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Von Film- zu Opernhelden

Ludger Vollmers „Paul und Paula“ in Nordhausen · Von Werner Wolf

Für den heutigen Bundesbürger, gleich ob in alten oder neuen Ländern beheimatet, zeigt sich diese von Ludger Vollmer geschaffene Oper „Paul und Paula“ als unmittelbares Gegenwartsstück, auch wenn sie im Ostberlin der 1970er-Jahre spielt. Denn was ehedem der gleichnamige Defa-Film und der weiterführende Roman von Ulrich Plenzdorf mit kritischem DDR-Blick darstellte, erweist sich heute durchaus nicht als systembedingt, sondern als Menschliches, Allzumenschliches. Damals löste der Film in der DDR vor allem unter den Jüngeren große Zustimmung aus, weil seine Hauptgestalten mit all ihren Problemen dargestellt werden, nicht als strahlende Vor-, als Wunschbilder, wie das manch alternde Herren der Obrigkeit erwarteten. Der als frei schaffender Komponist, Geiger, Bratscher und Musikpädagoge wirkende Ludger Vollmer erkannte: Ähnliches passiert noch immer, ja, Leute wie Paul und Paula sehen sich heute noch eher zum Ausbrechen veranlasst.

 
 

Anja Daniela Wagners als Paula, Daniel Wynarski als Professor. Foto: Vincent Leifer

 

Eine allein erziehende Mutter zweier Kinder wie Paula hat nun statt in einer Kaufhalle in einem Discounter – wie das neudeutsch heißt – in jeder Schicht acht Stunden lang, also sage und schreibe 28.800 Sekunden lang, piep zu tippen und zu hören. Und Paul, in der Filmerzählung „persönlicher Referent in einer Außenhandelsbehörde“, vom Komponisten „als Manager einer Dienststelle“ verstanden, sieht sich bei seiner die Seele abtötenden Tätigkeit und in seiner verkorksten Ehe von einer unkomplizierten, temperamentvollen Frau wie Paula eher noch stärker angezogen.

Solches Geschehen fordert Musik gerade zu heraus. (Für die im Film eingesetzten Puhdys begann ja damit deren große Zeit). Ludger Vollmer behält für seine szenische Anlage und seine Musik die knappen Filmsequenzen bei (fast 40 musikalische und mehr als 20 Erzählerszenen). Während der erste Akt im Wesentlichen der Filmhandlung entspricht und mit dem Tod Paulas bei der Geburt ihres dritten, mit Paul gemeinsamen Kindes endet, stützt sich der zweite auf Ulrich Plenzdorfs Roman „Die Legende vom Glück ohne Ende“.

Paul lernt nach Paulas Tod Laura, eine Paula äußerlich verblüffend ähnliche Doppelgängerin kennen. Die aber hat ganz andere Wünsche als Paula. Beim Versuch, ihr zuliebe sein Auto wieder in Gang zu setzen, verunglückt er und wird querschnittsgelähmt. Nun heiratet sie ihn. Doch er verschwindet unauffindbar.

Zur Charakterisierung des Geschehens nutzt Ludger Vollmer vielfältige musikalische Mittel , für Tanz- und Barszenen auch solche der Pop- und Jazzmusik. Doch ausgehend von alten Techniken und Bausteinen außereuropäischer Musik entwickelt er vor allem melodische und rhythmische Kräfte, die er mit liegenden Klängen und Klangfarben verbindet. Insgesamt besitzt diese Musik vor allem innere Spannung. Die stärksten musikalischen Eindrücke erwecken Szenen Paulas und Pauls, in denen sich mit emotional bewegtem Gesang solistisch oder kammermusikalisch eingesetzte Instrumente verbinden.

Das kleine Musiktheaterensemble Nordhausens setzt seine ganze Kraft für die Uraufführung des Werkes ein. Die schnellen Bildwechsel erfolgen weitgehend während der Szenen der Erzählerin (Annelie Theurer). Der Bühnen- und Kostümbildner Wolfgang Rauschnig nutzt verschiebbare Wände, die mit laufenden Strahlen rasch das entsprechende Aussehen erhalten. Die ungarische Regisseurin Dorotty Szalma schafft mit den spielfreudigen Akteuren Spannung über die gesamte knapp dreistündige Aufführung. Vor allem Thomas Kohl überzeugt als beweglicher Paul auch mit seinem ausdrucksstarken Gesang. Während die Stimme Anja Daniela Wagners der kühl dargestellten Laura eher entspricht, wäre ihr im ersten Akt als beherzt agierende Paula eine wärmere Tongebung zu wünschen. Die beträchtliche Personenliste des Stückes fordert das ganze hoch motivierte Ensemble. Besondere Anerkennung verdienen der kleine Chor, die ebenfalls kleine Tanzgruppe und die Statisterie. Ihre Einsatzfreude ermöglicht der Regisseurin und der Choreografin Birgit Relitzki turbulente, zugleich stimmige Ensembleszenen zu gestalten, die sich auch in einem größeren Theater sehen und hören lassen können.

Alle Achtung verdient auch das Loh-Orchester Sondershausen unter Leitung von Stefan Ottersbach, nicht zuletzt für beeindruckende solistische und kammermusikalische Leistungen. Die hier besprochene zweite Aufführung war zwar nicht wie die Premiere ausverkauft, löste aber ebenfalls starken Beifall aus.

Werner Wolf


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