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Berichte
Mozart im Ausnahmezustand
Ein barrierefreier „Figaro“ für alle am Brandenburger Theater
Das Brandenburger Theater will mit seiner neuesten Produktion – der letzten von Intendant Alexander Busche, der zum Berliner Theater des Westens wechselt – einen „barrierearmen“ Zugang zu Mozarts Opern bieten, „leicht und einfach“ soll der „Figaro“ sein, verständlich für möglichst viele Menschen in Brandenburg an der Havel und Umgebung. Grundlage dieser Fassung ist eine Übersetzung des Librettos Da Pontes in „einfache deutsche Sprache“ der Schauspielerin Elna Lindgens. Mozart soll „barrierefrei“, niederschwellig und quer durch alle Schichten der Gesellschaft leicht goutierbar sein. Alltagsdeutsch, Gossenjargon und der flapsige Umgangston heutiger Jugendlicher spiegeln sich im gesungenen Text und mehr noch in der stark vereinfachten, bloß kommentierenden Übertitelung. Zuweilen hat diese neue Textfassung etwas Verdummendes. Zur Erinnerung: Mozart schrieb seinem Vater, der ihn gelegentlich „wegen des sogenannten Populare“ ermahnt hatte, er schreibe „Musik für alle Gattungen von Leuten, – ausgenommen für lange Ohren nicht“.

Wolfgang Amadeus Mozarts „Figaro“ am Brandenburger Theater, Ensemble. Foto: Enrico Nawrath
Man war gespannt auf die Aufführung, denn sie wurde von Andreas Spering dirigiert. Seit 2023 ist er Chefdirigent der Brandenburger Symphoniker. Diese spielten in kleiner Besetzung und hörbar inspiriert von historisch informierter Musizierpraxis, und zwar fulminant, um es gleich vorweg zu sagen. Man saß auf der Stuhlkante. Keine Sekunde herrschte Routine, Konvention oder gar Langeweile. Man erlebte Mozart im Ausnahmezustand, erregend und scharf zugespitzt in jedem Takt, so pointiert, dass sich die Musik gewissermaßen von selbst erklärte, in atemberaubendem Tempo, mit intelligenter Phrasierungskunst, ausgefeilten Orchester-Details und exzellenter Sängerbegleitung. Spering machte beispielhaft klar, was „die Geburt des Dramas aus dem Geist der Musik“ meint. Er machte aber auch die Revolutionsideen von Beaumarchais, auf den sich Mozarts Librettist Da Ponte berief, in der Musik hörbar. Sie animierte, ja trug die ganze Aufführung, egal was szenisch passierte.
Es geht im „Figaro“ ja um die Aufhebung adliger Privilegien und die Gleichstellung aller Untertanen, was wesentlicher Bestandteil der damaligen Innenpolitik war. Kaiser Joseph II. war schließlich Auftraggeber der Oper.
Nun ist Regisseur Alexander Busche kein Mann tiefschürfenden Regietheaters. Und so hat er sich im Wesentlichen der „Opera buffa“ und ihrer heiteren Oberfläche zugewandt, mit geradezu kindlicher Lust am Verkleiden und komödiantischen Spiel. Gabriele Kortmann hat ihm absurde, überzeichnete, bunte, ja ironische Kostüme entworfen, die dem Affen Zucker gaben. Es durfte gelacht werden. Busche hat das Stück als grelle Farce – mit leichter Hand und einer gewissen Freude an Travestie, die er in das Stück geschmuggelt hat – abschnurren lassen, ohne jeden regielichen Fingerzeig oder Kommentar. Chapeau!
Auch Busches Bühnenbild ist von schlichter und heiterer Anmutung: Es sind drei weiße Partyzelte, die mal von innen, mal von außen bespielt werden, variiert nur durch Blumengirlanden, Gartenplastiken oder Topfpflanzen. Mozarts Oper mutierte zur Kasperliade. So wenig der politische Charakter im Szenischen ersichtlich wurde, die „Revolution der Herzen“ wurde in oftmals anrührender Weise beglaubigt, vor allem durch ein handverlesenes, ausnahmslos junges Sängerensemble, aus dem die natürlich und herzlich singende Susanna von Ines Vinkelau und der naturburschenhafte Bass-Bariton Friedemann Gottschlich als Figaro herausragten. Geradezu sensationell war der Cherubino der blutjungen, aber mit imposantem und kultiviert geführtem Stimmmaterial aufwartenden Mezzosopranistin Johanna Bretschneider. Auch alle übrigen Solisten und der Extrachor Brandenburg (Leitung Karsten Drewing) waren überzeugend. Der Abend war ein Sängerfest und orchestrales Mozartglück.
Dieter David Scholz |