und komplizierter Orchestersatz und ein Stück, das in seiner Mischung aus Abstraktion und streckenweise fast unerträglicher Konkretheit permanenter Einfälle bedarf. Ralf Nürnberger ist ein Könner und holt mit Witz und Drive eine Menge heraus. Thomas Gruber baut ihm einen Bühnenraum, wie er genau diese Mischung nicht besser bedienen könnte. John Axelrodt und das Gewandhausorchester meistern die Klippen dieser Partitur brillant; und Ausnahmesänger wie David Cordier und Julia Borchert liefern inmitten eines alles in allem aufs beste funktionierenden Ensembles glänzende Interpretationen. Dem bestens geführten anrührenden Counter von Cordier kann man wunderbare Momente abgewinnen. Aber die bewegenden letzten rund zehn Minuten entschädigen nicht für die ziemlich langwierigen zweieinhalb Stunden.

Und so ziehen sich die Startbahn und das Anrollen der Maschine ins Unendliche, um kurz vor Schluss für zehn Minuten abzuheben. Schöne Aussichten – doch besonders hoch hinaus ging es nicht.

Tatjana Böhme-Mehner

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