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Gebrochene Rest-Klassik
Münchner Ballettwoche · Von Malve Gradinger
Die Jugend auf den Rängen des Nationaltheaters jubelte sich
die Kehlen wund. Staubsauger auf der Bühne des Nationaltheaters!
Geschoben, geschwungen zu Dudelsack-Sound, umfüßelt von
irischen Riverdance-Steps, das ist doch mal was... Angesichts der
Schwebe, in der Kunstminister Thomas Goppel Münchens Ballettchef
Ivan Liska hält – eine Entscheidung, ob Vertragsverlängerung
über 2006 hinaus, wäre jetzt schließlich fällig
– gönnt man Liska diesen Erfolg mit „Porträt
Mats Ek“ zum Ballettwochen-Auftakt, auch wenn man selbst weniger
euphorisch ist: Für diese Premiere wurde lediglich das seit
2001 im Repertoire befindliche „A sort of“ ergänzt
mit „Apartment“, das der schwedische Modern-Dance-Meister
schon 2000 für das Ballett der Pariser Oper kreierte: ein verquälter
Beziehungsreigen zwischen Tür, TV-Sessel, Bidet und Omas Küchenherd,
begleitet auf der Bühne von dem rockig jaulenden Fleshquartet.
Auch Eks Vokabular: über Bauchdecken krabbelnde Finger, schnackelnde
Füße, über Gesichter flappende und zwischen Beinen
fuschelnde Hände, also diese unentwegt gewollte Brechung einer
rudimentären Rest-Klassik, überhaupt jeder schönen
Bewegung, hat sich überlebt. Auch eher nur von jungen, beziehungsweise
„jungfräulichen“ Zuschauern euphorisch begrüßt:
das Gastspiel von Les Grands Ballets Canadiens mit einem heftig
bewegten, aber völlig inhaltsleeren „Work-Digest“
des israelischen Choreografen und Batsheva-Dance-Company-Chefs Ohad
Naharin (vor Jahren auch im Münchner Repertoire). Dem kenntnisreichen
Publikum bringt Liska ohnehin zu viel Modern Dance, der in dieser
Festwoche noch mit dem „Porträt Jiri Kylián“
vertreten war. Die Moderne sorgt zwar für Abwechslung im Repertoire,
verursacht aber auch Nivellierung. Das Potpourri zwischen Klassik
und Moderne ist das Konfektionsrezept schlechthin für alle
Ballettensembles der Welt.
Was die verschiedenen Stile betrifft, so können Liskas Tänzer,
angeführt von Elite-Solisten wie Lucia Lacarra, Lisa-Maree
Cullum, Roman Lazik, Alen Bottaini und Lukas Slavicky heute alles
tanzen. Sie waren brillant im Ek, brillant im Kylián, darstellerisch
faszinierend in John Neumeiers klassisch-modernistischem Tanzdrama
„Die Kameliendame“, charismatisch, ja virtuos in der
„Terpsichore Gala IV“.
Zum 100. Geburtstag des großen George Balanchine wurden ein
paar seiner Neoklassik-Juwelen („Brahms-Schönberg Quartett“
1966, „Serenade“ 1934, „Agon“ 1957, „Apollo“
1928, „Tarantella“ 1964) aufgeführt und zwei Balanchine
verbundene Choreografen: der fetzig-wilde William Forsythe (mit
„Second detail“ 1991) und der jetzt im Seniorenalter
immer rasantere Hans van Manen (mit dem neu erworbenen Bach-„Solo“
von 1997 für drei Männer). Auch Ivan Liskas erstaunlich
haltbares „Dornröschen“ (2003) präsentierten
seine Tänzer präzise. Einen reinen anspruchsvollen Klassiker
jedoch, wie es noch die nun beerdigte „Dornröschen“-Fassung
des Briten Peter Wright war oder dessen „Schwanensee“,
das können Liskas Tänzer nicht mehr tanzen. Gewiss, man
kann die Uhren nicht zurückdrehen. Aber ein Ensemble wie das
Staatsballett wieder auf die Linie einer kultivierten Klassik und
Neoklassik bringen, neue Choreografen entdecken, fördern, heranziehen
– da läge, in der allgemeinen modischen Globalisierung,
die Möglichkeit eines individuellen Ensemble-Profils –
was sich der frisch angetretene Kunstminister und der hinter den
Kulissen sicher konsultierte künftige Staatsopern-Intendant
Christoph Albrecht ohne Zweifel erträumen.
Malve
Gradinger
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