Berichte
Oper für alle und mit allen
Uraufführung von Marc L. Voglers Bürger:innen-Oper „Who Cares?“ in Dortmund
Mit dem Beginn der Intendanz von Heribert Germeshausen 2018/19 wurde die „Dortmunder Bürger:innenOper“ ins Leben gerufen. „We DO Opera!“ lautet seitdem die Devise, kurzum: Oper für alle, von allen. Hier geht es nicht um hochklassige Kost für Opern-Afficionados, sondern um das Mitmachen, Erleben und kreative Auseinandersetzen mit der Gattung Oper – und zwar so, dass sich auch Ottonormaloperngänger für dieses oft als elitär verschriene Genre begeistern können. Das ist in Dortmund zweifelsohne gelungen. Rund 60 Bürgerinnen und Bürger haben sich zu einem Ensemble zusammengefunden, und auch das Orchester ist mit Laien besetzt. So kam ein ziemlich bunter Haufen zusammen, den Regisseurin Mirjam Schmuck und Dirigentin Ruth Katharina Peeck bei der Premiere von „Who Cares?“ zusammenhalten mussten.

Marc L Vogler, „Who Cares?“, Uraufführung an der Oper Dortmund mit Mitgliedern des Bürgerinnen-Chores.
Foto: Björn Hickmann
Der Text des Stücks basiert auf Erlebnissen der Mitwirkenden und wurde in einem Arbeitsprozess gemeinsam mit der Regisseurin entwickelt. Für die Musik zeichnet Marc L. Vogler verantwortlich, derzeit Composer in Residence der Jungen Oper Dortmund. Der Komponist macht immer wieder mit besonderen Projekten von sich reden, etwa mit seiner Oper „Felix Krull“, die 2023 in den Räumen des Kölner Excelsior Hotel Ernst uraufgeführt wurde, oder mit einem Corona-Requiem, in dem er die Erlebnisse und Erfahrungen der Pandemie verarbeitete. Dabei zeigte er sich bereits als überaus versatiler Tonsetzer, der sein Ohr am Puls der Zeit hat und mit verschiedensten musikalischen Herausforderungen umzugehen weiß.
Genau das ist im Falle der Dortmunder Bürger:innenOper gefragt, denn hier kommt es nicht auf gesangliche Höchstleistungen oder dramaturgisch spitzfindige Finessen an, sondern darauf, mit dem zur Verfügung stehenden Ensemble etwas Gemeinsames auf die Beine zu stellen. Dabei geht es ganz zeitgemäß um die Erde, die am Ende ihrer Kräfte ist, und die Geschichte der Göttin der Sorge, Cura, die für die Erde zuständig ist. Cura ist resigniert und will die Reste der Erde wieder an die Göttin Terra und Göttervater Jupiter zurückgeben. Diese wollen die Erde aber nicht haben, und so startet Cura noch einen letzten Versuch und entdeckt schließlich doch noch ein Fünkchen Hoffnung für die Erde. Konkret handelnde Protagonisten oder eine auf der Bühne ablaufende Handlung im engeren Sinne gibt es weniger, da es keine Solisten gibt und alles auf einer allegorischen Ebene vom Chor gesungen wird. Das setzt den musikalischen und dramaturgischen Herausforderungen natürlich Grenzen. Primäres Ziel des Projekts ist es, kulturinteressierte Menschen in ihrer Realität abzuholen, ernst zu nehmen und am faszinierenden Kosmos Oper teilhaben zu lassen.
Die Musik von Marc L. Vogler arbeitet mit archetypischen Mitteln, die allesamt weder neu noch revolutionär, aber nachvollziehbar sind und unmittelbar einleuchten. Vom eingängigen Ohrwurm bis zum dissonanten Cluster ist alles dabei. Der Gesang ist durchweg einstimmig, alles wird vom Chor gesungen und szenisch durch sparsame Gesten, Aktionen und eine ebensolche Ausstattung illustriert. Zuweilen agiert der Chor auch in kommentierender Funktion, ähnlich wie in einer griechischen Tragödie. Wichtig sind Schaufensterpuppen, die symbolhaft und mal mehr, mal weniger fragmentiert die Menschheit darstellen. Insgesamt passiert nicht viel auf der Bühne, es gibt aber einige sehr einprägsame Bilder, etwa wenn Astronauten zwischen Lichtbändern hängen oder Masken die wahren Gesichter verdecken.
Die Geschichte um Cura gibt der 75-minütigen Oper einen schönen mythologischen Rahmen und Bedeutungstiefe. Das ist umso wichtiger, als die musikalischen und dramaturgischen Mittel begrenzt sind. In diesem Rahmen setzt auch Voglers Musik die ihr zur Verfügung stehenden Mittel effektvoll ein. Am Ende ist die Botschaft versöhnlich: Die Hoffnung ist noch nicht ganz verloren, und der erhobene Zeigefinger für die pädagogisch wertvolle Quintessenz bleibt trotz der deutlichen Botschaft dort, wo er hingehört: in der Versenkung.
Guido Krawinkel |