Editorial
Spiel oder ernst?
Editorial von Tobias Könemann
In Köln war das kulturelle Highlight des Sommers wieder einmal die „Gamescom“, mit – einschließlich Online-Teilnahme – weltweit rund 630 Millionen (davon physisch 357.000) Besuchern das Mekka einer weltumspannenden Community, die eine explosionsartig wachsende Wirtschaftsbranche mit einem für 2025 erwarteten Jahresumsatz von 476 Milliarden Euro trägt. Da lässt es schon aufmerken, wenn gleich bei der Eröffnung der Messe die Bundesforschungsministerin bei bekannt klammen öffentlichen Kassen eine staatliche Förderung in dreistelliger Millionenhöhe in Aussicht stellt. Schon im Jahr zuvor hatte die damalige Beauftragte für Kultur und Medien angeregt, die Gaming-Branche „als Kunst- und Kulturgegenstand (zu) fördern“.

Tobias Könemann. Foto: Pascal Schmidt
Ist das wirtschafts-, gesellschafts- und kulturpolitisch wirklich der richtige Ansatz? Oder ist es nur ein weiteres Beispiel einer erratischen, teils populistischen, teils klientelgesteuerten Finanzpolitik? Immerhin hat auch der wissenschaftliche Beirat des Wirtschaftsministeriums bei der Vorstellung seines neuesten Gutachtens ein „Sammelsurium von Subventionen“ bemängelt. Grundsätzlich leben wir in einem System des freien Wettbewerbs. In diesem sind staatliche Eingriffe, auch in Form gezielter Subventionen, sicherlich da erlaubt und geboten, wo es um die Wahrung übergeordneter gesellschaftlicher Interessen geht, wie etwa in den Bereichen Umwelt- und Klimaschutz, Grundversorgung mit – im weiten Sinne – lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen, Infrastruktur oder auch Kultur und Bildung.
Ich kann nicht erkennen, dass ein Bereich der Freizeit-Konsumindustrie, so kreativ – und in Teilbereichen auch innovativ – seine Akteure bei der Entwicklung ihrer Produkte auch sein mögen, diese Kriterien erfüllt. Im Gegenteil, die massenweise Schaffung virtueller „Realitäten“, die von Menschen inflationär als Fluchtraum vor der Wirklichkeit genutzt werden, die ein erhebliches Suchtpotenzial bergen und die teilweise – insbesondere bei Jugendlichen – mit fatalen Folgen für die Persönlichkeitsentwicklung bis hin zu schweren psychischen Gesundheitsstörungen und möglicherweise mit einer zumindest indirekten Förderung von Gewaltbereitschaft einhergehen, bedürfte wohl eher einer engeren Kontrolle als einer finanziellen Förderung, die sie dank den Marktgegebenheiten wirtschaftlich gar nicht nötig hat.
Eine Politik, die jegliche Steuererhöhung, sowohl als Finanzierungs- als auch als Steuerungsinstrument, kategorisch ausschließt, zugleich aber den untauglichen Versuch unternimmt, Staatsfinanzen immer wieder durch Kürzungen im Kulturbereich und bei Sozialleistungen, die das absolute Existenzminimum unter Wahrung der Menschenwürde absichern, zu sanieren, und die zugleich populistische Signale wie die eingangs zitierten aussendet, setzt ihre gesellschaftliche Glaubwürdigkeit aufs Spiel. So etwas nährt jedoch erfahrungsgemäß immer vor allem extreme, zersetzende und spaltende Kräfte – ein Problem, das uns auch aus anderen Gründen schon mehr als genug zusetzt.
Computerspiele mögen unterhaltsam, entspannend, ästhetisch ansprechend, herausfordernd, teilweise auch lehrreich und interaktiv-kommunikativ sein; letztlich ist bei ihnen der kreative Prozess jedoch bei Abschluss des Programmiervorgangs zu Ende – danach ist alles eigentlich nur „Anwendung“, und das oft genug viele Stunden am Tag.
Was aber nottut, ist die Zuwendung der Menschen zur – so vielfach gefährdeten – realen Welt, einschließlich einer aktiven – und nicht nur konsumptiven – Teilnahme an kulturellem Leben. Dies ist im höchsten Maße förderungswürdig – vieles andere regelt zu Recht der Markt.
Tobias Könemann |