Das freudige Ereignis, das von diesem Sommer an amtlich wird, ist freilich auch eine Art Nottaufe, erkauft mit der Einsparung von 2,3 Millionen Euro und einem Abbau von noch einmal 40 Stellen. Inklusive der bereits gestrichenen Stellen sind das eineinhalb Kompanien. Die neue Kompanie wird mit über 80 Tänzern die größte in Deutschland sein; 51 kommen von der Staatsoper, 20 aus dem Ensemble der Deutschen Oper, 20 werden neu engagiert. Über hundert Tänzerstellen sind damit im Lauf der Opernreform in allen drei Opernhäusern weggefallen. Ganz aufgelöst wurde die Kompanie der Komischen Oper, die ihre letzte Premiere im April zeigte. Dieser Personalabbau macht es schwer, die Gründung des Staatsballetts Berlin als Neuanfang zu feiern und nicht als eine Geschichte des Wegkürzens zu lesen. Enttäuschtes PublikumSchließlich ist die unrühmliche Historie der drei Berliner Ballettkompanien seit der Wende vor allem eine des Niedergangs, des politischen Desinteresses und des künstlerischen Einheitsbreis. Kein Wunder, dass sich irgendwann auch das Publikum bei so viel Konfusion zurückzog. An der Deutschen Oper, der stolzesten Kompanie der Stadt, ist diese Entwicklung besonders schrecklich. Einst eine Truppe mit einem grandiosen Repertoire von den Klassikern bis zur radikalen Moderne, ging es nach der Pensionierung des langjährigen Chefs, Gerd Reinholm, nur noch abwärts, obwohl damals noch Geld da war. Ballettdirektoren wie die ehemaligen Tänzer Peter Schaufuß, Ray Bara, Richard Cragun oder Sylviane Bayard hatten zu wenig Hausmacht, um sich gegen die mächtigen Intendanten durchzusetzen. Ihre Visionen blieben Flickwerk, die reelle Chance, Choreografen wie William Forsythe, Angelin Preljokaj, Kevin O’Day oder Martin Schläpfer zu verpflichten, ließ man sich entgehen. Auch weil kleinkarierte Eifersüchteleien zwischen Intendanten, Tanzdirektoren und Politikern das Bemühen des vom damaligen Kultursenator Peter Radunski für ein künftiges „BerlinBallett“ als Tanzbeauftragten eingesetzten Gerhard Brunner immer wieder Makulatur werden ließen. Zuletzt machte die auf dreißig Tänzer geschrumpfte, völlig überforderte Kompanie nur noch Dienst nach Spielplanvorschrift – vor meist nicht einmal viertelvollem Haus. Ein Trauerspiel. An der Komischen Oper, wo Tom Schilling über Jahrzehnte seine ostdeutsche Variante eines klassisch grundierten, dramatisch aufgeladenen „Tanztheaters“ zum Erfolg geführt hatte, versuchte man sich unter Marc Jonkers, Jan Linkens, Richard Wherlock und Blanca Li an gesichtsloser Moderne, die für eine motivierte, junge Kompanie zu wenig prägendes Futter abwarf, bevor sie jetzt unter der Leitung von Adolphe Binder vom an dieser Kunstform desinteressierten Intendanten Andreas Homoki mit Billigung des Senats liquidiert wurde. Nur die einst im Geiste sowjetischer Ballettklassik geführte Tanztruppe der Lindenoper überlebte dank ihres stumpfen Festhaltens an der gefälligen Tradition. Nach dem Ausscheiden von Michael Denard, der immerhin noch Maurice Béjart und Roland Petit zu Uraufführungen bewegen konnte, beschied man sich mit den Tschaikowsky-Klassikern, „Giselle“ und gemäßigter, selten gespielter Moderne. AufbauarbeitMan wird sehen, wieweit der ebenfalls dieser ästhetischen Linie verpflichtete Vladmir Malakhov seine daran gewöhnten Tänzer und das Restpublikum für das Staatsballett Berlin wieder in die Gegenwart wird führen können. Wobei schon neue Schulden drücken, die die schlechte Auslastung der Ballettvorstellungen an der Deutschen Oper und der Komischen Oper verursacht haben. Vladimir Malakhov hat seinen neuen Vertrag noch nicht unterschrieben, trotzdem aber bereits Direktionsangebote aus Wien und München, wo man ebenfalls nach strahlenden Namen sucht. Er wird genug zu tun haben, erst einmal zwei Bühnen mit 88 Tänzern zu betreuen. Malakhovs Spielplan, der 89 Vorstellungen vorsieht (es sollen einmal bis 110 werden) ist deutlich einer des Übergangs. Neben einer willkommenen „Malakhov & Friends“-Gala sowie aufgeputztem Repertoire darf von den fünf Premieren nur eine als echt gelten: Kenneth MacMillans nicht wirklich staubfreie „Manon“ von 1974. Als Wiederaufnahme gibt es immerhin an der Bismarckstraße Maurice Béjarts Wagner-Paraphrase „Ring um den Ring“. Viele Handlungsballette und gepflegte Moderne auch im übrigen Angebot. An eine Fülle von Stilen und besonders zeitgenössischen Ausdrucksmöglichkeiten wie sie die drei Ballette, das der Deutschen Oper vor allem, noch Ende der 80er-Jahre im Angebot hatten, darf gar nicht erst gedacht werden. Ein Konsolidierungskurs also, erst mal müssen alle Möglichkeiten getestet werden. Fortschritte im wahrsten Sinne gibt es ab 2005, wo über diverse Uraufführungen und eine Koproduktion mit William Forsythe verhandelt wird. Dafür gastiert im November eine Woche lang das Kirov-Ballett aus St. Petersburg. Und im Juni geht man selbst erstmals auf Japan-Tournee. Ein zartes Pflänzchen, dieses neue Staatsballett Berlin – doch bei allen Geburtswehen mit hoffentlich wenig Erbkrankheiten aus vergangenen Opernkriegen behaftet. Es soll, es muss ein erfolgreicher Neuanfang werden. Den braucht nicht nur Thomas Flierl. Ballett als autonome Kunstform, das ist immerhin auch ein kulturpolitisches Bekenntnis. Deutschlands größte klassische Kompanie muss sich dessen würdig erweisen. Malakhov möchte sie einmal mit dem Kirov, dem American Ballet Theatre, dem Londoner Royal Ballet und dem der Pariser Oper in einem Atemzug genannt wissen. Dafür hat er noch viel Arbeit vor sich.
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