Die offizielle Begründung für seine Demission jedenfalls vermag nicht zu überzeugen. Er wusste, dass seine Forderung, die Vergütungen seines Orchesters mit denen der Staatskapelle gleichzustellen, allenfalls im Vorfeld der Stiftungserrichtung hätte behandelt werden können, nicht erst nach Abschluss der Etatberatungen, denen immerhin die Berliner Symphoniker zum Opfer gefallen sind, und er wusste auch, dass in dieser Situation Berlins kein Abgeordnetenhaus und kein Senator rund 1,8 Millionen Euro für sein Orchester zusätzlich würden locker machen können. Wenn Thielemann befürchtet, „gute Musiker liefen ihm jetzt zu besser zahlenden Orchestern davon“, kann das nur Kopfschütteln auslösen: Sollten Ehre und Gewinn, mit dem Maestro arbeiten zu dürfen, nicht einmal die rund tausend Euro monatlich brutto wert sein, die den Kollegen der Staatskapelle auf Grund der an die Person Daniel Barenboims geknüpften „Kanzler-Zulage“ mehr gezahlt werden? Ein aufschlussreiches „Porträt“ Christian Thielemanns hat im vergangenen Herbst die Hamburger Journalistin Kläre Warnecke vorgelegt2. Aufschlussreich vor allem deswegen, weil diese flüssig geschriebene, auch für den musikalisch nicht Vorgebildeten gut lesbare Mischung aus biografischen Daten, unendlichen Zitaten und Interviews mit Thielemann nichts weniger ergibt als ein Porträt. Offenbar war es Verabredung zwischen der Autorin und dem Gegenstand ihrer Huldigungsschrift, alles Persönliche, alles Widersprüchliche, alles nicht ins Bild des genialen Wiederentdeckers der „Geheimnisse der alten Kollegen“ Passende schlicht außen vor zu lassen. So entsteht das Zerrbild eines Mannes ohne Eigenschaften, dem nur die Kunst, dem nur seine Interpretation der Musik etwas gilt. „Ich opfere der Qualität nichts“, sagt er (S. 120) und „in Bayreuth zu dirigieren, ist eine heilige Handlung“ (S. 188). In Erinnerung an sein dortiges erstes Meistersinger-Dirigat im Jahr 2000 ist solche Euphorie nachvollziehbar, doch wenn er im gleichen Atemzug Bayreuths Festspielhaus als das bestorganisierte Theater bezeichnet, das er kenne, müsste ihm doch der Gedanke gekommen sein, dass er (Mit-)Verantwortung für ein Berliner Theater trug, das schon damals alles andere als bestorganisiert war. Und das er 1999 schon einmal verlassen hatte, um sich kurz danach von der Politik zurückbitten zu lassen. Es ist kennzeichnend für Warneckes Buch, dass sie für diese, von ihr mit „Berliner Schlachten“ betitelte Zeit, von Thielemanns Anfang als GMD mit Götz Friedrich bis zu Udo Zimmermanns unfreiwilligem Abgang, nur zitierend ihr Tageszeitungsarchiv zur Verfügung stellt; nichts wird hinterfragt oder kommentiert. Thielemann hatte mit alldem offenbar nur als sich weiter profilierender Dirigent zu tun – und die Deutsche Oper diente nur als Sprungbrett nach Bayreuth. „Karrieren werden in Berlin gemacht“, zitiert sie (S. 177) und ist sich der schillernden Vieldeutigkeit ihrer Aussage offensichtlich nicht bewusst, wenn sie das Berlin-Kapitel mit dem Satz zu Ende gehen lässt: „Die Achse Berlin-Bayreuth, die schon für den Berliner Generalintendanten Heinz Tietjen bedeutsam geworden war, als Winifred Wagner ihn 1931 an ihre Seite berief, sollte nun auch für Thielemann zu einer entscheidenden Lebensbahn werden“ (S. 177). Enttäuschte ErwartungenIn unfreiwilliger Komik versinkt ihr Heldenepos, wenn sie in Vorschau auf die glorreiche Zukunft bereits über den neuen Ring Bayreuths spekuliert („Mal sehen, was Lars von Trier zu den Rheintöchtern einfällt“, S. 229), erst recht, wenn sie erwartungsvoll das Wirken Thielemanns, des nach Zimmermanns Abschied „wieder erstarkten musikalischen Vormanns“ der Deutschen Oper Berlin, einfordert: „Vor allem aber ist Thielemann uns Freischütz und Fidelio schuldig. Und sicherlich steht dem Haus auch eine neue Wagner-Inszenierung gut an“ (S. 261). „Denkste Puppe“, mag da ein ungezogener Berliner kommentieren. Als bei der Versammlung der Gesellschaft der Freunde von Bayreuth 2002 die vereinzelten Buh-Rufe für sein Premieren-Dirigat des „Tannhäuser“ angesprochen wurden, schnodderte Thielemann charmant und hatte Herzen und Lacher sofort auf seiner Seite: „Noch nie ist aus einem Taktstock ein falscher Ton gekommen!“ Typisch Thielemann.
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