Zur Startseite


 

 
Zur Startseite von Oper & Tanz
Aktuelles Heft
Archiv & Suche
Stellenmarkt
Oper & Tanz abonnieren
Ihr Kontakt zu Oper und Tanz
Kontakt aufnehmen
Impressum
Datenschutzerklärung

Website der VdO


 

Aktuelle Ausgabe

Editorial

Kulturpolitik
Brenn-Punkte: Situation deutscher Theater
Brandmeldungen von Cottbus bis Schwerin
Fest am Haus oder Karriereplanung?
Der Rückzug Christian Thielemanns
Das Friedenspotential der Musik
Daniel Barenboim erhielt Wolf-Preis
Von Kindesbeinen an
Chorklassen: Ein Konzept für eine Zukunft mit Gesang
Opernchöre werden aktiv
Über Projekte in Bremerhaven und Kiel

Portrait
Bayreuth ist erst der Anfang
Ein Gespräch mit dem Regisseur Christof Schlingensief
Diätküche beim Konditor
Das Staatsballett Berlin stellt sich vor

Berichte
Abgesang auf ein Jahrhundert
Friedrich Cerhas „Der Rattenfänger“ in Darmstadt
Oper mit Startschwierigkeiten
„Flight“ von Jonathan Dove in Leipzig
Gebrochene Rest-Klassik
Münchner Ballettwoche
Von Film- zu Opernhelden
Ludger Vollmers „Paul und Paula“ in Nordhausen
Welterlösung aus Fantasialand
Matthus’ „Unendliche Geschichte“ in Weimar

VdO-Nachrichten
Nachrichten
Beitragsanpassung // GVL-Nachweis 2003: Abgabetermin beachten // Beitragsordnung der VdO lt. § 8 der Satzung // Wir gratulieren //

Service
Schlagzeilen
Namen und Fakten
Oper und Tanz im TV
Stellenmarkt
Wettbewerbe 2004
Spielpläne 2003/2004
Festspiel-Vorschau 2004

 

Kulturpolitik

Von Kindesbeinen an

Chorklassen: Ein Konzept für eine Zukunft mit Gesang
Von Hanna Fuhrmann und Franz Riemer

Mitte des Jahres 2002 entstand im Zusammenhang mit dem Wunsch nach einem „Chorzentrum Hannover“, welches die Chorszene in Hannover bündeln und einen gegenseitigen institutionellen Austausch in Gang setzen sollte, die Idee der „Chorklassen in Niedersachsen“. Denkt man sich das Chorzentrum als „Chorpyramide“, so bilden der renommierte und erfolgreiche Knabenchor und der international bekannte und ebenfalls erfolgreiche Mädchenchor Hannover die Spitze. Als fundamentaler Teil der Pyramide sollten aber auch alle anderen Einrichtungen integriert werden, die gemeinsames (chorisches) Singen betreiben oder dies aufgrund ihres Bildungsauftrags könnten beziehungsweise sollten, zum Beispiel die allgemein bildenden Schulen. Dem Singen in der Grundschule wurde dabei ein besonders hoher Stellenwert zugewiesen. In ihr könnten entscheidende Impulse für eine künftige Motivation an der Teilhabe am chorischen Musikleben geweckt werden. So wurde von der Hochschule für Musik und Theater Hannover ein Pilotprojekt in Gang gesetzt, an dem sich seit Beginn des Schuljahres 2003/04 drei Grundschulen und ein Gymnasium beteiligen: Die „Chorklassen in Niedersachsen“.

Schul-Singen: Nichts Neues

Im 19. Jahrhundert und bis in die ersten Dezennien des 20. Jahrhunderts bestand Musik in der Schule aus nichts anderem als Gesangsunterricht. Unterrichtsforscher aus England wie John Hullah oder John Spencer Curven gaben uns Deutschen aber denkbar schlechte Noten für diesen Unterricht. Kretschmars Erneuerungsversuche, den Gesangunterricht betreffend, hatten keinen rechten Erfolg, und Kestenbergs bahnbrechende Neuerungen für das gesamte Musikleben, auch für das schulische, wurden durch nationalsozialistische Gleichschaltung und daraus folgende „Abschaltung“ alles Innovativen zum Stoppen gebracht.

 
 

Spitze der „Chorpyramide“: Knabenchor... (Foto: Knabenchor)

 

Erneuerungsbestrebungen der singimmanenten musischen Bildung konnten – gewiss nicht zu unrecht – nach dem zweiten Weltkrieg keinen dauerhaft fruchtbaren Boden mehr finden. So war und ist ein allgemeiner Sing-Rückgang in unserer Gesellschaft zu beobachten, der heute wesentlich von den Sozialisationsfaktoren Elternhaus und Medienpräsenz begünstigt wird. Die Chorverbände sind seit einiger Zeit stetig bemüht, sich diesem Problem zu widmen und auch Abhilfe zu schaffen. Die Aktivitäten beziehen sich aber natürlicherweise in erster Linie auf den eigenen Mitgliederkreis.

Aus der Not zur Idee

Um diesem Sing-Rückgang nachhaltig entgegenzuwirken, kam in Hannoveraner Kreisen die Idee auf, Chorklassen zu gründen. Dem Trend, dass immer weniger Eltern ihren Kindern die Freude am Gesang vermitteln, stehen die Musikpädagogen, die Musiklehrerinnen und -lehrer an allgemein bildenden Schulen relativ machtlos gegenüber. Deshalb strebt die Hochschule für Musik und Theater in Hannover ein Entgegenwirken auf schulischer Ebene an.

Kinder sollten so früh wie möglich an das Singen herangeführt werden, damit dessen Natürlichkeit an sie übermittelt werden kann. Insofern wäre es wünschenswert, dass die Kinder schon im Kindergarten- oder Vorschulalter mit den Möglichkeiten vertraut werden könnten, die ihnen der Gebrauch ihrer eigenen Stimme bietet. Die musikalischen Qualifikationen der Erzieher reichen jedoch in der Regel nicht aus, um schon im vorschulischen Bereich Chorklassen gründen zu können. Im Gegensatz zu der Ausbildung der Erzieher werden jedoch die Musikpädagogen an der Universität beziehungsweise Hochschule auf den vokalen Umgang mit Musik vorbereitet. Auch wenn diese Vorbereitung im Studium teilweise noch verbesserungswürdig ist, bringen die ausgebildeten Musiklehrer zweifelsohne die erforderlichen Qualifikationen mit, die Voraussetzungen für die Leitung einer Chorklasse sind.

Gerade im Primarbereich lassen sich die Kinder noch für die verschiedensten Dinge begeistern und von der Lehrperson beeinflussen und leiten. Dieser Tatsache müssen die Pädagogen verantwortlich und mit Bedacht begegnen, jedoch auch das enorme Potential der meist stark motivierten und lernwilligen Grundschüler bestmöglich ausschöpfen. Hinter der Idee der Chorklasse steht eben dieses Ausschöpfen der Möglichkeiten.

Möglicherweise kommt die Chorklassen-Idee einer Suche von Lehrern nach einem Konzept entgegen, welches Ordnung in die schon fast unübersichtlich gewordene Fülle von Unterrichtsinhalten und -didaktiken bringen kann.

Das Konzept

Die Begriff „Chorklasse“ existiert schon länger. In Ostdeutschland hat das chorische Singen im Klassenverband eine langjährige Tradition, so zum Beispiel in Gymnasien Magdeburgs, Leipzigs und Weimars. Die niedersächsische Idee bezieht sich im Idealfall auf die gesamte Schulzeit von der Grundschule bis zum Gymnasium. Dabei erhält gerade der Primarbereich einen hohen Stellenwert, um Grundlagen zu schaffen.

 
 

... und Mädchenchor Hannover. Foto: Michael Plümer

 

Ein Personenkreis aus dem Umfeld der Hochschule für Musik und Theater entwickelte gemeinsam aus der Idee einer Chorklasse ein Konzept, das nicht als Zusatz zum obligatorischen Musikunterricht zu verstehen ist, sondern in Anlehnung an das Bläserklassenkonzept und gemäß den Essener Thesen zum Chorsingen im 21. Jahrhundert den Chorklassenunterricht als Alternative zum Musikunterricht oder besser als besondere Form des Musikunterrichts vorsieht. Chorklassen können in der Grundschule ab der ersten Klasse eingerichtet werden. Doch obwohl solch ein früher Zeitpunkt wünschenswert ist, macht es auch Sinn, die Idee der Chorklasse ab einem höheren Jahrgang zu verwirklichen.

Die ursprüngliche Konzeption sieht vor, dass die Schulleitung beziehungsweise der Musiklehrer einer Schule oder die Gesamtkonferenz sich dazu entschließt, eine Chorklasse oder auch mehrere solcher Schwerpunktklassen einzurichten. Erfolgt die Bildung der Chorklasse in Klasse eins, so werden die Eltern vor der Einschulung ihrer Kinder über die Möglichkeit informiert, ihren Sohn oder ihre Tochter für die Chorklasse anmelden zu können. Dabei hat die Schule den Eltern deutlich zu machen, dass der Unterricht in der Chorklasse eine erweiterte Anzahl an Schulstunden mit sich bringt: Einer Chorklasse wird neben den zwei herkömmlichen Musikstunden eine obligatorische dritte Stunde zugedacht, die aus dem Bereich der Betreuungszeit genommen wird. Außerdem bedeutet die Teilnahme an einer Chorklasse eine Verpflichtung für die gesamte Dauer der Grundschulzeit. Die guten Erfahrungen in den Bläserklassen mit der Verpflichtung auf einen mehrjährigen Zeitraum und dem Unterrichten im Klassenverband dienen dabei als Vorbild. Mit der Versorgung der Chorklasse wird ein kompetenter Fachlehrer betraut. Dringend wünschenswert ist es, dass dieser Musiklehrer gleichzeitig der Klassenlehrer ist.

Der neue Anspruch

Man wird sich vielleicht fragen, weshalb gerade an Grundschulen die Bildung von Schwerpunktklassen angestrebt wird, obgleich es die Rahmenrichtlinien ohne weiteres zulassen würden, auch ohne eine speziell auf die chorische Arbeit ausgelegte Konzeption gerade im Primarbereich ein besonderes Augenmerk im Musikunterricht auf das Singen zu legen. Tatsächlich wird sich der Anfangsunterricht in der Chorklasse bezüglich der didaktischen Modelle nicht wesentlich vom allgemeinen Klassensingen unterscheiden. Allerdings liegt der sängerisch-musikalischen Arbeit ein anderer Anspruch an den Lehrinhalt zugrunde: Chorklassen sollen darauf ausgelegt sein, in relativ kurzer Zeit die aus dem Unterricht erwachsenen Ergebnisse zu präsentieren und an die schulische und außerschulische Öffentlichkeit zu tragen. Dies könnte beispielsweise ein Auftritt bei der Weihnachtsfeier oder beim Schulfest sein. Die Chorklassen-Schüler sollen auf diese Weise erfahren, dass ihr Arbeiten darauf ausgelegt ist, durch die vermehrte Einbeziehung stimmbildnerischer Übungen einen zunehmend souveränen Umgang mit der eigenen Stimme zu bekommen sowie ein Publikum zu erreichen und anzusprechen, das die Arbeit der Chorklasse honorieren kann.

Im Sinne des Gedankens an ein „Chorzentrum Hannover“, das alle am chorischen Singen beteiligte Einrichtungen integrieren soll, wird längerfristig die Option ins Auge gefasst, eine Zusammenarbeit der Chorklassen mit hannoverschen Spitzenchören wie beispielsweise dem Mädchenchor Hannover zu ermöglichen.
Ein Unterricht, der das Singen im Chor zum Inhalt hat, wird auf weite Strecken den Forderungen der Rahmenrichtlinien (zumindest der – wenn auch einigermaßen veralteten -– niedersächsischen) gerecht. Freilich ist es sinnvoll, neben der Vokalarbeit auch andere Bereiche in einem Musikunterricht zu bedenken, der seinen Schwerpunkt auf das Singen legt, wenngleich das Chorklassen-Konzept eine günstige Basis für zentrale Inhalte aus allen Lernbereichen darstellt.

Unterstützung von außen

Auf unterschiedliche Weise unterstützt die Hochschule für Musik und Theater Hannover die Chorklassen. Ein Aspekt ist das Einberufen regelmäßiger Treffen der Chorklassen-Lehrer mit den Hochschulverantwortlichen. Diese Zusammenkünfte dienen dem Austausch von Erfahrungen der Lehrer untereinander sowie der Aufrechterhaltung von Kontakten zwischen der Hochschule und den Pilotschulen. So können Durchführung und Zielsetzung der Konzeption gefestigt oder gegebenenfalls neu überdacht und an die Erfahrungen aus der schulischen Praxis angeglichen werden.

Eine Evaluation des Konzepts und dessen Bewährung in der Praxis soll ebenfalls von Seiten der Hochschule initiiert werden. Dies ist etwa im Rahmen einer Hausarbeit von Studierenden möglich. Daneben plant die Hochschule, eine Repertoireempfehlung herauszugeben – gestützt auf die Erfahrungen des Projektjahres. Eine weitere Maßnahme besteht darin, Studierende diverser Studienrichtungen (zum Beispiel Lehrämter der verschiedenen Schulformen, Musikerziehung mit Schwerpunkt Gesang) dafür zu gewinnen, den Chorklassen-Lehrern in den Schulen zu assistieren und in den Bereichen Korrepetition, Stimmproben oder Gruppenstimmbildung für Förderungsbedürftige tätig zu werden. Dabei sollte seitens der Studenten die Bereitschaft aufgebracht werden, sich im Sinne einer kontinuierlichen Arbeit in den Schulen für mindestens ein oder besser zwei Semester zur Mitarbeit zu verpflichten. Um die Studierenden für diese Aufgaben zu qualifizieren, sorgt die Hochschule für ein Zusatzangebot stimmbildnerischer Seminare, die sich nach Möglichkeit speziell auf die Kinderstimmbildung konzentrieren sollen. Die Aufgabenstellung für die Studierenden wird von den Hochschulverantwortlichen so gestaltet, dass sie als Studieninhalt durch Testat oder Leistungsnachweis angerechnet werden kann. Schließlich können die Musikstudenten im Sinne eines Fachpraktikums betreut werden.

Zwar ist das hier vorgestellte Konzept der Chorklasse eng mit der Hochschule für Musik und Theater Hannover verbunden und an der Musiklandschaft der niedersächsischen Landeshauptstadt orientiert. Zu hoffen bleibt dennoch, dass das Ziel der Chorklassen-Idee – Kindern die Freude am Singen wieder näher zu bringen – mit dieser Konzeption erreicht wird und dass diese Idee auch andernorts Zustimmung und Verbreitung findet.

Hanna Fuhrmann und Franz Riemer

startseite aktuelle ausgabe archiv/suche abo-service kontakt zurück top

© by Oper & Tanz 2000 ff. webgestaltung: ConBrio Verlagsgesellschaft & Martin Hufner