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Berichte
Wozzeck im Serienformat
Wie zwei Wienerinnen die Oper neu erfinden
Eine Kamerafahrt über den Schaum eines Rasierpinsels, die Klinge des Rasierers glänzt, ein Atemzug – und dann die Stimme. Kein Vorhang, kein Orchestergraben, kein Applaus. Stattdessen ist die Handlung auf einem Smartphone zu sehen, auf dem sich Alban Bergs „Wozzeck“ auf engstem Raum entfaltet: als Serie, in Episoden zu je fünf bis zehn Minuten, filmisch erzählt – und musikalisch ernst genommen. „Opera Seria“ heißt dieses Experiment, hinter dem zwei junge Gründerinnen aus Wien stehen: Johanna Würth und Constanze Gepart. Ihr Versprechen: große Oper, aber so erzählt, wie wir heute Geschichten erleben – im Scroll-Tempo, mit filmischer Präzision, zugänglich und nahbar.
„Bei uns ist Wozzeck keine einfache Bühnenabfilmung, sondern ein eigenständig produzierter Film mit verschiedenen Schauplätzen.“ Wenn Johanna Würth über das Projekt spricht, merkt man, wie sehr hier Neugier und Handwerk zusammenfinden. „Bei uns ist es eben auch möglich, dass wir point-of-view-mäßig auf bestimmte Dinge schauen – also beispielsweise die Perspektive von Marie oder Wozzeck bewusst in den Fokus der Kamera rücken.“

„Wozzeck“ auf dem Laptop. Foto: Valeska Bader
Der erste Akt von „Wozzeck“ – von Berg selbst in fünf Szenen komponiert – wird zur Staffel 1 mit fünf Folgen, jede mit eigener Dramaturgie und Farbgebung, die zusammen ein filmisches Meisterwerk ergeben. Es ist nicht einfach ein Opernfilm, sondern eine Serie mit klarer Bildsprache, klug montiert, präzise auf die Musik und Handlung geschnitten – und durchgängig musikalisch geführt. Gleich zu Beginn wird der Dialog zwischen dem Hauptmann und Wozzeck zu einem Rasiermesser-Machtspiel. Die Kamera gleitet sanft, bleibt dicht an den Gesichtern, fängt kleine Details ein – und springt plötzlich in eine Erinnerung: an einen Teich, den das Team, wie Würth erzählt, „als Schlüsselort verwendet“. Eigentlich ist er in „Wozzeck“ der Schauplatz des späteren Verbrechens – doch nun wird er zum Gegenteil: „Wir verwenden den Teich in Akt 1 als schönen Ort, wo Marie Wozzeck zeigt, dass sie schwanger ist. Es ist ein total schöner Moment – und an den erinnert sich Wozzeck in dieser ersten Szene.“ So beginnt der Film mit einem Schnitt zwischen Nähe und Macht, Vergangenheit und Gegenwart – ein Leitprinzip, das sich durch alle Episoden zieht.
Szene 2 führt dann ins Freie: Die Szenerie mit Wozzeck und seinem Kameraden Andres wird filmisch im Kontrast zwischen Schwarzweiß- und Farb-Film dargestellt. In wenigen Minuten stellt die Folge so den zentralen Konflikt heraus: Naturidylle trifft auf Wozzecks innere Unruhe und wachsende Visionen vom drohenden Unheil. Szene 3 zeigt Marie schließlich in ihrem Alltag: eine Parade auf der Straße, Baby im Arm, Wortgefechte mit Nachbarin Margret, dann ein Ortswechsel in ihre Wohnung, in die schließlich auch Wozzeck kommt und dort mit ihr in einen Dialog tritt. Es ist erstaunlich, wie viel hier passiert, während gesungen wird: Kind ins Bett bringen, Küche sauber machen, umziehen, mit Wozzeck „sprechen“ – es ist Nähe und doch wieder Distanz, die hier zum Vorschein kommt. In Szene 4 mit dem Doktor wechselt der Blick und auch der Schauplatz: Wozzeck sitzt mit dem Doktor in einer Arztpraxis und stellt sich für medizinische Experimente zur Verfügung. Die Kamera zoomt passend zur Musik in die beiden Gesichter – sie seziert, ohne zu urteilen. Am Ende des ersten Akts, in Szene 5 mit der Begegnung von Marie mit dem Tambourmajor, kulminiert alles, was zuvor angedeutet wurde: Begehren, Flucht, Scham. Zwei Figuren, die sich vorsichtig annähern – bis die Musik übernimmt und die Kamera folgt.
Die Produktion wagt dabei Perspektiven, die auf der Bühne kaum möglich wären. Die Kamera denkt mit, springt zwischen Realität und Erinnerung, zeigt Gedanken, Träume, Orte, ohne den musikalischen Fluss zu stören. „Wir wollten gezielt die Möglichkeiten des Films nutzen, um Aspekte der Geschichte sichtbar zu machen, die sich auf der Bühne so nicht zeigen lassen“, so Würth. Besonders prägnant wird das in der Gestaltung der Figur der Marie, die bei „Opera Seria“ schon in der ersten Szene auftritt und den Blick auf das Geschehen verändert. Würth erklärt: „Uns war vor allem wichtig, dass im ersten Akt auch Marie eine gewisse Präsenz bekommt. Denn eigentlich tritt sie ja erst in der dritten Szene auf.“ Die Produktion hält sich also nicht immer an die Vorgaben der Partitur, sondern denkt in der Logik des Mediums Film – mit eigenen Zeitachsen, Perspektivwechseln und emotionalen Cliffhangern. Jede Episode nimmt die nächste vorweg oder öffnet sich ins Off und erzählt Bergs Musik auf eine Weise weiter, die gleichzeitig modern, präzise und berührend ist.

„Opera Seria“, bei den Dreharbeiten: Jubin Amiri, Aaron Bauer, Constanze Gepart, Emma Zimmel, Tobias Treitner, Johanna Würth. Foto: Ina Holzknecht
„Opera Seria“ ist dabei kein Opernhaus mit Filmabteilung, sondern ein privat organisiertes Team aus Wien mit großer Leidenschaft. „Wir haben das wirklich als Teamwork realisiert. Dabei gab es schon einen festen Kern: Dirigent Tobias Treitner, die Videografinnen Emma Zimmel und Ina Holzknecht – und natürlich Constanze Gepart und ich. Gemeinsam waren wir das Leading Team dieser ganzen verrückten Geschichte.“ Rundherum formierte sich ein Netzwerk junger Talente – Sänger, Orchestermusiker, Korrepetitoren, Tonmeister, Grafiker und viele weitere kreative Köpfe. Alle brachten sich ein, weil sie an die Idee glaubten, dass Oper neu gedacht werden kann – und muss.
Dass alles ohne Budget entstanden ist, merkt man dem Ergebnis nicht an. Aber hinter den Kulissen war das eine Lektion in Produktionsrealität: Aufnahmeräume, private Drehorte, ein eigens gecastetes Orchester – alles koordiniert über Netzwerke, Überzeugungsarbeit und ganz viel Zeit und Leidenschaft. „Es war schwierig, in der ersten Phase ein Finanzkonzept aufzustellen, weil wir gar nicht gewusst haben, was wir finanzieren.“
Gestartet wurde daher mit einer reinen No-Budget-Produktion. „Das spielt uns jetzt in die Karten, dass wir das einfach mal ausprobiert haben“, so Würth im Interview. Denn der Prototyp ist jetzt da und die nächste Stufe kann geplant werden: „Unser Ziel ist es natürlich, auch den zweiten und dritten Akt zu produzieren – dann aber noch professioneller als sowieso schon, organisiert, mit Sponsoren, Bezahlungen und klaren Verträgen.“
Was „Opera Seria“ so besonders macht: Es gibt nicht nur die Serie. Auf Instagram führen Gepart und Würth um den eigentlichen Plot herum: „Alban Berg war Ur-Wiener – wie wir: Heute gehen wir an die Orte, an denen er gelebt und gewirkt hat. Herzlich Willkommen zu: ,Land des Bergs‘.“ Mit diesen Worten starten die beiden Gründerinnen ihre kleine Doku-Reihe durch Wien, Alban Bergs Heimatstadt. Man sieht Orte, an denen er lebte, hört Anekdoten, erfährt, wie es zur Uraufführung kam oder warum sein Lehrer Schönberg für ihn so wichtig war. Es fühlt sich an wie ein Spaziergang durch die Stadt in Dialogform – filmisch charmant umgesetzt, immer mit prägnantem musikalischem Intro am Anfang des Videos, damit direkt erkennbar wird, um welche Art von Content es sich handelt.
Dazu finden sich auf Instagram allerlei Behind-The-Scenes-Videos: Fragen an das Team, Einblicke, Versprecher. Es macht die Serie nicht nur verständlich, sondern nahbar.
„Opera Seria“ ist eine Wette auf die Zukunft: ein Format, das Opernstoff ernst nimmt, aber dabei die Mittel des 21. Jahrhunderts nutzt. Nicht als Kompromiss, sondern als Behauptung: Oper ist Gegenwart, wenn man sie so erzählt. Der erste Akt ist bereits online – der zweite und dritte sollen folgen: mit strukturiertem Budget, klarer Planung und derselben Energie wie bisher. Was bleibt, ist das Gefühl, dass hier etwas Echtes versucht wird: keine Social-Media-Trickserei, kein ironischer Abklatsch, sondern eine Liebeserklärung an Musik und Publikum gleichermaßen. Dass das ausgerechnet mit Wozzeck passiert, dieser unversöhnlichen Oper, macht es umso schöner.
Valeska Baader |