|
Berichte
Abbild oder Variation?
Die Semperoper auf einer Krypto-Briefmarke
Briefmarken sind millionenfach verbreitete kleine Kunstwerke und bebilderte Kulturgeschichten. Sie tragen Botschaften in die Welt und machen Werbung. Die Semperoper, das Wahrzeichen Dresdens, hat eine lange Geschichte: Zweimal wurde sie zerstört und zweimal wieder aufgebaut. Jetzt zieht sie auf einer neuen Briefmarke in den virtuellen Raum ein. Am 2. November 2023 erschien die erste Krypto-Briefmarke der Deutschen Post mit einer Abbildung des Brandenburger Tors, Nennwert 1,60 €. Mittlerweile ist eine kleine Serie solcher Krypto-Briefmarken „Historische Bauwerke in Deutschland“ herausgekommen: Kölner Dom (1,00 €), Schloss Neuschwanstein (2,75 €), Speicherstadt Hamburg (0,95 €) und zuletzt, am 2. Oktober 2025, die Semperoper Dresden (1,80 €).
Krypto-Briefmarken werden mit Hilfe einer KI erstellt. „Dall-E“ greift dazu im Internet auf Fotografien, Grafiken und Kunstwerke zurück und erstellt damit eine eigene Interpretation des Themas. Im Gegensatz zu einer fotorealistischen Darstellung weicht das KI-generierte Bild, das nicht von Menschen nachbearbeitet wird, von der Realität ab. Auf den ersten Blick erkennt man die Semperoper. Bei genauerem Hinsehen entdeckt man aber kleine Unterschiede und Abweichungen: So gibt es zum Beispiel am Original im Untergeschoss auf beiden Seiten des Gebäudes jeweils noch Anbauten, im ersten Geschoss gibt es ein Fenster weniger und das Giebeldach ist nicht existent. Trotzdem: die Semperoper!
Die nassklebende Briefmarke erscheint in Zehnerbögen mit einer Auflage von 1,18 Millionen Exemplaren. Darüber hinaus gibt die Deutsche Post in einer streng limitierten Auflage von 50.000 Stück die eigentliche Krypto-Briefmarke heraus. In Motiv und gesamter Aufmachung unterscheiden sich die beiden Marken nicht, nur die Krypto-Briefmarke ist selbstklebend und wird einzeln in kleinen Booklets vertrieben. Zu jeder dieser echten Briefmarken gibt es einen digitalen Zwilling, der mit einem NFT (Non-Fungible Token) verknüpft und dessen Echtheit durch Blockchain-Technologie sichergestellt ist. Hat die physische Briefmarke immer die identische Farbigkeit, erscheinen die NFTs dagegen in unterschiedlicher Rarität pink, blau, lila oder gelb. Die Krypto-Briefmarke wird nach dem Zufallsprinzip in einem neutralen, verschlossenen Umschlag ausgeliefert. Mit den Zugangsdaten aus diesem Umschlag ist man Besitzer des digitalen Sammlerstücks.
Motiv und Ausgabetermin einer Briefmarke haben oft keinen konkreten Hintergrund. Die Idee, eine Briefmarke herauszugeben und die darauffolgende Umsetzung, geht in vielen Fällen auf Vorschläge von Bürgern zurück. Manche Themen erscheinen daher ohne besonderen Anlass. Eine derartige antizyklische Präsentation hat den Vorteil, dass ein Thema quasi „zur Unzeit“ wieder einmal in Erinnerung gerufen wird. Briefmarken, die die Semperoper darstellen, hat es in der Vergangenheit, mit ähnlichen Darstellungen wie auf der Krypto-Briefmarke, bereits mehrfach gegeben, etwa zur Wiedereröffnung (DDR, 1985) oder in den Dauerserien „Bauwerke“ (DDR, 1990) und „Sehenswürdigkeiten“ (Deutsche Bundespost, 1991).
Ralf-Thomas Lindner |