Berichte
Ein Jedermann der Meere
„Der Fliegende Holländer“ begeistert bei Oper im Steinbruch als monumentales Spektakel
Da kommt ein Schiff. Himmelhoch ragen die Masten des Seglers, der sich aus dem Dunkel ans Licht zu kämpfen scheint. Seine Fracht ist so verführerisch wie fragwürdig. Im Rumpf glitzert es gülden. An Bord eine Mannschaft, die auf Gedeih und Verderb mit ihrem Schiff verwachsen zu sein scheint. Der Kapitän ein Jedermann der Meere, reich und arm zugleich, den Tod nicht findend. Der Holländer ist verdammt, ewig zu leben. Doch auch für diesen Untoten gibt es Hoffnung. Alle sieben Jahre geht er an Land, sucht eine Herzensfrau, deren Liebe ihn erlösen könnte. Gerade jetzt schließt sich für ihn wieder ein Kreis – nahe der norwegischen Küste, bei einem Dorf, wo die Männer zur See fahren und die Frauen spinnen, weben, singen und warten.

Richard Wagner, „Der fliegende Holländer“, bei Oper im Steinbruch St. Margarethen. Foto: Oper im Steinbruch/wearegiving
Da sitzt eine Frau. Hoch oben auf dem Dach eines der Häuser. Sie sehnt sich nach mehr, erträumt sich eine Welt, die ihr gefällt, will den Horizont ihres Lebens sprengen. Das geht mit Erik, dem treuen Verehrer, nicht. Sie hofft auf den „bleichen Mann“, dessen Geschichte sie kennt und dessen Rettung sie sein könnte. Senta weiß: Ein Schiff wird kommen und mit ihm die Verheißung auf ihr großes Glück. Und so steuern der Holländer und Senta aufeinander zu. Zwei Seelenverwandte mit ihrem je eigenen Drang zu leben, koste es, was es wolle.
Nicht weit von den Ufern des Neusiedler Sees wurde Richard Wagners romantische Oper erzählt: im Steinbruch von St. Margarethen im Burgenland und damit im monumentalen Format einer ebenso weiten wie hohen Felskulisse. Wie ein Bild im Bild wirkt die Szenerie der alles beherrschenden Wogen, eingefroren im Moment des Wellenbruchs. Die Inszenierung dockt bei der kompositorischen Stimmungslage der Meeresgemälde von Caspar David Friedrich an, spiegelt das Empfinden der Figuren im opulenten Setting, in dem sich die Menschen der Geschichte ebenso verloren wie aufgehoben wissen dürfen, mit dem Meer als vielfarbiger Projektionsfläche für große Gefühle.
Regisseur Philipp M. Krenn ist es – mit Momme Hinrichs (Bühnenbild) und Eva Dessecker (Kostüm) – gelungen, in diesem spektakulären Panorama feine Skizzen sichtbar zu machen, auch in Nahaufnahme: Als sich im zweiten Akt der Blick in Sentas Welt öffnet, flimmern manche Szenen in Großaufnahme auf felsigem Hintergrund. Das Publikum wird zum Voyeur. Das Ensemble ist herausragend. Bei der Premiere lässt der Met-erfahrene Bariton George Gagnidze bei seinem Rollendebüt als Holländer mitfühlen und erschauern, beeindruckt mit enormer Präsenz. Elisabeth Teige ist als ausdrucksstarke Senta zu erleben; auch in Bayreuth eine ihrer Paraderollen. Ein Höhepunkt ist das innige Duett von Holländer und Senta. Liang Li gibt Sentas Vater Daland als liebenden, aber auch nüchtern kalkulierenden Menschen. Tenor AJ Glueckert mimt als Erik einen grundguten Gegenpol zum unsteten Holländer und seinen Gespenstern. Jinxu Xiahou (Steuermann) und Roxana Constantinescu (Mary) machen das solistische Sextett komplett.
Als Chor auf der Bühne stand der mitreißend agierende Philharmonia Chor Wien. Aus dem Off eines eigens erbauten Orchesterhauses musizierte das Piedra Festivalorchester mit erstklassigem Gespür für sämtliche Nuancen des hochdramatischen Romantik-Klassikers. Patrick Lange hielt als Dirigent die musikalischen Fäden sicher in der Hand.
Der Intendant der Oper im Steinbruch Daniel Serafin hatte der Gästeschar am Premierenabend einen „romantischen und unterhaltsamen Abend“ mit diesem „Fantasy-Liebesdrama“ gewünscht. Sein Understatement unterstrich die programmatische Niederschwelligkeit dieses Kulturangebots eine Stunde südlich von Wien. Denn der Anspruch, Wagner im Hier und Jetzt angemessen umzusetzen, ist hoch. Der Leuchtturm, der bis Ende August am Rande des Felskraters stand, taugt deswegen auch als Symbol für die Strahlkraft eines Projekts, das Oper gekonnt in die Breite bringt. 2026 gibt es zum dreißigjährigen Bestehen der Oper im Steinbruch Puccinis „Tosca“. Dann geht es wieder um Leben und Tod!
Claudia Irle-Utsch |