Berichte
Von Bürgerangst und Liebe
Münchens Gärtnerplatztheater bietet eine Menotti-Rarität
Natürlich stehen die 150. Opernfestspiele der „großen“ Bayerischen Staatsoper im Vordergrund. Doch seit Jahren steuert die staatstheaterliche „kleine Schwester“ am Gärtnerplatz eine Besonderheit bei. Nach einer Vorpremiere in der regulären Spielzeit gab es nun eine Serie in der Studio-Bühne: Gian Carlo Menottis Einakter „The Old Maid and the Thief“ von 1941, einst fürs Radio geschaffen und dann für die Bühne überarbeitet.

Gian Carlo Menotti, „The Old Maid and the Thief“ mit Sophia Keiler (Laetitia), Frances Lucey (Miss Pinkerton) und Anna Agathonos (Miss Todd). Foto: Anna Schnauss
Mit Blick auf die damals wenig Opern-gebildeten in den USA musste alles klein und direkt verständlich sein. Daran hielt sich jetzt auch Alexander Kreuselbergs Regie: dass da die ergraute Miss Todd zwar von der Liebe zeitlebens nicht überwältigt wurde, dennoch aber Wünsche und Hoffnungen mit sich herumträgt; dass ihre junge, pfiffige Haushälterin Laetitia und die alt-betuliche Freundin Miss Pinkerton ihre einzigen Bezugspersonen sind; bis im miserablen Neuengland-Wetter ein junger Landstreicher namens Bob hereingebeten wird; von Laetitia mit sicherem Blick für dessen stramme Attraktivität, von Miss Todd in einer Mischung aus christlicher Nächstenliebe und – ja, auch – aufflammenden Gefühlen. All das wird von der neugierig-neidischen Nachbarin Pinkerton kritisch beäugt, denn ein Einbrecher soll im Ort umgehen; da Bob zu Kräften kommen soll, wird er als Verwandter ausgegeben – und sein mögliches Verbrechertum mit hingelegtem Geld „ruhig gestellt“ – bis er am Ende mit Laetitia, allen Wertgegenständen und sogar Todds Auto „abhaut“.
Für diese nie existentiellen, eher allzu menschlichen und erst die Liebe, dann ohne Polizei letztlich Humanität über allen Materialismus stellenden Konflikte hat Menotti munter klingende Kammermusik komponiert. Getreu seinen italienischen Wurzeln lässt er Rossini grüßen und gestaltet alle Partien hübsch sanglich vom Rezitativ bis zur melodiösen Arie. Prompt konnte Anna Agathonos ihre Miss Todd mit schönen Alt-Tönen ausstatten. Sophia Keilers Laetitia brillierte mit Koloraturen und quicklebender Agilität, gut kontrastierend zum etwas „gediegeneren“ Sopran von Frances Luceys Miss Pinkerton. Jung-Bariton Jeremy Boulton musste gar nicht erst männlich protzen, sondern brachte zur guten Bühnenerscheinung auch virile Töne mit.
Vor lauter Freude über die Festspielserie wollten alle ihr Bestes geben. Doch leider reagierte Dirigent Oleg Ptashnikov mit dem sonst gerne auf Wagner gemünztes „Alles, was du (singen) kannst, kann ich lauter“, indem er das überschaubare Orchester den klanglich eher zum intimen Raffinement animierenden Studio-Raum mehrfach allzu fortissimo füllte und die Soli und Duette übertönte.
Ungetrübte Freude machte die Ausstattung von Altmeister Rainer Sinell. Sein Hauptraum zeigte ein Wohnzimmer mit vornehm grauer Pflanzen- und Blumen-Stofftapete, der im Neuengland der USA mit damenhaften Kostümen übers Porzellan bis zum Kerzenleuchter einen gediegen herrlichen „Old-England“-Style beschwor: „very british“ bis ins Detail. Über eine kleine Treppe lag benachbart das schlichtere kleine Gästezimmer. Als die jungen „Diebe aus Liebe“ alles zusammengerafft hatten, blieb Miss Todd nur ein Trost: ihr Goldfisch im Glas. Statt hochdramatischem Opern-Blut und -Tod: ein unterhaltsam entlarvender Blick auf menschliche Schwächen dieser und jener Art.
Wolf-Dieter Peter |