Rezensionen
Leidenschaft und Hysterie
Respighi „La Fiamma“ in der Regie von Christof Loy auf Blueray
Ottorino Respighi: „La Fiamma“ mit Olesya Golovneva, Martina Serafin, Doris Soffel, Sua Jo, Georgy Vasiliev, Ivan Inverardi u.a., Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin, Leitung Carlo Rizzi, Regie Christof Loy, Euro Arts Bluray 2048624 (2025)
Der Musikfreund kennt ihn durch seine Symphonischen Dichtungen, als Opernkomponist dagegen ist Ottorino Respighi (1879–1936) noch zu entdecken: immerhin gibt es von ihm zehn kunstvoll divergierende Werke. Eines davon (La Fiamma) reizte Regisseur Christof Loy, nicht nur, weil 1936 die Deutsche Erstaufführung an der Berliner Staatsoper stattfand; vielmehr galt es zu zeigen, dass ein Klassiker zeitlos gültig sein kann und muss, also leidvolle Frauenschicksale nicht nur im „Kostüm-Einst“, sondern gerade im „Heute“ zu finden sind. Nichts also vom byzantinischen Exarchat des 6. Jahrhunderts.
Inmitten von politischen Machtkämpfen, von Orthodoxie mit absolutem Wahrheitsanspruch, von Dummheit mit Neigung zu abergläubischen Verschwörungstheorien und daraus erwachsender Massenhysterie verstricken sich die Figuren in persönliche Konflikte, speziell in einen „Skandal“: die tiefe Liebe zwischen Stiefmutter und Sohn. Aufgeheizt durch weibliche Eifersucht und Rivalität, durchglüht von ausgelebter sexueller Leidenschaft – eben „la fiamma“ – landet das in jeder Hinsicht „unorthodoxe“ Liebespaar in einer öffentlichen Katastrophe. Nicht der schwächere junge Mann, sondern die lebenserfüllt liebende, menschlich letztlich überlegene Frau wird erbarmungslos abgeurteilt: „Das Volk hat gesprochen!“ und massenhysterisch lodert ein Scheiterhaufen.
Herbert Murauer hat dafür einen durch Schiebewände wandelbaren weiten Saal mit zwei Treppenabsätzen gebaut: mal in grüne Gartenlandschaft sich „frei“ öffnend, mal zu edlem Palast-Raum sich verengend. In zeitlos heutiger, mitunter an evangelikal strenge Glaubensgemeinschaften erinnernder Kleidung agiert das perfekt rollendeckende Solistenensemble. Doris Soffel setzt als gleich anfangs verbrannte „Hexen-Mutter“ den ersten Akzent, dem die mit lyrischem Sopran schlicht jugendlich liebende Monica von Sua Jo als Kloster-Verbannte folgt. Aus den bass-dunklen Männerstimmen von Exorzist Patrick Guetti und Bischof Manuel Funtes ragt der überzeugend gewichtige Bariton von Ivan Inverardi als betrogener Herrscher von Ravenna heraus – er hat sich die einst blutjunge Silvana „angeeignet“.

Ottorino Respighi: „La Fiamma“
Die zur blühend unerfüllten Frau Gereifte verliebt sich lebensbestimmend in den jungmännlichen Sohn Donello, und Tenor Georgy Vasiliev verkörpert diesen glaubhaft, so dass Olesya Golovnevas Silvana mit bezaubernder Bühnenerscheinung und mal warm schmiegsamen, dann auch glühend leuchtenden Soprantönen als anrührendes „Schicksal“ und „Mahnmal“ alles überstrahlt. Dazu bildet die eifersüchtige, durch Orthodoxie zerstörerisch fixierte Übermutter von Martina Serafin einen perfekt scharfkantig tönenden Kontrast. All das formt Regisseur Loy mit der ihn auszeichnenden Personenführung faszinierend fein. Die Nahaufnahmen der TV-Aufzeichnung (Götz Filenius) sind ein fesselnder Gewinn: erkennbar nahes Leben, durch Gesang ausstrahlend.
1936 befand sich Europa längst im Faschismus. Ottorino Respighi hat das Italien Mussolinis nicht abgelehnt, sich aber künstlerisch alle Freiheiten genommen. In den großen Chorszenen arbeitet er seine Begeisterung für Gregorianik ein; bei der Erwähnung von Byzanz gibt es pentatonische Klänge; in den lyrischen Passagen umspielen sich Holzbläser und Streicher warm melodisch; dann braust Sinnlichkeit fulminant rauschhaft auf. Alle Singstimmen sind mit Italianità bis zum expressiven Schrei komponiert. Die Handlung um den brutalen Schauprozess, befeuert durch hysterische Massen, spiegelt dann doch auch unverblümt die Fratze gesellschaftlicher Umwälzungen.
All das macht Dirigent Carlo Rizzi mit Chor und Orchester gut differenziert hörbar. Da kann das Mithör-Denken nicht aussetzen: Religion und Politik in fataler Machtmischung, fanatische Orthodoxie, leichtgläubige Dummheit und abstruse Behauptungen, schwankende Massenanwandlungen – damals und derzeit mit digitaler Raffinesse zu betäubter Sintflut-Wirkung gesteigert: da wirkt Respighis „La Fiamma“ wie ein warnender Kunst-Leuchtturm.
Wolf-Dieter Peter
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