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Berichte
Symbiose von Leidenschaft und Präzision
Will Humburg dirigiert Verdis „Nabucco“ in Bonn
Schon in der Ouvertüre zeigt das Beethoven Orchester Bonn seine ganze Bandbreite – von edel schimmernden Posaunen bis zu Attacke pur. Am Pult steht Verdi-Spezialist Will Humburg, der das Ensemble mit unbändiger Energie und eiserner Präzision durch Verdis Partitur treibt. Das Ergebnis ist brillant. Wenn der Dirigent dann nach fast drei Stunden völlig durchgeschwitzt zum Schlussapplaus auf die Bühne tritt, lässt sich erahnen, wie kompromisslos er das glänzend aufgelegte Orchester zu Höchstleistungen getrieben hat. Man sieht aber nicht nur, wie intensiv er arbeitet, man hört es in jedem Takt. Verdi und Humburg – das ist eine musikalische Allianz auf Augenhöhe, eine Symbiose von Leidenschaft und Präzision. In Bonn kommt mit Regisseur Roland Schwab ein weiterer Glücksfall hinzu. Er destilliert Verdis monumentales Musikdrama „Nabucco“ zu einer klugen, abstrahierten Parabel über Macht, Größenwahn und den Preis des Fanatismus. Dadurch bildet er mit Humburg und dem Orchester ein wahres Dream-Team, das vom ersten Moment an überzeugt.

Guiseppe Verdi, „Nabucco“, mit Erika Grimaldi, Ioan Hotea, Aluda Todua sowie Chor, Extrachor und Statisterie des Theaters Bonn. Foto: Matthias Jung
Am Theater Bonn greift alles ineinander: das glutvoll musizierende Orchester, ein Ensemble ohne Schwachstellen und eine Regie, die sich nicht in Historismus verliert, sondern den Stoff auf seinen dramatischen Kern konzentriert. Natürlich geht es in „Nabucco“ auch um Liebe und den Sturz des titelgebenden Königs, der durch Verrat und Wahnsinn zu Fall gebracht wird. Schwab zeigt diese Konflikte mit feinem psychologischem Gespür und meidet jede plakative Geste. Doch im Mittelpunkt steht etwas anderes. Schwab verortet das Geschehen in keiner konkreten Epoche, schafft aber durch Piero Vinciguerras reduziertes, stimmungsvolles Bühnenbild und gezielte Anspielungen klare Bezüge zur Gegenwart. Eine Installation aus leuchtenden Bändern mit Zitaten realer Diktatoren – bis hin zu Trump – schwebt bedrohlich über der Szene wie ein Damoklesschwert. Wenn Nabucco am Ende des zweiten Aktes in den Wahn abgleitet, wird das niedersinkende Lichtobjekt zur spektakulären Chiffre des Machtwahns. Abgesehen davon verzichtet Schwab auf Effekthascherei und vertraut auf die Kraft der Musik und der Darsteller. Seine Inszenierung ist ruhig, konzentriert und zugleich ein leidenschaftliches Plädoyer gegen Extremismus in jeder Form.
Ein besonderer Glücksfall ist das Ensemble, das durchweg aus starken Bühnenpersönlichkeiten besteht. Allen voran Aluda Todua, der als Nabucco zunächst regungslos auf dem Thron sitzt und dennoch allein durch seine Präsenz den Raum füllt. Sein mächtiger, farbenreicher Bariton entfaltet besonders in den Gefängnisszenen der späteren Akte eine enorme emotionale Wucht. Erika Grimaldi überzeugt als Abigaille mit faszinierender Intensität: Sie ist eine machtbesessene Intrigantin, stimmlich brillant und darstellerisch von fesselnder Glaubwürdigkeit. Ihre Stimme schillert zwischen kontrollierter Aggression und gezielt überzeichneten Farben, die ihre Figur erschreckend lebendig machen. Auch Derrick Ballard (Zaccaria) beeindruckt mit souveräner Autorität und warmem, kernigem Bass, Ioan Hotea (Ismaele) glänzt durch einen durchschlagskräftigen, lyrischen Tenor, und Christopher Jähnig (Hohepriester des Baal) fügt mit seinem noblen Timbre weitere Tiefe hinzu. Charlotte Quadt (Fenena) steht ihren Kollegen in nichts nach, und Ralf Rachbauer als Abdallo sowie Marie Heeschen als Anna fügen sich stimmig in das Gesamtbild ein.
Der von André Kellinghaus exzellent vorbereitete Chor und Extrachor des Theaters Bonn ist ein Ereignis für sich. Schon im ersten Akt überzeugt das Ensemble mit einem wunderbar ausgewogenen, homogenen Piano. Wenn die Musik an Intensität gewinnt, bleibt der Klang stets transparent, präzise und rund. Der emotionale Höhepunkt kommt mit dem berühmten Chor „Va, pensiero“ im dritten Akt. Hier gelingt eine Steigerung vom zartesten Hauch bis zum machtvollen Fortissimo, die tief unter die Haut geht. Schwab inszeniert diesen Moment bezwingend schlicht und erfreulich unpathetisch – gerade dadurch wirkt er umso stärker.
Guido Krawinkel |