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Kulturpolitik

Bayreuth ist erst der Anfang

Ein Gespräch mit dem Regisseur Christoph Schlingensief

Erst-Erlebnis in Bayreuth: Die Neu-Inszenierung des „Parsifal“ übernimmt kein geringerer als Skandal-Regisseur Christoph Schlingensief, der in der Vergangenheit unter anderem durch Pfahlsitzwettbewerbe, Parteigründungen und allerlei provokante Inszenierungen berühmt-berüchtigt wurde. Wolfgang Wagner suchte den Schreck der Bürger-Kultur wohl nicht zuletzt aus, um seine Fähigkeit zur Erneuerung auch über-80-jährig zu demonstrieren. Jüngste Bayreuth-vorbereitende Idee Schlingensiefs ist eine Wagner-Rallye unter dem Motto „Im Rhein liegt der Ring. In der Ruhr liegt die Kraft“, zu der er begeisterte Autofahrer für vier Tage ins Ruhrgebiet einlud. Für „Oper & Tanz“ sprach Andreas Kolb mit dem Regisseur über Richard Wagner, den grünen Hügel – und Christoph Schlingensief.

Andreas Kolb: Nach Beethovens 9. war „Parsifal“ die erste Wagner Oper, die 1951 nach dem Krieg in Bayreuth aufgeführt wurde. Sie wurde als politisch unbelastet empfunden. Was bewegt einen politisch motivierten Künstler wie Sie dazu, gerade Parsifal zu inszenieren? Und nicht etwa einen „kulturkritischen“ Ring?

 
 

Erfolgs- und Skandalautor Schlingensief. Foto: Thomas Aurin

 

Christoph Schlingensief: Das ist mal wieder typisch. Den Ring kann man problemlos als „kulturkritisch“ bezeichnen, den Parsifal sieht man als christlich-buddhistisch verbrämte Heilslehre, bei der man sich schmuckbehangen in Sicherheit wiegt und auch mal was für den sentimental, melancholischen Blick auf unser aller Erlösung tut. Angeblich unpolitisch. Das sehe ich anders.

Hier passieren Dinge, die ein universelles Kraftfeld beschreiben, das die Beuys-Frage stellt: Wie komme ich auf die Erde und wie verlasse ich sie? Das ist hochpolitisch. Politischer als wenn große Opernspaßvögel einen Wotan zum Generaldirektor machen oder der Kundry mal einen Westernhut aufsetzen, weil das aktuell sein soll.

Das sind die beiden Pole der Oper: zwanghaft aktualisiert, oder kitschig und weicheiig. Parsifal ist mehr.

Kolb: Von der Aktionskunst auf der Straße zum Grünen Hügel. Wird der Provokateur, der vom Recht auf persönlichen Terrorismus spricht, jetzt seriös?

Schlingensief: Ich plädiere wie viele andere dafür, dass Bayreuth geöffnet wird! Dass es sich aus seinem elitären Dornröschenschlaf befreit und Richard Wagners unstetes Denken ernst nimmt. Der Mann stand nicht nur für Klarheit, sondern auch für Verwirrung, für den Aufbruch ins Querdenken, Wege raus aus dem Eindeutigen, das den Tod jeder Kraft darstellt. Bis hin zur geistigen Verwirrung.

Ich mache gerade eine Lehre. Ich lerne was. Wenn Sie auf den Mond reisen können, sollten Sie sich nicht mit einer Studiodekoration begnügen. Wenn Sie an Wagner geglaubt haben, dann will ich ihn in seiner geträumten Installation besuchen und wenn ich merke, dass er dort in Bayreuth nicht mehr existiert, dann werde ich ihn woanders suchen.

Ihre Frage impliziert ja regelrecht, dass dieses Bayreuth keine Kraft hat. Dass es sich von Wagners Kraftfeldern entfernt hat. Ich verspreche Ihnen, dass ich meine Erfahrungen anwenden werde! Ich verspreche Ihnen auch, dass ich für eine Öffnung der Oper, weg vom leeren Elitären, eintreten werde. Bayreuth ist nur der Anfang.

Gehen Sie also nicht denselben Weg wie all die Jahre davor und denken Sie, dass ich nur noch stolz bin und nun Besseres vorhabe. Mich interessiert die Revolution genauso wie Richard Wagner! Aber reduzieren Sie meine Arbeit nicht auf einen kleinen Moment am 25. Juli.

Kolb: Erleben wir einen Wandel Christoph Schlingensiefs vom enfant terrible zum Bildungsbürger und Schöngeist?

Schlingensief: Habe ich Ihnen soeben erläutert. Wenn Sie einmal guten Sex hatten, werden Sie sich nicht mit Kaviar abspeisen lassen! Wenn Sie einmal jemanden getötet haben, wird es Ihnen keine Ruhe geben. Wenn Sie etwas grundsätzlich verachten, werden Sie glücklich sein?

Kolb: „Schlingensief trifft Wagner“. So hieß eine CD-Compilation bei DG. Warum Wagner? Nach welchen Gesichtspunkten trafen Sie die Musikauswahl?

 
 

Mit einer Wagner-Rallye läutete Schlingensief seinen Bayreuther „Parsifal“ein. Foto: Thomas Aurin

 

Schlingensief: Nach dem Plattenschrank meiner Eltern. Nach dem, was die Deutsche Grammophon freigab. Nach dem, was ich mag. Und nach dem, was mir Alexander Kluge ab und zu ins Ohr geflüstert hat.
Reicht das ?

Kolb: Was ist Ihr persönlicher Zugang zu Richard Wagner und seinem Werk? Unter welchem Blickwinkel lesen Sie die Partitur?

Schlingensief: Ich lese die Partitur nicht, sondern ich spiele sie auch. Jedenfalls habe ich seit Zürich regelmäßig Klavierstunden. Ich habe mit sechs Jahren Klavierunterricht begonnen. Bis 1979. Danach Pause. Der Parsifal ist für mich die Gelegenheit wieder anzufangen.

Was den Blickwinkel angeht, so sitze ich aufrecht und liege kaum. Alexander Kluge hat mich langsam und beständig an Wagner herangeführt. Er hat mir die Verwirrung, die Wagner auslösen kann, erträglich gemacht.

Kolb: Wie entsteht Ihre Inszenierung? Wie erarbeiten Sie das Werk mit Pierre Boulez und den Sängern?

Schlingensief: Ich werde viel lernen von Boulez und den Sängern und wenn sie auch was von mir lernen wollen, wird es sicher eine gute Zeit. Die bisherigen Treffen waren jedenfalls sehr vielversprechend. Ich hoffe auch, dass wir abends nach den Proben noch malen werden.

Kolb: Der Musik von „Parsifal“ wird häufig das Attribut sakral zugewiesen. Spielt das Sakrale in Wagners Bühnenweihspiel für Sie eine wichtige Rolle?

Schlingensief: Ich war 12 Jahre Messdiener und bin noch immer in der römisch-katholischen Kirche. Da kenne ich den ganzen Erlösungsschlamassel zu Genüge. Sakral ist aber noch lange nicht nur katholisch. Ich habe wunderbare Rituale in Afrika mitgemacht. Die waren sakraler als der eingefahrene Zirkus in den christlichen Mausoleen. Ich habe mir auch den Buddhismus in Nepal angeschaut. Aber all das ist nicht Wagners Erlösungsansatz. Da steckt viel mehr drin, da rechnet einer ab, der weiß, dass das sein letzter Akt sein wird. Nietzsche war Wagner näher als er es akzeptieren konnte. Wagner hat ihm fast die Show gestohlen. Wagner hat der Erlösung Eigenverantwortung zugeschrieben. Da gibt es Kraft , die fließen will. Schmerzkraft, Blutpumpe. Da gibt es aber auch eine Form, die es begrenzen und somit vernichten will. Und da gibt es diese Möglichkeit, die all das auf neue Bahnen setzt: ein Bekenntnis zur Eigenverantwortung in Angst. Ich bin mir sicher, dass Sie das verstanden haben.

Kolb: Gibt es Korrespondenzen zwischen Richard Wagners „Kunstreligion“ und Christoph Schlingensiefs „Church of Fear“. Wenn ja, welche?

Schlingensief: Es geht beiden um Religion nach dem Ende der Religion. Wagners Rituale schmücken sich dem Publikumsgeschmack entsprechend mit christlichen Phrasen, sind aber im Grunde profan, wir haben es bei Wagner mit einer Religion des Nichts und der Immanenz zu tun. Gott ist tot, aber die religiösen Rätsel und die früher durch Religion kanalisierten Ängste sind immer noch da. Solange ich weiß, dass ich eines Tages tot bin, sind religiöse Fragen nicht tot zu kriegen.

Kolb: Parsifal ist ein „Mitleidender“ – einer, dessen Handlungen dem Mitleid entspringen. Auf der anderen Seite entwickelt Wagner eine Passionsgeschichte? Ist das nicht ein a priori christliches Sujet?

Schlingensief: Parsifal ist am Anfang ein naiver Krieger und mitleidsloser Tiertöter, dem in einem langen Initiationsprozess, der wenig mit dem christlichen Katechismus zu tun hat, im Leiden der anderen seine eigene Sterblichkeit und Verletzlichkeit bewusst wird. Und die Erfahrung macht, dass es für den aufgeklärten Menschen nur eine Erlösung gibt: nämlich den eigenen Tod.

Diese Leidensgeschichte ist im Kern profan. Durch Leiden lernen, durch Mitleid wissen, sind keine a priori christlichen Sätze.

Kolb: Das Thema der „Wunde“ spielt im Parsifal ein große Rolle. Sieht man Mel Gibsons Passionsfilm, oder Ihre Attabambi-Inszenierungen, dann ist Parsifal eigentlich voll im Zeitgeist?

Schlingensief: Wagner hat gesagt, das in diesem Werk „alles schreit“. Tod ist keine religöse Formel und Leiden und Schmerz keine Läuterung, sondern konkretes Elend, das erst im Tod endgültig beseitigt ist. Erlösungssehnsucht ist deshalb immer Todessehnsucht. Wenn das voll im Zeitgeist liegt, soll es mir Recht sein. Bei den Fundamentalisten im Nahen Osten und in der amerikanischen Regierung sehe ich in dieser Hinsicht allerdings kein Problembewusstsein.

Kolb: Gibt es für Sie im Zeitalter der Medienkunst noch die Idee eines „Gesamtkunstwerkes“? Wie würden Sie Gesamtkunstwerk definieren?

Schlingensief: Na, dass die ganze Welt ein Kunstwerk wird nach einem ästhetisch-ethischen Plan. Das hat Stalin versucht und ist natürlich gescheitert. Die Welt nach Regeln der Kunst zu gestalten führt ins Verbrechen. Kunst ist immer partikular. Und deshalb gibt es auch das Gesamtkunstwerk nur an den für Kunst vorgesehenen Orten der Gesellschaft – als Katalysator und Reflexionsagentur der gesellschaftlichen Entwicklung. Wenn die Unterscheidung von Kunst und Wirklichkeit kassiert wird, ist das nicht nur das Ende der Kunst, sondern auch das Ende der Demokratie. Denn Kunst ist nicht demokratisch. Genauso wenig wie Religion oder die Eltern-Kind-Beziehung. Die Kunst will immer über sich selbst hinaus. Dafür steht das Gesamtkunstwerk. Die neuen Medien sind verführerisch, können aber an dieser Grundkonstellation hoffentlich nichts ändern.

Für Wagner war der Parsifal sein „Weltabschiedswerk“, der nur leicht verschlüsselte Rückblick auf sein eigenes inneres Leben. Das Bewusstsein des endgültigen Endes: Abschied von der Welt, Abschied von der Kunst, Abschied von sich selbst. Die Musik ist das Mittel der profanen Transzendenz, sie ist selbst jenseitig, auch für den, der sonst an kein Jenseits glaubt.

Kolb: Was wird der Hauptunterschied zwischen Ihrer und der zwischen 1989 und 2001 in Bayreuth gespielten „Parsifal“-Inszenierung Wolfgang Wagners sein?

Schlingensief: Fragen Sie mich das in 100 Jahren.

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