Wie sieht das deutsche Musiktheater wohl in fünf, in
zehn Jahren aus? Ein paar haupt- und großstädtische Leuchttürme,
privatisiert oder in Stiftungen verwandelt – und ringsherum
ein reger Verkehr von Lastern und Omnibussen, die Kulissen und Künstler
von den dezentralisierten Produktionsbetrieben zu den nur noch mit
karger Technik bestückten Bespieltheatern fahren?
Wenn die Spielplan- und Inszenierungsprogrammatik einer
neuen Intendanz auch nach längerer Zeit vom Publikum nicht
angenommen wird, sind die Beschäftigten eines Opernhauses dann
dazu verdammt, taten- und wortlos dem wirtschaftlichen Niedergang
ihres Theaters zuzusehen? Ist der Intendantenvertrag mit der in
ihm verankerten Kunstfreiheit des Theaterleiters auch dann noch
zeitgemäß, wenn diese Kunstfreiheit mit haustrifvertraglichem
Gagenverzicht erkauft werden muss, da der Rechtsträger nicht
in der Lage ist, Haushaltsdefizite auszugleichen?
Warum ist Kunst- und Theaterförderung zwar Pflichtaufgabe
der Länder, aber nur freiwillige Aufgabe der Kommunen? Hat
Kunstförderung einen anderen Stellenwert als Wirtschaftssubventionen?
Werden die Musikhochschulen ihrem Ausbildungsauftrag gerecht,
wenn zwar jährlich Hunderte von Vokalisten ihre Abschlüsse
machen, doch mangels guter deutscher Sänger hervorragend ausgebildete
Koreaner für die Opernchöre engagiert werden? Da alles
globalisiert und wirtschaftseffizient zu sehen ist: Wäre es
nicht ratsam, die Musikhochschulen mit entsprechendem Sprachunterrichtsauftrag
gleich nach Südkorea zu verlegen?
Wie sehen die Lehrpläne der Musikhochschulen in Theorie
und Praxis eigentlich aus? Für die Opernchorsänger? Für
die Orchestermusiker? Welche Berufsbilder werden vermittelt? Warum
etablieren die großen Orchester eigene Orchesterakademien?
Warum rekrutieren sich die deutschen Tanzensembles aus hochbegabten
Ausländern? Ist es nur eine Frage der regionalen Mentalität
oder steckt auch Bequemlichkeit dahinter?
Weshalb liegt im Musiktheater das Ensemble darnieder? Weshalb
nutzen die Theaterleitungen nicht den Fundus an Erfahrungen, über
den die meist längerfristig engagierten Kollektive verfügen?
Wie ist die Stellung des Opernchores im Theater, wie wird
er von außen wahrgenommen?
Warum fühlen sich Opernchorsänger samt ihrem Chordirektor
oft, als seien sie das fünfte Rad am Wagen?
Wollte nicht schon Mozart, dass seine italienischen Opern
ins Deutsche übersetzt werden? Muss jedes Werk in der Originalsprache
gesungen werden – und sei sie noch so abgelegen? Ist es nicht
unwahrhaftig, etwas zu singen oder zu dirigieren, was sprachlich
allenfalls oberflächlich verstanden ist? Sind die Leuchtschriftanlagen
nicht eine wahre Pest?
Warum müssen Bühnenbildner ihre für die Ewigkeit
konstruierten Dekorationen nicht
wenigstens einmal selber auf- und abbauen?
Wie wird sich die Theaterästhetik entwickeln? Integriert
und benutzt sie die Medien oder sucht sie neue Distanz? Wie behauptet
sich das Theater in einer theatralisierten Umwelt?
Welche Stellung nimmt das Musiktheater in der Gesellschaft
ein? Ist es noch unverzichtbarer Bestandteil der Bildungspolitik?
Wo liegen die Schwächen, wo die Stärken der VdO?
Ist die Verbindung von Berufs- und Gewerkschaftsverband ein zukunftsträchtiges
Modell?
All diese und noch viele andere, noch viele lästerliche und
unbequeme Fragen haben die Bundesdelegierten der VdO auf bisher
zwei Workshops zusammengetragen, die der Vorbereitung der VdO-Bundesversammlung
2004 dienten. Die Bundesversammlung wird unter Beteiligung aller
VdO-Delegierten der deutschen Opernhäuser sowie mit Unterstützung
des ConBrio Verlages und der Agentur Harten & Breuninger vom
10. bis 12. Oktober 2004 in Halle an der Saale stattfinden.
Ihr
Stefan Meuschel
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