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Berichte
Atonal beschwipst
Uraufführung von KoffLer/Schöllhorn „Alles durch M.O.W.“ am Theater Freiburg
Die Bühne zeigt ein Caféhaus der späten 1920er-Jahre. Zwei Damen, ein älterer Herr und ein Sportsmann in zeittypischer Mode (Kostüme: Su Bühler) nehmen an je eigenen Tischen Platz, bestellen Getränke und beginnen, Gedichte von Deborah Vogel zu rezitieren. Die einsamen Seelen sehnen sich nach einem Partner, einer Partnerin. Sie sprechen von Herbst, Glück, Warten, Enttäuschung und schlechten Romanen. Dazwischen erklingen Klavierstücke von Józef Koffler in der Instrumentation „Spur (für Józef Koffler)“ von Johannes Schöllhorn als Caféhaus-Musik der anderen Art. Es sind atonale Varianten damaliger Modetänze wie Foxtrott, Shimmy, Cake Walk sowie eine witzige zwölftönige Umkomposition des „Kaiserwalzers“ von Johann Strauß. Hinzu kommen Klavierstücke aus Kofflers „Polnischen Volksgesängen“ und der Liederzyklus „Die Liebe“ nach dem 1. Korintherbrief von Paulus über „Glaube, Hoffnung, Liebe“.

Józef Koffler/Johannes Schöllhorn, „Alles durch M.O.W.“ mit Henry Meyer und Opernchor, Foto: Paul Leclaire
Schöllhorn ist es zu verdanken, dass mit fast hundertjähriger Verspätung Kofflers 1932 geschriebene Operette „Alles durch M.O.W“ am Theater Freiburg uraufgeführt wurde. Das fünfzigminütige Stück kombinierte der scheidende Intendant Peter Carp in seiner Inszenierung im liebevoll-gediegenen Bühnenbild von Kaspar Zwimpfer mit Gedichten der 1900 unweit Lemberg geborenen jüdischen Dichterin Vogel, die 1942 von den deutschen Besatzern ermordet wurde. Das gleiche Schicksal erlitt zwei Jahre später Koffler durch die Gestapo. Der 1896 geborene jüdisch-polnische Komponist studierte in Wien Musikwissenschaft bei Alfred Adler und gehörte zum Kreis um Arnold Schönberg. Ab 1928 lehrte er atonale Komposition in Lemberg. Nach K.u.K.-Monarchie und Erstem Weltkrieg wurde die Stadt polnisch zu Lwów, hieß dann in der Sowjetunion Lwow und schließlich ukrainisch Lwiw. Kofflers Einakter hat sich in der Universal Edition Wien nur als Klavierauszug erhalten. Der Freiburger Komponist und Hochschullehrer hat das Stück nun für das dortige Theater orchestriert. Schließlich ist Freiburg im Breisgau Partnerstadt von Lwiw.
Die Musik platzt mit jazzigen Fanfaren und beschwingten Bässen heraus, gefolgt von ironisch schmachtenden Violinen und einem Eröffnungschor über den Drang nach Liebe. „M.O.W.“ ist eine Partnervermittlung, deren Kürzel vermutlich für „Muster ohne Wert“ steht. In dieser Agentur geben die Caféhaus-Gäste ihre Annoncen auf: „Der zartbesaitete Herr“ (Henry Meyer) interessiert sich für „Das Girl mit den geistigen Ansprüchen“ (Charlotte Will); der sportive Nationalsozialist und stolze Autobesitzer „Herrenfahrer“ (Martin Hohner) versucht es mit der „Rassenblondine“ (Laura Palacios); ein neureicher „Nabob aus dem goldenen Westen“ (Antonio Denscheilmann) schnappt sich „Die einstige Montmartre-Schönheit“ (Yewon Kim); Kellner (Jakob Kunath) und Kellnerin (Natasha Sallès) stehen bereits in einem unklaren Verhältnis. Beziehungen werden geknüpft, verworfen, geändert und um weitere Personen ergänzt. Ins Singen verfällt man fast nur beim Aufgeben der Inserate, was die überzogenen Selbstdarstellungen und Erwartungen der Anzeigen als eitle Pseudopoesie entlarvt.
Das Libretto von Alfred Rust hat sonst keine Handlung. Stattdessen spielt das Philharmonische Orchester Freiburg unter Leitung von Friederike Scheunchen viele reine Instrumentalnummern, frech umherstreunend zwischen Tango, Chanson, Fuge, Choral und klappernder Schreibmaschine beim Diktieren der Annoncen. Regie und Dramaturgie (Rüdiger Bering) erfinden dazu pantomimische Alltagsszenen. Der kleinteilige Wechsel von Sprechtext, Orchester und Gesang bremst jedoch und nimmt der Komödie den Fluss. Herben Essig in den Cocktail kippt die Regie im Nachspiel mit einer Zeitungsmeldung von 1935, der zufolge die Waffenexporte damals trotz eingebrochenem Welthandel um 12 Prozent gestiegen sind, und einer Tagebuchnotiz des SS-Hauptscharführers Felix Landau, der sich rühmt, ab 1941 tausende Juden in der Region Lemberg „umgelegt“ zu haben. Unter den Opfern waren der Komponist und die Dichterin samt ihrer Familien.
Rainer Nonnenmann |