Der Komponist Siegfried Matthus, der drei Tage nach der Simultan-Uraufführung seinen 70. Geburtstag feierte, knüpfte am Populismus seiner Anfänge an („Der letzte Schuss“, Komische Oper Berlin 1967). Mit dem Anspruch großer Breitenwirkung kredenzte er den Ende-Text von 1979. Bastian wird da allerdings nicht, wie der Leser erwarten könnte, als ein scheuer dicker Junge vorgestellt, der vor den Nachstellungen seiner Klassenkameraden in das Koreandersche Bücherantiquariat flüchtet; bei Matthus kommt er als quirliger Großstadt-Rabauke daher, der gegen die Tür tritt und voll krass Neudeutsch tönt. Er bezieht seine Position vor einem riesigen Buch, dessen Seiten vor- und zurückgeblättert werden. Der reichlich beschäftigte Chor intoniert archaisierende Sätze. Manche seiner ausgedehnten Passagen knüpften noch einmal am gemäßigt modernen Chorgesang der Nachkriegszeit an. Und so, wie sich die Weimarer Staatskapelle auf die moderate Gemengelage der Matthus-Musik mit Engagement einließ, so stürzten sich auch die Choristen mit sichtlichem Elan ins Getümmel der bunten Figurenwelt. Die Intensität der Chorpassagen aus dem Off trug des weiteren zur Suggestivwirkung der Produktion bei, die Jac van Steen mit Gespür für Effekte und die blühenden Landschaften der überwiegend tonal grundierten Musik leitete. Vokalisen durchziehen die musikalische Wegbegleitung durch Fantásien. Längere Partien lichter Musik, die sich auf die hohen Holzbläser stützen, werden von den kurzen Schreckmomenten kontrastiert, mit denen der Werwolf Gmork des Wegs kommt. Aufgehoben im Tonsatz findet sich manches Erbstück aus dem Fundus dessen, was vor 1989 als „neue Kammermusik der DDR“ galt. Überhaupt kann es einem so vorkommen, als lebe deren Geist fort mit dieser Oper, die – so bekundete Matthus – gerne die Nachfolge von Humperdincks „Hänsel und Gretel“ antreten würde, als modern-individualisiertes Märchen im Kleid einer kunstgewerblich schönen Musik. Das vielköpfige Ensemble brachte in deftiger Kostümierung das Kondensat des Fantasy-Romans von Michael Ende in turbulente Bewegung: Prachtvoll ausgestopfte Bäuche und Busen, vier Vogelstrauße mit Reitern, ein Monster von Felsbeißer, die Hofschranzen der kränkelnden Kindlichen Kaiserin mit hohen weißen Ägypter-Hüten und überhaupt Kopfschmuck von der Pickelhaube bis zum Punk-Hahnenkamm erfüllen den Rahmen, der sich hinter der letzten Seite des unendlichen Buchs auftut. Regisseur Michael Schulz sorgt für zwei Stunden pralles Bühnentreiben, in dessen Mittelpunkt sich Marietta Zumbüldt als Atréju bewegt, als wuschelköpfiger Retter der von den weißen Wolken des Nichts bedrohten Fantasy-Welt. In der Bühnenversion entpuppt sich die mit viel schöner Cantilene begabte Parsifal-Figur als die Kindliche Kaiserin, in die sich Bastian verliebt und damit endgültig in die Binnengeschichten involviert wird. Da spätestens tendiert der Versuch eines modernen Märchens zum heillosen Kitsch. Jenoptik hatte für die Schrifteinblendungen eine neue Generation von Projektoren zur Verfügung gestellt. Gemessen an dem, was zum Beispiel Peter Greenaway bei seiner Berliner Inszenierung des „Christophe Colombe“ von Darius Milhaud mit schwerfälligeren Geräten in den Raum zauberte, wirkten die Weimarer Schönschreibübungen allzu rudimentär. Die Umsetzung der verzweigten Geschichte auf die Bühne hätte leicht dazu führen können, dass man vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sieht. Doch diese Gefahr wurde vermieden: Die verschlungenen Pfade wirken nun allzu begradigt. Und dass am Ende die Rückkehr Bastians auf einem Prüfungsweg, der dem der „Zauberflöte“ ähnelt, nicht komponiert wurde, mag den Kenner nachdenklich stimmen. Doch für den ist das Produkt ganz offensichtlich nicht bestimmt. Es zielt auf die Gemütswerte im Mittelfeld der heute 20- bis 40-Jährigen und damit auf die Köpfe derer, um deren Interesse das Musiktheater derzeit besonders buhlen will und muss. Die Absicht merkt man wohl. Allein, es fehlt der Glaube, ob diese „Unendliche Geschichte“ das richtige Mittel zum guten Zwecke ist.
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