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Welterlösung aus Fantasialand
Matthus’ „Unendliche Geschichte“ in Weimar ·
Von Frieder Reininghaus
Vor 25 Jahren spurtete sie in die Bücher-Charts: Michael Endes
„Unendliche Geschichte“. Dann wanderte der Roman nach
Hollywood. Und nun kamen die Abenteuer des Schulschwänzers
Bastian Balthasar Bux, des Fährtenfinders Atréju und
diverser Fabelwesen aus Fantásien kunterbunt auf die Bühne
– zeitgleich in Trier (in einer Inszenierung von Heinz Lukas-Kindermann)
und am Nationaltheater Weimar.
Der Komponist Siegfried Matthus, der drei Tage nach der Simultan-Uraufführung
seinen 70. Geburtstag feierte, knüpfte am Populismus seiner
Anfänge an („Der letzte Schuss“, Komische Oper
Berlin 1967). Mit dem Anspruch großer Breitenwirkung kredenzte
er den Ende-Text von 1979. Bastian wird da allerdings nicht, wie
der Leser erwarten könnte, als ein scheuer dicker Junge vorgestellt,
der vor den Nachstellungen seiner Klassenkameraden in das Koreandersche
Bücherantiquariat flüchtet; bei Matthus kommt er als quirliger
Großstadt-Rabauke daher, der gegen die Tür tritt und
voll krass Neudeutsch tönt. Er bezieht seine Position vor einem
riesigen Buch, dessen Seiten vor- und zurückgeblättert
werden. Der reichlich beschäftigte Chor intoniert archaisierende
Sätze. Manche seiner ausgedehnten Passagen knüpften noch
einmal am gemäßigt modernen Chorgesang der Nachkriegszeit
an. Und so, wie sich die Weimarer Staatskapelle auf die moderate
Gemengelage der Matthus-Musik mit Engagement einließ, so stürzten
sich auch die Choristen mit sichtlichem Elan ins Getümmel der
bunten Figurenwelt. Die Intensität der Chorpassagen aus dem
Off trug des weiteren zur Suggestivwirkung der Produktion bei, die
Jac van Steen mit Gespür für Effekte und die blühenden
Landschaften der überwiegend tonal grundierten Musik leitete.
Vokalisen durchziehen die musikalische Wegbegleitung durch Fantásien.
Längere Partien lichter Musik, die sich auf die hohen Holzbläser
stützen, werden von den kurzen Schreckmomenten kontrastiert,
mit denen der Werwolf Gmork des Wegs kommt. Aufgehoben im Tonsatz
findet sich manches Erbstück aus dem Fundus dessen, was vor
1989 als „neue Kammermusik der DDR“ galt. Überhaupt
kann es einem so vorkommen, als lebe deren Geist fort mit dieser
Oper, die – so bekundete Matthus – gerne die Nachfolge
von Humperdincks „Hänsel und Gretel“ antreten würde,
als modern-individualisiertes Märchen im Kleid einer kunstgewerblich
schönen Musik.
Das vielköpfige Ensemble brachte in deftiger Kostümierung
das Kondensat des Fantasy-Romans von Michael Ende in turbulente
Bewegung: Prachtvoll ausgestopfte Bäuche und Busen, vier Vogelstrauße
mit Reitern, ein Monster von Felsbeißer, die Hofschranzen
der kränkelnden Kindlichen Kaiserin mit hohen weißen
Ägypter-Hüten und überhaupt Kopfschmuck von der Pickelhaube
bis zum Punk-Hahnenkamm erfüllen den Rahmen, der sich hinter
der letzten Seite des unendlichen Buchs auftut.
Regisseur Michael Schulz sorgt für zwei Stunden pralles Bühnentreiben,
in dessen Mittelpunkt sich Marietta Zumbüldt als Atréju
bewegt, als wuschelköpfiger Retter der von den weißen
Wolken des Nichts bedrohten Fantasy-Welt. In der Bühnenversion
entpuppt sich die mit viel schöner Cantilene begabte Parsifal-Figur
als die Kindliche Kaiserin, in die sich Bastian verliebt und damit
endgültig in die Binnengeschichten involviert wird. Da spätestens
tendiert der Versuch eines modernen Märchens zum heillosen
Kitsch. Jenoptik hatte für die Schrifteinblendungen eine neue
Generation von Projektoren zur Verfügung gestellt. Gemessen
an dem, was zum Beispiel Peter Greenaway bei seiner Berliner Inszenierung
des „Christophe Colombe“ von Darius Milhaud mit schwerfälligeren
Geräten in den Raum zauberte, wirkten die Weimarer Schönschreibübungen
allzu rudimentär.
Die Umsetzung der verzweigten Geschichte auf die Bühne hätte
leicht dazu führen können, dass man vor lauter Bäumen
den Wald nicht mehr sieht. Doch diese Gefahr wurde vermieden: Die
verschlungenen Pfade wirken nun allzu begradigt. Und dass am Ende
die Rückkehr Bastians auf einem Prüfungsweg, der dem der
„Zauberflöte“ ähnelt, nicht komponiert wurde,
mag den Kenner nachdenklich stimmen. Doch für den ist das Produkt
ganz offensichtlich nicht bestimmt. Es zielt auf die Gemütswerte
im Mittelfeld der heute 20- bis 40-Jährigen und damit auf die
Köpfe derer, um deren Interesse das Musiktheater derzeit besonders
buhlen will und muss. Die Absicht merkt man wohl. Allein, es fehlt
der Glaube, ob diese „Unendliche Geschichte“ das richtige
Mittel zum guten Zwecke ist.
Frieder
Reininghaus
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