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Kulturpolitik

Fest am Haus oder Karriereplanung?

Der Rückzug Christian Thielemanns · Von Nikolaus Kuhn

Es wäre branchenfremd und naiv, dem jetzt vorzeitig seinen Vertrag auflösenden Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin, Christian Thielemann, frei nach John F. Kennedy hinterher zu rufen: Frage dich nicht nur, was deine Stadt und dein Opernhaus für dich tun können, sondern frage dich auch, was du für deine Stadt und dein Opernhaus tun kannst (außer rund zwanzig Dirigate nebst Proben je Spielzeit zu absolvieren). Sein inszenierter Abgang ist weder mit seiner oft beschworenen Liebe zu Berlin, noch mit seinen Bekenntnissen zu Preußen in Übereinstimmung zu bringen, wobei die Antwort auf die Frage, was den Pult-Star wirklich veranlasst hat, ausgerechnet in der äußerst kritischen Phase des Aufbaus der „Stiftung Oper in Berlin“ den Krempel hinzuschmeißen, wohl nur bei den Herren der New Yorker Künstleragentur Columbia Artists Management Inc. eingeholt werden könnte. Überfordert ihn seine Karriere? Immerhin tritt er mit Beginn der Saison 2004/05 sein Amt als Chefdirigent der Münchner Philharmoniker an und Bayreuths Ring mit dem Regie-Debutanten Lars von Trier steht für 2006 auf der Agenda. Oder haben ihm seine letzten Berliner Premieren, Korngolds „Tote Stadt“ und Puccinis „Mädchen aus dem Goldenen Westen“, seine selbstverschuldeten Defizite aufgezeigt?

Wer im Glashaus sitzt...

Christian Thielemann beklagte in einem Interview mit Erhard Augustat1, dass „Orchestererziehung“ von Jet-Set-Dirigenten nicht verwirklicht werden könne: „Die Qualität eines Opernorchesters leidet unter dem ständigen Wechsel von Gastdirigenten. Wirkliche Orchestererziehung ist nur möglich, wenn man sich mit einem Orchester länger beschäftigt, also eine Frage der Anwesenheit.“ „Gut gebrüllt, Löwe“, nickt der Leser, weil Thielemann da eine im Musiktheater weit verbreitete Problematik anspricht, die nicht nur die Orchestererziehung, sondern ebenso die musikalischen und inszenatorischen Vorbereitungen, letztendlich auch die kontinuierliche programmatische Arbeit des ganzen Opernhauses betrifft. Sollte Thielemann nicht gemerkt haben, dass die in jenem Interview geäußerten kritischen Einsichten – GMD zu sein, „bedeutet sehr viel mehr Arbeit“ – auch auf ihn selbst, auf sein Orchester, auf die Deutsche Oper Berlin insgesamt anwendbar sind? Seit er dort GMD ist, schlingert das Haus.

Forderung zur falschen Zeit

Es war auffällig, wie ostentativ er sich während der stürmischen politischen Debatten um die Zukunft der drei Berliner Opernhäuser, bei denen auch die Schließung der Deutschen Oper oder ihre Fusion mit der Staatsoper Thema waren, zurückgenommen hatte – und dies gewiss nicht nur wegen des umjubelten Wiener „Tristan“ (und seiner Einspielung). Dämmerte ihm da schon, dass „seine“ Deutsche Oper in der profilierten Konkurrenz mit Staatsoper (Barenboim) und Komischer Oper (Petrenko) in der Stiftung nur dann werde bestehen können, wenn er sich in Berlin einbringt, statt auf allen Karriere-Hochzeiten zu tanzen?

 
 

GMD Christian Thielemann. Foto: kranichphoto

 

Die offizielle Begründung für seine Demission jedenfalls vermag nicht zu überzeugen. Er wusste, dass seine Forderung, die Vergütungen seines Orchesters mit denen der Staatskapelle gleichzustellen, allenfalls im Vorfeld der Stiftungserrichtung hätte behandelt werden können, nicht erst nach Abschluss der Etatberatungen, denen immerhin die Berliner Symphoniker zum Opfer gefallen sind, und er wusste auch, dass in dieser Situation Berlins kein Abgeordnetenhaus und kein Senator rund 1,8 Millionen Euro für sein Orchester zusätzlich würden locker machen können. Wenn Thielemann befürchtet, „gute Musiker liefen ihm jetzt zu besser zahlenden Orchestern davon“, kann das nur Kopfschütteln auslösen: Sollten Ehre und Gewinn, mit dem Maestro arbeiten zu dürfen, nicht einmal die rund tausend Euro monatlich brutto wert sein, die den Kollegen der Staatskapelle auf Grund der an die Person Daniel Barenboims geknüpften „Kanzler-Zulage“ mehr gezahlt werden?

Ein aufschlussreiches „Porträt“ Christian Thielemanns hat im vergangenen Herbst die Hamburger Journalistin Kläre Warnecke vorgelegt2. Aufschlussreich vor allem deswegen, weil diese flüssig geschriebene, auch für den musikalisch nicht Vorgebildeten gut lesbare Mischung aus biografischen Daten, unendlichen Zitaten und Interviews mit Thielemann nichts weniger ergibt als ein Porträt. Offenbar war es Verabredung zwischen der Autorin und dem Gegenstand ihrer Huldigungsschrift, alles Persönliche, alles Widersprüchliche, alles nicht ins Bild des genialen Wiederentdeckers der „Geheimnisse der alten Kollegen“ Passende schlicht außen vor zu lassen. So entsteht das Zerrbild eines Mannes ohne Eigenschaften, dem nur die Kunst, dem nur seine Interpretation der Musik etwas gilt. „Ich opfere der Qualität nichts“, sagt er (S. 120) und „in Bayreuth zu dirigieren, ist eine heilige Handlung“ (S. 188). In Erinnerung an sein dortiges erstes Meistersinger-Dirigat im Jahr 2000 ist solche Euphorie nachvollziehbar, doch wenn er im gleichen Atemzug Bayreuths Festspielhaus als das bestorganisierte Theater bezeichnet, das er kenne, müsste ihm doch der Gedanke gekommen sein, dass er (Mit-)Verantwortung für ein Berliner Theater trug, das schon damals alles andere als bestorganisiert war. Und das er 1999 schon einmal verlassen hatte, um sich kurz danach von der Politik zurückbitten zu lassen.

Es ist kennzeichnend für Warneckes Buch, dass sie für diese, von ihr mit „Berliner Schlachten“ betitelte Zeit, von Thielemanns Anfang als GMD mit Götz Friedrich bis zu Udo Zimmermanns unfreiwilligem Abgang, nur zitierend ihr Tageszeitungsarchiv zur Verfügung stellt; nichts wird hinterfragt oder kommentiert. Thielemann hatte mit alldem offenbar nur als sich weiter profilierender Dirigent zu tun – und die Deutsche Oper diente nur als Sprungbrett nach Bayreuth. „Karrieren werden in Berlin gemacht“, zitiert sie (S. 177) und ist sich der schillernden Vieldeutigkeit ihrer Aussage offensichtlich nicht bewusst, wenn sie das Berlin-Kapitel mit dem Satz zu Ende gehen lässt: „Die Achse Berlin-Bayreuth, die schon für den Berliner Generalintendanten Heinz Tietjen bedeutsam geworden war, als Winifred Wagner ihn 1931 an ihre Seite berief, sollte nun auch für Thielemann zu einer entscheidenden Lebensbahn werden“ (S. 177).

Enttäuschte Erwartungen

In unfreiwilliger Komik versinkt ihr Heldenepos, wenn sie in Vorschau auf die glorreiche Zukunft bereits über den neuen Ring Bayreuths spekuliert („Mal sehen, was Lars von Trier zu den Rheintöchtern einfällt“, S. 229), erst recht, wenn sie erwartungsvoll das Wirken Thielemanns, des nach Zimmermanns Abschied „wieder erstarkten musikalischen Vormanns“ der Deutschen Oper Berlin, einfordert: „Vor allem aber ist Thielemann uns Freischütz und Fidelio schuldig. Und sicherlich steht dem Haus auch eine neue Wagner-Inszenierung gut an“ (S. 261). „Denkste Puppe“, mag da ein ungezogener Berliner kommentieren.

Als bei der Versammlung der Gesellschaft der Freunde von Bayreuth 2002 die vereinzelten Buh-Rufe für sein Premieren-Dirigat des „Tannhäuser“ angesprochen wurden, schnodderte Thielemann charmant und hatte Herzen und Lacher sofort auf seiner Seite: „Noch nie ist aus einem Taktstock ein falscher Ton gekommen!“ Typisch Thielemann.

Nikolaus Kuhn

1 „Klein anfangen und langsam aufbauen“, Erhard Augustat im Gespräch mit Christian Thielemann in „Das Orchester“, Heft 10/2001, S. 2ff.
2 Käre Warnecke, „Christian Thielemann – Ein Porträt“. Henschel Verlag, Berlin, 288 S., 22 Euro.

 

 

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