Berichte
Chancenloser Neuanfang
Das Ende der Krise beim Hamburg Ballett?
Manchmal lassen sich Ereignisse nur als paradox beschreiben: Demis Volpi hatte als Nachfolger von John Neumeier in Hamburg eigentlich keine Chance. Er hat diese aber auch nicht genutzt. Volpi sollte nicht nur eigene (möglichst abendfüllende) Stücke neu produzieren, sondern auch fürs zeitgenössische Repertoire repräsentative und bislang fehlende Arbeiten zeitgenössischer Choreografinnen und Choreografen an Alster und Elbe holen. Zudem sollte das immense Neumeier-Erbe weiter gepflegt und mustergültig aufgeführt werden sowie neben der Kompanie auch die Oberleitung der zugehörigen Ballettschule in den Händen des neuen Ballettintendanten liegen.

John Neumeier, „Die kleine Meerjungfrau“ mit Xue Lin und Louis Musin. Foto: Kiran West
Also Kreieren, Kuratieren, Konservieren und Administrieren zusammen. Wer hätte diese noch die von John Neumeier mit seiner jahrzehntelangen Metier-Erfahrung übersteigende Aufgabenlast und -fülle bewältigen können? Mit Volpis – nach gerade einmal neun Monaten – überraschendem Rausschmiss beziehungsweise sofortiger Freistellung war der größte Ballettskandal seit Marco Goeckes Hundekotattacke perfekt.
Schade, dass es nun wohl nie das von Volpi zur Eröffnung der Hamburger Ballett-Tage 2025 geplante und dann kurzfristig auf den Saisonbeginn 25/26 verschobene Handlungsballett „Demian“ nach dem Roman von Hermann Hesse geben wird. Eröffnet wurden die diesjährigen Hamburger Ballett-Tage am 6. Juli mit einer kurzfristig anberaumten Wiederaufnahme von Neumeiers „Die kleine Meerjungfrau“ – sehr respektabel getanzt vom (nach wie vor) Hochleistungsensemble Hamburg Ballett, auch wenn ein paar Proben mehr wünschenswert gewesen wären. Der 86-jährige Altmeister feierte zudem in Dresden mit „Nijinsky“ aus dem Jahr 2000 und in Stuttgart mit „Anna Karenina“ von 2017 rauschende Premierenerfolge. Beim Bayerischen Staatsballett war der umtriebige „Ruheständler“ sogar zu den Endproben der Wiederaufnahme von „Illusionen wie Schwanensee“ angereist. Und mit dem – seit Volpis Amtsantritt – aus- und ans Ernst-Deutsch-Theater angegliederten Bundesjugendballett (möglicherweise die eigentliche Keimzelle des Zerwürfnisses) hat Neumeier, der Leiter des Nachwuchsensembles geblieben ist, eine dreistündige Neuauflage von „Shall we dance? – Tanz zwischen den Kriegen“ erarbeitet. Deren riesige Aufführungsserie mit stets ausverkauften Vorstellungen begann bereits vor den Hamburger Ballett-Tagen und lief noch während dieser weiter.
Nochmals: Volpi hatte in Hamburg keine reelle Chance. Die zahlreichen, nie wirklich belegten und schon gar nicht irgendwie gerichtsfest gewordenen Behauptungen seiner angeblichen choreografischen wie menschlichen Defizite werden wohl lange an ihm kleben bleiben. Der Ballettsaal als ein letzter Ort absoluter künstlerischer Wahrheit – eine subjektive Fehlanzeige. Da kann auch eine gewichtige Abfindung, über deren genaue Höhe gegenseitiges Stillschweigen vereinbart wurde, nicht hinwegtrösten. Eine Aufbruchsstimmung in Hamburg sucht man vergebens. Das neue „Triumvirat“-Interim bilden Nicolas Hartmann als Betriebsdirektor und neuer Geschäftsführer, der bisherige stellvertretende Ballettintendant Lloyd Riggins als künstlerischer Leiter des Hamburg Ballett und Gigi Hyatt (die einzige Frau im Bunde) als allein verantwortliche Direktorin der zugehörigen Ballettschule. Man scheint um Konsolidierung bemüht und muss versuchen, wieder Ruhe „in den Laden“ zu bringen. Eigentlich hätte die neue Spielzeit mit Volpis verschobener Premiere von „Demian“ beginnen sollen. Stattdessen steht nun die Wiederaufnahme von Neumeiers „Die Möwe“ auf dem Programm. Die zweite Premiere am 7. Dezember ist derzeit noch mit „N.N.“ betitelt.
Am Ende sind alle Verlierer. Denn wer will beim Hamburg Ballett jetzt noch – nach einer wie lange und auch immer gearteten Übergangszeit – eine künstlerische wie haushalterische Gesamtverantwortung übernehmen? „Das Können ist des Dürfens Maß.“ Zumindest diese Weisheit hat Bestand. Immerhin soll die Kompanie an der Nachfolgeregelung beteiligt werden.
Vesna Mlakar |