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Berichte
Dystopie und Utopie
Tanztheater an den Kölner Bühnen: Sasha Waltz’ „Beethoven 7“
Für die Städtischen Bühnen Köln gab es wiederholt Pläne, neben Oper und Schauspiel auch eine Tanzkompagnie zu etablieren. Temporär wurde mit freien Ensembles zusammengearbeitet: von 2005 bis 2008 mit der Kompagnie „pretty ugly tanz köln“ und ihrer Künstlerischen Direktorin Amanda Miller sowie von 2019 bis 2024 mit „Ballet of Difference“ und dem Choreografen Richard Siegal. Mit TanzFaktur, Orangerie und Alter Feuerwache gibt es in der Stadt zwar drei Spielstätten für Tanz, an denen auch Absolventen der Hochschule für Musik und Tanz Köln Entfaltungsräume finden, doch erlauben diese Orte nur kleine Produktionen. An ein städtisches Ensemble ist momentan nicht zu denken. Köln ist hoch verschuldet und hat bereits harte Streichungen in der Kultur vorgenommen.

Sasha Waltz & Guests, „Beethoven 7“. Foto: Sebastian Bolesch
Zudem werden Opern- und Schauspielhaus seit 2012 saniert. Baumängel, Fehlplanungen, Neuausschreibungen und wechselnde Bauaufsichten führten mehrmals zur Verschiebung der Wiedereröffnung. Nun sollen die Häuser am Offenbachplatz ab Ende September 2026 endlich wieder bespielt werden. Die ursprünglich kalkulierten Kosten von 250 Millionen Euro sind inzwischen auf fast 800 Millionen Euro gestiegen. Inklusive der Kosten für die Ausweichspielstätten im Carlswerk Köln-Mülheim und Staatenhaus Köln-Deutz belaufen sich die Aufwendungen auf rund 1,5 Milliarden Euro. Das Sanierungsdebakel hat die Oper zwar nicht selbst verschuldet. Der soeben neu ins Amt gewählte Oberbürgermeister Torsten Burmester (SPD) fordert – laut dpa – aber dennoch: „Diese Oper hat die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, alle einzubeziehen“, denn schließlich habe auch die ganze Stadtgesellschaft für die Oper bezahlt. Dass die Städtischen Bühnen genau dies seit Langem versuchen, etwa mit Kinderopern und internationalen Tanzgastspielen, davon sollte sich der neue OB einmal selbst ein Bild machen.
In der laufenden Spielzeit gastieren – kuratiert von Hanna Koller – mit jeweils zwei oder drei Aufführungen zwölf verschiedene Kompagnien, darunter Merce Cunningham, Akram Khan, Oona Doherty, Brig Huezo und das Hessische Staatsballett. Den Anfang machte Sasha Waltz mit ihrer 2023 in Berlin uraufgeführten zweiteiligen Choreografie „Beethoven 7“. Zwischen waberndem Kunstnebel erscheinen drei Figuren wie außerirdische Androiden. Unter dunklem Dröhnen bewegen sie sich geschmeidig, aber motorisch und bei bestimmten Haltungen stockend wie Roboter. Als die Gestalten die Köpfe quer zum hellen Bühnenhintergrund drehen, zeigen sie plötzlich riesenhaft nach hinten fliehende Schädel. Schließlich mischt der chilenische Komponist Diego Noguera in die lautstarken elektronischen Drones seines „Freiheit/Extasis“ Schreie wie von Primaten. Unter massiven Techno-Einschlägen beginnen die Tanzenden an sich zu reißen, ziehen, stoßen und zunehmend als Gruppe mit erkennbarem Schwarmverhalten zu agieren. Am Schluss treten alle mit gleichem Schritt und Blick auf der Stelle. Werden da Freiheit und Ekstase zu Unfreiheit und Konformismus?
Mit Beethovens 7. Symphonie hatte das nur insoweit zu tun, als Richard Wagner dieses Werk eine „Apotheose des Tanzes“ nannte und sich folglich jeglicher Tanz damit verbinden lässt. Während Noguera die Dancefloor-kompatible Soundanlage hart gegen den Brustkorb hämmern ließ, wirkte die anschließende Einspielung von Beethovens Symphonie basslastig, dumpf, undifferenziert. Auch choreografisch hatte der dystopisch düstere erste Teil mit dem klassizistisch wirkenden zweiten nichts zu tun. Die 14 Tänzerinnen und Tänzer strömten in anmutigen Grüppchen herein, liefen munter über die Bühne, spielten Haschemann, neckten sich, tändelten, tanzten, alleine, zu zweit, dritt, viert, schließlich als Corps de Ballet. Manche Bewegungen folgten Beethovens Musik wie pantomimisches Mickey-Mousing. Andere ironisierten die in allen vier Symphoniesätzen manischen Rhythmen mit lapidaren Schrittfolgen. Am Ende zeigte das gesamte Tanzensemble erneut die für diese Produktion zentrale Geste mit zum Wurf oder Bogenschuss gespannten Armen und Körpern: Sinnbild von Beethovens Transzendenz-Verlangen.
Rainer Nonnenmann |