Berichte
Fledermaus-Himmel über Weikersheim
Die 60. Opernakademie der Jeunesses Musicales
Die Anforderungen an die bis zu 200 Bewerber:innen für die Weikersheimer Opernakademie orientieren sich an der Realität des Opernbetriebs. So war es nicht überraschend, dass man sich im Sommer 2025 – im 60. Jahr der Jungen Oper Weikersheim – mit der „Fledermaus“ von Johann Strauß explizit dem leichten Fach zuwandte. Dominik Wilgenbus inszenierte die beliebteste aller Operetten konsequent zwischen Frack und Revue, zwischen Unterhaltung und großem Gefühl: mit Slapstick, Revue und Tempo.

Johann Strauß, „Fledermaus“, mit der Jungen Oper Weikersheim. Foto: Ufuk Arslan
Für Sängerin und Sänger bietet die Operette einen Mehrwert im Vergleich zum „gewöhnlichen“ Operngesang: Textverständlichkeit und die Bedeutung von Wort und Schauspiel stellen hier hohe Anforderungen. Egal ob Komödie, tiefe Emotion, Monologe, Dialoge, Slapstickszenen: Die Kompetenz und Gewandtheit in allen Genres des Theaters zeichnet den Operettensänger von heute aus. Und von diesen Anforderungen profitierten auch die Weikersheimer Künstlerinnen und Künstler. Im Ambiente der Opernakademie ist die „Fledermaus“ auch deshalb ideal, weil sie alles bietet: Hosenrollen, Sprechrollen, Tanzrollen und Chorpassagen. Nach diesem Abend in Weikersheim steht fest: Man sollte die Operette wieder mehr ins musikalische Bildungssystem bringen.
Elf Rollen umfasst das Libretto, das Johann Strauß und sein Librettist Richard Genée als dreistündige Persiflage auf die bessere Gesellschaft des 19. Jahrhunderts konstruierten, in der die Akteure von Geltungssucht, Aufstiegssehnsüchten, Rache, Hass, Lust, Leidenschaft, Emotion und Kalkül getrieben werden.
Adele (Valerie Haunz) seufzt ihre Koloraturen in den Armen von Frank (Tomas Garcia Santillan) hinreißend wie eine Rossini-Primadonna. Sie treibt die Handlung in der Etage der Angestellten voran, mit ihrem Geliebten, dem Vollzugsbeamten Frank, ihrer Schwester Ida (Despina Louka) und dem Justizgehilfen Frosch (Katharina Blaschke). Im Zentrum der besseren Gesellschaft agiert Rosalinde (Florentine Schumacher) mit Schmelz in der Stimme und als exzellente Sänger-Schauspielerin. Im Ränkespiel von Dr. Falke (Tim Winkelhöfer), der auf Rache gegen ihren Mann, den Frauenheld Gabriel von Eisenstein (Luca Festner), sinnt, ist sie Opfer und Täterin zugleich: Schumacher zeigt Adele nicht nur als leichte Beute und Lustobjekt, sie legt alle Emotionen frei, die sich kribbelnd zwischen Rücken und Bauch bemerkbar machen, und haucht der Rolle dadurch Leben ein. Das von Sandra Linde entworfene Bühnenbild dominiert ein schiefer Kronleuchter, Sinnbild für eine verrutschte Belle Époque. Das sonst schlichte, aber variable Bühnenbild bot die Szene für intime Duette und rauschende Partyszenen, in denen ein grandios agierender Projektchor auch die Balletteinlagen stemmte.
Wilgenbus’ Regiearbeit findet die goldene Mitte zwischen historischem Zitat und Gegenwart. Alfred (Marcelo Alexandre) als falschen Eisenstein ins Gerüst des Scheinwerferturms zu sperren, ist nur einer seiner Einfälle. Von diesem „Balkon“ aus sang Alexandre nicht nur den originalen Strauß, sondern schmetterte en passant auch Zitate aus der Operngeschichte.
Standbein-Spielbein gibt es bei Wilgenbus jedenfalls nicht: Sogar das Bundesjugendorchester verlässt die eingetretenen Pfade und tritt vom Orchestergraben auf die Bühne: Zunächst kommen nur einzelne Musiker nach oben, machen Bühnenmusik und tanzen mit Chor und Ballett. Schließlich steht das ganze Orchester auf und spielt ohne Dirigent scheinbar aus dem Stegreif ein eigens komponiertes irisches Medley: Da tanzt die Bassposaunistin mit dem Chorsänger und das ganze Orchester zeigt sich beim Maskenball im Palais von Prinz Orlofsky (eindrücklich Julika Hing) mit Wiener Walzer.
Nach dieser Balletteinlage übernimmt Dirk Kaftan die Kontrolle und führt das BJO wieder an die Plätze und im Anschluss mit Bravour durch den gar nicht so einfachen Parcours der leichten Muse.
Das Leichte, das schwer zu machen ist: Es gelang dieses Jahr in Weikersheim mit starken Eindrücken eines mehr als unterhaltsamen Open-Air-Operettenabends.
Andreas Kolb |