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Editorial von Tobias Könemann

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How to Kulturfördergesetz in diesen Zeiten? – ein Erfahrungsbericht aus der Fachgruppe Musik in Berlin

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Das Festjahr Johann Strauss 2025 in Wien und anderswo

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Gefallen(d)er Engel
Giacomo Puccinis Frauenschicksal „Manon Lescaut“ an der Oper Köln

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Wozzeck im Serienformat
Wie zwei Wienerinnen die Oper neu erfinden

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Richard Wagners „Tannhäuser“ als Steinbruch am Theater Magdeburg

Kosmogonie als Kasperletheater
Paul-Georg Dittrichs Neuinszenierung von Wagners „Rheingold“ an der Oper Köln

Dystopie und Utopie
Tanztheater an den Kölner Bühnen: Sasha Waltz’ „Beethoven 7“

Zwischen Atem und Applaus
Die 6. Internationale Opernwerkstatt Waiblingen

Abbild oder Variation?
Die Semperoper auf einer Krypto-Briefmarke

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Ausstellung und Katalog „Tanz wird Kunst“ des Edwin Scharff Museums Neu-Ulm

Die Tragödie unserer Zeit
Neue DVD mit Mieczysław Weinbergs „Der Idiot“

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Berichte

Kosmogonie als Kasperletheater

Paul-Georg Dittrichs Neuinszenierung von Wagners „Rheingold“ an der Oper Köln

Schon im Freien hört man Kinderstimmen kreischen. Das spielerische und angstvolle Geschrei mischt sich im Foyer mit den Plaudereien des Premierenpub­likums sowie im Orchestergraben mit kurz nochmals angespielten Leitmotiven. Zum Vorspiel tändelt ein Dutzend Schulkinder in beklecksten Malerkitteln mit Teilstücken eines roten Fadens, wie ihn üblicherweise drei Abende später die Nornen im Vorspiel der „Götterdämmerung“ spinnen. Während die Rheintöchter Alberich foppen, formen die Kinder mit ihren Mündern die Singstimmen nach und mobben einen zur Missgestalt gemachten Jungen.

Richard Wagner, „Das Rheingold“ an der Oper Köln mit Kinderstatisterie, Adriana Bastidas-Gamboa (Erda), Lucas Singer (Fafner), Emily Hindrichs (Freia). Foto: Matthias Jung

Richard Wagner, „Das Rheingold“ an der Oper Köln mit Kinderstatisterie, Adriana Bastidas-Gamboa (Erda), Lucas Singer (Fafner), Emily Hindrichs (Freia). Foto: Matthias Jung

Das vermeintlich unschuldige Kinderspiel wandert auf eine kleine Jahrmarktsbühne, auf der gerade noch eine Kulissenwolke angepinselt wird. Anschließend wird der Umriss eines riesigen Auges vor die komplette Bühne gezogen, durch den das Publikum fortan das Geschehen verfolgt. Gleichsam durch die Augen der Kinder erscheint dann die germanische Götterwelt wie im Märchen oder Showbiz. Wotan sitzt als Cartoon-Wikinger „Hägar der Schreckliche“ mit Flügelhelm auf einer Mondsichel und angelt wie Peter Pan in Steven Spielbergs Dreamworks-Animation seinen Traum von Walhall aus den Wolken. Fricka trinkt wie eine Hollywood-Kleopatra Champagner aus einer riesigen Pappflasche, Freia in Rosarot ist als zickige Cinderella-Prinzessin aus Disneyland mit Selfies beschäftigt, Froh erscheint als Marvel-Wassermann, Donner als blondierte Bully Herbig-Lachnummer, Loge als schrille Kreuzung aus Luzifer und Joker, die Riesen als Gangster-Rapper auf gemaltem Schaufellader mit riesigen Dollarzeichen an schweren Goldketten.

Paul-Georg Dittrichs Neuinszenierung von „Das Rheingold“ an der Oper Köln mit dem Bühnenbild von Pia Dederichs und Lena Schmid sowie Kostümen von Mona Ulrich schrumpft Wagners großes Welttheater zum bunten Kasperletheater. Alle mythologische Tiefe und Pathetik wird weggewischt, so wie es einst Ernst Bloch im Aufsatz „Rettung Wagners durch surrealistische Kolportage“ (1929) forderte. Zugleich schafft die naive Puppenwelt eine umso größere Fallhöhe für die weiteren Szenen. Der anfangs smarte Dandy Alberich (Daniel Schmutzhard) erscheint im nachtschwarzen Nibelheim als verlotterter Grufti mit langen Haaren und Tätowierungen. In seinen Goldminen quält er seinen Bruder Mime (Martin Koch) und versklavt die Kinder, deren Gesichter Robi Voigts Videos zu grässlichen Zombies verzerren. Wotan (Jordan Shanahan in großartigem Rollendebüt) und Loge (Mauro Peter) sind verlogene Saubermänner in lichtem Weiß.

Zurück auf wonnigen Höhen zeigen sich auch die Götter ganz in Schwarz als schmierige Mafiosi, die den gefangenen Alberich mit Elektroschocker foltern und sich einen knallharten Bandenkrieg mit den Riesen (Christoph Seidl und Lucas Singer) liefern. Videos zeigen Wotan, Froh (Tuomas Katajala), Donner (Miljenko Turk) und Fricka (Bettina Ranch) als coole Typen aus Actionfilmen mit bleckenden Zähnen vor militärischen Raketen, Drohnen, Panzerfahrzeugen und zerschossenen Landschaften. Die Götterdämmerung findet längst statt. Einzig Freia (Emily Hindrichs) zeigt menschliche Regungen, als sie sich trauernd über den erschlagenen Fasolt beugt. Der Ring, der die Weltherrschaft verspricht, wechselt als Schlagring die Fäuste und erscheint immer wieder als großer Leuchtkreis wie eine riesige Pupille, ein Brennglas oder Schicksals- und Folterrad, auf dem die Leichen der Kinder hängen, die endlich wieder in die Erde eingehen, indem sie unter den riesigen Reifrock von Urmutter Erda (Adriana Bastidas-Gamboa) wie unter eine Schutzmantelmadonna kriechen.

Die Sängerinnen und Sänger agieren durchweg ausgezeichnet, voll Leuchtkraft, verständlicher Textdeklamation und schauspielerischer Kraft, ebenso gut ist das Gürzenich-Orchester unter Leitung von Marc Albrecht. Die Premiere wurde leidenschaftlich gefeiert und ausgebuht. Die extreme Fallhöhe vom kindlichen Märchenland zur brutalen Erwachsenenwelt hat polarisiert – aber vor allem neugierig gemacht, wie es im März mit der „Walküre“ weitergeht.

Rainer Nonnenmann

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