Barenboim erklärte auch, dass er an eine militärische Lösung des jüdisch-arabischen Konfliktes nie geglaubt habe, ebenso wenig an eine moralische oder strategische. Die Reaktionen in der Knesset waren unterschiedlich und reichten von Zustimmung bis Ablehnung. Der israelische Staatspräsident Katzav meinte, Barenboim verdiene eine Verurteilung nicht nur wegen der „unpassenden“ Ansprache, sondern auch dafür, dass er sich nicht bei Holocaust-Überlebenden für eine frühere Aufführung von Wagner-Musik in Israel entschuldigt habe. Erziehungsministerin Limor Livnat entgegnete Barenboim, dass Israel in erster Linie als Heimstätte des jüdischen Volkes gegründet wurde, und dass dieser Staat die Minderheiten, die in ihm leben, anerkenne. Ein Mitglied der Wolf-Preis-Jury, Menachem Alexenberg, hielt während des Vortrags ein Schild mit der Aufschrift „Musik macht frei“ (in Anlehnung an den Satz über dem Eingang des Konzentrationslagers Auschwitz „Arbeit macht frei“) dem Vortragenden entgegen. Natürlich machen weder Musik noch Arbeit frei, nur Freiheit macht frei. Barenboim und sein „alter Freund“ Edward Said haben einen Workshop für junge Musiker des Mittleren Ostens entwickelt, für Juden, Christen und Araber und folgen damit den Prinzipien auch der israelischen Unabhängigkeitserklärung. Das ist gelebte israelische Verfassung, die in der Tat eins ist mit der Auslobung des Wolf-Preises. „Musik ist die Kunst des Vorstellbaren par exellence, eine Kunst, befreit von allen Beschränkungen, angeregt durch Worte, eine Kunst, die an die Tiefe der menschlichen Existenz rührt. Die Kunst der Klänge überschreitet alle Grenzen. Solche Musik kann die Gefühle und Vorstellungen von Israelis und Palästinensern zu neuen unvorstellbaren Sphären führen“, heißt es am Ende von Barenboims Dankesrede. Seine Rede verdient Achtung ob ihres Muts, an eigentlich selbstverständliche Umgangsformen sittlichen Handelns zu erinnern. Barenboim war bereit sich seine Finger zu verbrennen, nicht aber durch die gegenseitige Zuweisung von Schuld, sondern durch seinen Rekurs sowohl auf die israelische Unabhängigkeitserklärung als auch auf die Erklärung der Menschenrechte an sich. Schon wenige Tage zuvor, am 21. April, hatte Daniel Barenboim in der Süddeutschen Zeitung in wenigen Worten zum jüdisch-arabischen Konflikt pointiert Stellung genommen. „Ich bin prinzipiell immer gegen gezielte Tötungen [die offizielle israelische Sprachregelung lautet übrigens „gezielte Vereitelung“; M. H.] gewesen. Das ist erstens unmoralisch, zweitens unverantwortlich und drittens dient es nicht den langfristigen Interessen Israels. Dass man sich andauernd nur auf Extremisten und auf Hass einstellt, das kann doch nicht der Weg sein!“ Und er führt weiter aus: „Das jüdische Volk hat nur ein einziges Kapital, das moralische. Israel verschenkt es. Wenn wir das nicht bewahren, dann haben wir wenig zu sagen in der Welt. Dass George W. Bush dabei mitmacht, zeugt von seiner Kurzsichtigkeit. Und zeigt einmal mehr, dass die amerikanische Regierung nicht in der Lage ist, für die Lösung des Konflikts im Nahen Osten mit Verstand vorzugehen. Die meisten Politiker besitzen keine eigene Meinung, keine individuelle Position. Auch Bush nicht, dessen Blauäugigkeit gefährlich ist.“ Prägnante Worte eines Musikers, der sich bereit zeigt, politische Verantwortung zu übernehmen. Mahnung und Ansporn zugleich, Aufgabe und gelebte Vision in seiner künstlerischen Tätigkeit.
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